Ausflug ins Grüne statt zur Wahlurne

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Während ein Großteil der Österreicher am Sonntag zur Wahl gegangen ist, haben Nichtwähler den Tag mit der Familie verbracht - oder ihren Rausch ausgeschlafen. Warum Bürger eine Stimmabgabe einfach verweigern.

Wien. Sonntagmittag, irgendwo in Wien. In den 1615 Wahllokalen der Stadt drängt sich ein Großteil der 1,16 Millionen wahlberechtigten Bürger. Nur Hans Zeger ist nicht dort. Er überlegt, wohin ihn der heutige Ausflug führen könnte. Der 58-Jährige, der vielen als leidenschaftlicher Datenschützer bekannt ist, lässt in diesem Jahr die Wahl sausen. Er verzichtet auf seine Stimme. Zum ersten Mal seit 39Jahren.

Stumm bleibt er aber nicht. Zeger hat in einem Mail zum Wahlboykott aufgerufen. „Die größte Einzelgruppe werden erstmals – knapp aber doch – die Nichtwähler“, ließ er verlautbaren.

Damit trifft er einen wunden Punkt der Politik. Während die Zahl der Wähler seit 30 Jahren ungefähr gleich bleibt, ist die Zahl der Nichtwähler am Steigen. Und das, obwohl seit 1983 die Zahl der Wahlberechtigten um 20 Prozent, also eine Million Menschen, gewachsen sei, rechnet Zeger vor.

Bereits bei der Nationalratswahl 2008 stellten Nichtwähler mit 21,19 Prozent immerhin die zweitstärkste Gruppe. Der Wahlsieger SPÖ bekam 29,58 Prozent der Stimmen. Wer diese 1,3Millionen Nichtwähler sind, darüber sind sich Meinungsforscher freilich nicht ganz einig. Das Institut Imas hat in einer Studie eher jüngere und einfach gebildete Personen aus unteren sozialen Schichten als Nichtwähler ausgemacht. Wahlforscher David Pfarrhofer vom Linzer Market-Institut sprach im „Standard“ von jungen und gut gebildeten Menschen, „die vom politischen Angebot enttäuscht sind“.

Gemeinsam haben sie aber alle eines: Aus Zufriedenheit bleibt kaum jemand daheim. Sie protestieren mit ihrer enthaltenen Stimme oder glauben, mit ihrem Kreuz nichts bewirken zu können.

„Das Ergebnis steht schon fest“

In diese Kerbe schlägt auch Zeger. Er kam in privaten Wahlanalysen zu dem Schluss: „Egal, welche Partei man wählt, das Ergebnis steht sowieso schon fest. Es kommt immer Rot-Schwarz raus. Da muss man nicht hingehen.“ Außerdem hätte es keine der Parteien in den vergangenen fünf Jahren geschafft, eines der großen Reformthemen wie Steuer- oder Bildungsreform auf die politische Agenda zu bringen, sagt er.

Und er denkt nicht allein so. Der 33-jährige Jungunternehmer Matthias Schmid ist bisher nur die Hälfte seiner Zeit als Wahlberechtigter wählen gegangen. Dabei gab er nur ungültige Stimmen ab. „Solange es nichts zu ändern gibt, gehe ich nicht“, sagt er. Die heutige Politik würde sowieso von Kräften außerhalb von Österreich bestimmt – von wirtschaftlichen Zwängen, außenpolitischen Mächten. „Die Politik ist ein überkommenes, kraftloses System, aus dem sowieso keine Veränderung hervorgeht“, sagt er. Der Unterschied zwischen den Parteien sei so marginal, dass es auf sein Kreuzerl nicht ankomme. Diesen Sonntag hat er daher den Rausch vom Vortag ausgeschlafen. Auf die Party hat er sich schon die ganze Woche gefreut.

Noch weniger konnten die heimischen Politiker Tommas G. erreichen. Der 27-jährige Familienvater war überhaupt noch nie wählen. „Politiker können einem sowieso erzählen, was sie wollen“, sagt er. Dabei hat er sich sogar einzelne Wahlsendungen angesehen. Und findet sich doch nirgends wieder. Den Sonntag hat er mit seiner Familie verbracht. Ein Tag wie jeder andere.

Nichtwählen wird salonfähig

Solche Ansichten sind kein österreichisches Phänomen. Zuletzt wurde in den deutschen Medien das Nichtwählen heftig diskutiert. Bekannte Persönlichkeiten wie die beiden Philosophen Peter Sloterdijk und Richard David Precht oder Schauspieler Moriz Bleibtreu outeten sich als Wahlverweigerer. Begründung: Sie finden sich in dem System nicht wieder, können mit den politischen Kernthemen nichts anfangen. „Nichtwählen ist salonfähig geworden“, resümierte das deutsche Magazin „Der Spiegel“.

„Kein Wunder“, wettert Zeger in Österreich, „wenn ganze Gruppen wie Ein-Personen-Unternehmen von der Politik völlig ignoriert werden.“ Er hofft, dass die Zahl an Nichtwählern bald so groß sein wird, dass sie von den Parteien nicht mehr ignoriert werden kann.

Ganz entziehen kann er sich der Nationalratswahl dann aber doch nicht. Er hat nämlich mit einer befreundeten Politikerin um eine Flasche Champagner gewettet: dass die Anzahl der Nichtwähler größer als die der Anhänger der stimmenstärksten Partei sein wird.

ZUR PERSON

Hans Zeger hat vor der Wahl zum Wahlboykott aufgerufen. Er ist davon ausgegangen, dass die diesjährige Nationalratswahl doch wieder die rot-schwarze Koalition ergeben werde. Gleichzeitig will er mit seiner enthaltenen Stimme auf die hohe Zahl an Nichtwählern aufmerksam machen. Diese sei seit Jahren am Steigen, während die Zahl der Wähler faktisch gleich bleibe. Hans Zeger ist als Datenschutzexperte bekannt. Er ist Obmann der Arge Daten, die sich mit Themen wie Datenschutz und Informationsrecht befasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2013)


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