Die Wahlkampfmärchen und die Wirklichkeit

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Symbolbild(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Kommt Schwarz-Blau? Sind Mittelstandssteuern geplant? Wird der Arbeitstag auf zwölf Stunden ausgedehnt? Was wirklich dahinter steckt.

Noch viereinhalb Wochen bis zum Tag X. Bis zur Nationalratswahl am 29. September. Der Wahlkampf ist in jenes Stadium eingetreten, das man als Intensivphase bezeichnet. Die Parteien inserieren, plakatieren, deren Chefs und Spitzenkandidaten touren kreuz und quer durchs Land. Und treten mit allerlei Versprechen vor das Wahlvolk. Dann und wann werden von Politikern auch Dinge erzählt, an die sie selbst recht nicht so recht glauben. Man kann das auch Wahlkampfmärchen nennen.

Das Märchen von Schwarz-Blau

Die SPÖ warnt derzeit – auch auf Plakaten – vor Schwarz-Blau. Die ÖVP, heißt es, würde mit den Freiheitlichen bereits heimlich Koalitionsverhandlungen führen. Dahinter steckt Strategie: Wahlkampfleiter Norbert Darabos verspricht sich davon eine Mobilisierung der SPÖ-Basis, denn kaum etwas bringt die Genossen stärker auf, als die Erinnerung an die Wendezeit.

Einer Realitätsüberprüfung hält diese Warnung aber nicht stand. Erstens, weil sich Schwarz-Blau nicht ausgehen wird: Die ÖVP kommt in Umfragen auf 24, 25 Prozent, die Freiheitlichen liegen bei 18 bis 20 Prozent. Zweitens hat ÖVP-Chef Michael Spindelegger wiederholt betont, dass eine Zusammenarbeit nur dann in Frage komme, wenn die Freiheitlichen ihre radikale EU-Linie ändern. Doch davon ist nicht auszugehen.

Das Märchen von Rot-Grün

Was der SPÖ Schwarz-Blau, ist der ÖVP eine rot-grüne Regierung: Ein Grund für die eigenen Funktionäre, noch mehr im Wahlkampf zu laufen. Bundesgeschäftsführer Hannes Rauch gab im Vorjahr eine Fibel gegen Rot-Grün heraus. Sie dient den Funktionären als Argumentationshilfe am Stammtisch.

Und obwohl SPÖ und Grüne gerne miteinander regieren würden, ist eine solche Koalition noch unwahrscheinlicher als Schwarz-Blau: Die SPÖ steht derzeit in den Umfragen bei 27, 28 Prozent, die Grünen kommen in Umfragen über 15 Prozent nicht hinaus.

Das „Faymann-Steuer“-Märchen

Die SPÖ habe es mit ihrer Millionärssteuer, die eine Vermögens- und eine Erbschaftssteuer beinhaltet, nicht nur auf Reiche, sondern auch auf den Mittelstand abgesehen. Behauptet die ÖVP – und warnt daher vor diesen „Faymann-Steuern“.

Allerdings sieht das SPÖ-Konzept in beiden Fällen auch eine Freigrenze in Höhe von einer Million Euro vor. Betriebe könnten zumindest nach den bisher vorliegenden SPÖ-Plänen außerdem steuerfrei vererbt (bzw. verschenk) werden.

Das Märchen vom FPÖ-Absturz

Keine Frage, die FPÖ hatte im vergangenen Jahr mit einigen Problemen zu kämpfen. Frank Stronach heißt das größte. Korruptionsskandale aus der Zeit Jörg Haiders zogen auch die heutige FPÖ hinunter. Hinzu kamen Streitigkeiten mit der Schwesternpartei in Kärnten und der Landespartei in Niederösterreich. Die Folge? Parteichef Heinz-Christian Strache musste seine Kanzlerpläne ad acta legen.

Nimmt man den Sommer 2012, als die Freiheitlichen in Umfragen schon Platz eins vor der SPÖ einnahmen, als Gradmesser, kann man natürlich von einem Absturz sprechen. Denn derzeit liegt die Partei bei 18 bis 20 Prozent. Allerdings ist dieser Wert immer noch besser als das Wahlergebnis aus dem Jahr 2008: Damals erreichte die FPÖ nämlich nur 17,5 Prozent.

Das Dreier-Koalitions-Märchen

Nach der Wahl könnte es eine Dreier-Koalition geben, am ehesten Rot-Schwarz-Grün: Dieses Gerücht hält schon verdächtig lange. Realistisch ist eine Dreierkoalition allerdings nicht. Denn Umfragen sprechen eher dafür, dass SPÖ und ÖVP weiter eine Mehrheit haben. Und dann werden sie wenig Lust verspüren, freiwillig einen Dritten ins Boot zu holen.Beachten muss man auch, dass man gar keine Mehrheit an Stimmen benötigt, um im Nationalrat eine Mehrheit an Sitzen zu haben. Denn Parteien, die nicht die Vier-Prozent-Hürde überspringen, werden bei der Mandatsverteilung nicht berücksichtigt.

Das Märchen von mehr Arbeit

Die SPÖ warnt vor den Ideen der ÖVP. Diese wolle einen Zwölf-Stunden-Arbeitstag einführen. Der SPÖ kommt das Thema recht, ist sie im Wahlkampf doch stark auf das Thema Arbeit fokussiert.

Genau genommen will die ÖVP bloß, dass es möglich sein soll, an einem Tag zwölf Stunden zu arbeiten – und dafür an einem anderen Tag weniger. An eine Erhöhung der Arbeitszeit denkt niemand. Momentan beträgt die Höchstarbeitszeit zehn Stunden. Es gibt aber bereits Ausnahmen, die bis zu 13 Stunden Arbeit am Tag ermöglichen.

Das Pensionsmärchen

Die SPÖ wirft der ÖVP beim Thema Frauenpensionen vor, sich nicht an ihr Versprechen zu halten. Dabei sei verfassungsrechtlich festgeschrieben, dass das Frauenpensionsalter (60 Jahre) erst ab dem Jahr 2024 schrittweise an jenes der Männer (65) angeglichen wird.

Tatsache ist, dass sich der ÖVP-Wirtschaftsbund für eine frühere Angleichung - wenn möglich ab 2014 - ausgesprochen hat. Der Arbeitnehmerbund ÖAAB und der Seniorenbund sind allerdings dagegen. Angesichts der internen Streitigkeiten hat Spindelegger das Thema kurzerhand zum Nebenschauplatz erklärt und versprochen, dass das Frauenpensionsalter nicht in der nächsten Legislaturperiode verändert wird.

Ein Märchen dürfte auch die Behauptung sein, dass man das Frauenpensionsalter nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit frühzeitig anheben kann. Zwar gibt es eine Verfassungsbestimmung, diese legt aber nur fest, dass es zulässig ist, wenn Frauen bis 2024 besser behandelt werden. Sie müssen es aber nicht. Man könnte auch einfach gesetzlich vor 2024 das Frauenpensionslater erhöhen, sagt ein führender Rechtsexperte zur „Presse“. Man brauche aber immer einige Jahre Vorlaufzeit, um den Vertrauensschutz zu gewährleisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2013)

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