Duellanten, Kampfrichter, Fast Food für Wähler

Duellanten Kampfrichter Fast Food
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Gastkommentar. Der Dramaturgie des ORF bei den TV-Duellen der Parteichefs geht es ganz offenkundig nicht um einen politisch-pädagogischen Informationsprozess. Es geht vielmehr um publizistische Effekte nach dem Muster amerikanischer Wahlkämpfe.

Gegenseitige Schuldzuweisungen, grundloses Gejohle von bestellten Claqueuren, Beifall für verbale Treffer und Plattitüden, beleidigende Tiefschläge anstelle von Argumenten, stereotype Wahlkampffloskeln ohne Erkenntnisnutzen, niederreden statt überzeugen, Analysen ohne Aussage: Nein, diese Fernsehduelle sind nicht das, was man einer Demokratie wünschen kann und was eigentlich zur Orientierung der Wähler für den 29. September beitragen sollte. Die Einwände gegen die politischen Fast-Food-Events des ORF sind zu vielfältig.

Da sind zunächst die viel zu kurze Redezeit für echte Zukunftsfragen und die sträfliche Verschwendung des Zeitbudgets für nebensächliche Problemstellungen.

Zu viel Sendezeit für Moderatorin

Im Schnitt entfielen bisher nur je 15 bis 17 Minuten pro Sendung auf die Kandidaten, ein ebenso großer Zeitanteil hingegen auf die Moderation. Als Beispiel: Spindeleggers Redezeit betrug 16,3 Minuten, jene seines Kontrahenten Bucher 15,1 Minuten und die von Ingrid Thurnher 15,6 Minuten. Im Schnitt errechnet sich für die Moderatorin ein sattes Drittel der Sendedauer.

Selbst wenn man überhaupt die Absicht gehabt hätte, sich mit Themen wie etwa Österreichs Haltung zur weiteren Finanzierung der Griechenland-Pleite, das prognostizierte Auseinanderbrechen der Eurozone, die Folgen des demografischen Wandels, den Wertekanon unter dem Eindruck der Zuwanderung, die Islamisierung oder die Folgen der Informationstechnologien für die Privatsphäre (NSA-Skandal) zu beschäftigen, hätte die Zeit dafür bei Weitem nicht ausgereicht.

Der Dramaturgie des ORF geht es bei den TV-Duellen ganz offenkundig nicht um einen politisch-pädagogischen Informationsprozess, sondern um publizistische Effekte nach dem Muster amerikanischer Wahlkämpfe: Horse Racing, Galopp, Steeplechase mit schweren Stürzen. Spannung heißt die Parole.

Die Kennzeichen des amerikanischen Wahlkampfstils wurden vom US-Kommunikationsforscher Thomas Patterson in seinem Buch „Out of Order“ und vom deutschen Wissenschaftler Winfried Schulz (Erlangen) schon vor Jahren beschrieben. Demnach gehorcht das Fernsehen eher dem Publikumsgeschmack als den Erfordernissen der Demokratie. Negationen und Skandale dominieren mit ihrem Ballyhoo die fairen Personendarstellungen und Sachthemen.

Kritik und Diskreditierungen des politischen Gegners sind wichtiger als die Verkündigung von Zielen. Wahlkämpfe folgen dem Muster von Werbekampagnen. Pseudoereignisse rangieren höher als Zukunftsfragen. Wichtig ist vor allem das, was ankommt – nicht das, was nottut. (Printmedien folgen diesem Schema weniger als das Fernsehen. Sie berichten, wie der Dresdner Prof. Donsbach herausfand, im Allgemeinen neutraler und konstruktiver über Stärken und Schwächen der Parteien.)

Kabarettartiger Stil

Was die TV-Duelle betrifft, so haben sich auch die Kommentatoren und Analytiker dem kabarettartigen Stil der Veranstaltung angepasst, indem sie als „Sieger“ vor allem denjenigen Politiker vermuten, der aggressiver und polternder als der andere auftritt. Auch sie lieferten bisher vitaminarmes Fast Food – und inmitten der gedanklichen Blässe so manch krause Überlegung.

Sehr untypisches TV-Publikum

Mit einem Fragezeichen behaftet ist beispielsweise die Aussage Peter Filzmaiers, dass sich die Wirksamkeit der Duelle auf die Bevölkerung nach der Sendung über die als Relaisstation wirkenden Printmedien und Meinungsführer entfalten würde. Filzmaier bezog sich dabei offenkundig auf die mit Schwächen behaftete 2-Step-Flow-Theorie aus der berühmten Erie-County-Studie.

Was im gegenständlichen Fall dagegenspricht, ist zum einen, dass Printmedien keineswegs einheitlich über das Abschneiden der Politiker berichten. Zum anderen ist zu bedenken, dass TV-Duelle für jene, die sie nicht selbst verfolgen, auch wenig Nachrichtenwert besitzen. Ereignisse mit geringem Stellenwert diffundieren jedoch, wie man weiß, erheblich schwächer als solche mit einer vermeintlich großen Bedeutung. Fest steht, dass es sich bei denen, die die politischen Ritterspiele von ihren Sofas aus betrachten, um ein sehr untypisches, keineswegs repräsentatives Publikum handelt. Am Beispiel der Auftaktsendung lässt sich demonstrieren, dass solche Personen vor dem Bildschirm saßen, die das politische Hickhack dem zeitlich parallel ausgestrahlten Fußballeuropacup vorzogen.

Demgemäß ist es sehr wahrscheinlich, dass dem Gefecht Straches mit Glawischnig dispropotional viele grünlastige junge Frauen mit höherer Bildung zugesehen haben, während überdurchschnittlich viele (blaulastige) junge Männer lieber das Gekicke in Vilnius und Linz verfolgten. Dass sich solche statistischen Verzerrungen auf die Gesamturteile der TV-Duelle auswirken, liegt auf der Hand.

Widersprochen werden muss sonst dem verbreiteten Mythos von der wahlentscheidenden Kraft der Unentschiedenen. Dieser Mythos basiert auf der Vorstellung, bei den politisch nicht deklarierten Personen handle es sich um eine sehr alerte Wählerschaft, die in einer richterähnlichen Funktion das Geschehen verfolge und schließlich derjenigen Partei ihre Gunst schenke, die den eigenen Erwartungen entspricht.

Ratlose Motivforscherin

Im Spiegel der Demoskopie entpuppen sich die Unentschiedenen jedoch als mehrheitlich ziemlich stumpfe Gruppe von Personen, die entweder keinerlei politisches Wissen und Interesse besitzen oder das Geschehen bestenfalls atmosphärisch wahrnehmen. Bei ihnen wirken Emotionen, nicht die Sachverhalte. Nur ein winziges Segment der Undeklarierten befindet sich in einem politischen Entscheidungsnotstand und zieht Schlüsse aus eigenen Beobachtungen.

Es ist bedauerlich, dass die diffizilen Probleme der Informationswirkung von den Kommentatoren nicht angesprochen, geschweige denn diskutiert wurden. Ihr analytisches Bestreben reduzierte sich in vagen Floskeln auf die triviale Frage „Sieger oder Verlierer“. Insbesondere die Motivforscherin Sophie Karmasin blieb viele Antworten schuldig und wirkte ein wenig wie jemand, der in der Wüste verzweifelt nach einer Wasserstelle der Erkenntnis sucht.

Eine Aussage wie etwa die, dass die Debatte lebhaft war und beide Diskutanten engagiert wirkten, ist bei Weitem zu mager. Im Übrigen wurde deutlich, dass sich weder der Politologe noch die Motivforscherin bei ihren subjektiven Bewertungen der Psychodynamik des Vorurteils entziehen konnten.

Ein kurioses Kapitel für sich ist der vom ORF jeweils am Schluss präsentierte Fakten-Check. Für ihn gilt Murphys Gesetz: „If you can't convince them, confuse them.“

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comAndreas
Kirschhofer-Bozenhardt

(*4. 8. 1926) war Journalist in Linz, ehe er 1964 in die empirische Sozialforschung wechselte. Er war Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach und zählte dort zum Führungskreis um Elisabeth Noelle-Neumann. Ab 1972 Aufbau des Institutes für Markt- und Sozialanalysen (Imas) in Linz. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2013)

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