Konrad Paul Liessmann: "FPÖ-Potenzial unterschätzt"

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Für den Philosophen Konrad Paul Liessmann sind die Gewinne der FPÖ "unerwartet", ist der Einzug der NEOS überraschend.

Die Presse: Was sagen Sie zu dem Ergebnis?

Konrad Paul Liessmann: Es ist ein Ergebnis, das zu erwarten war, mit kleinen Überraschungen: der Erfolg von Frank sehr mager, die Gewinne der FPÖ sind eigentlich unerwartet, der Einzug der Neos war doch nicht so sicher.

Hat die Medienöffentlichkeit, Stronach überschätzt – und dabei Strache und die FPÖ aus den Augen verloren?

Stronach hat sich sicher durch seine Auftritte und Sager und die Bedeutungslosigkeit seiner Kandidaten selbst geschadet. Auch in der Öffentlichkeit war man zuletzt doch eher zurückhaltend, hat aber, wie so oft, das Potenzial der FPÖ unterschätzt.

Was sagt es, dass die Neos doch überraschend deutlich ins Parlament einziehen werden?

4,6 Prozent nach der ersten Hochrechnung empfinde ich eher als knappes Überspringen der Vier-Prozent-Hürde, aber immerhin signalisiert dies Chancen für eine liberale Politik zwischen ÖVP und SPÖ. Fazit: Die Unzufriedenheit mit den ehemaligen Großparteien und ihrer Politik ist wieder ein bisschen gewachsen, aber es zeichnet sich – noch – keine wirkliche Alternative ab.

Sie sehen Stillstand nicht per se als etwas Schlechtes. Heißt das, Sie wären einer Fortsetzung der Großen Koalition nicht abgeneigt?

Was immer fortgesetzt wird, ist keine Große Koalition, sondern eine knappe Koalition. Die Rede vom Stillstand ist natürlich ein Mythos. Kein Land, in dem es wirklich Stillstand gäbe, hätte die letzten Krisenjahre so überstanden wie Österreich. Und manchmal kann zaudern und verhandeln und Rücksicht nehmen und verzögern auch ein Vorteil sein.

Wie schnell verändern politische Mehrheiten die Verhältnisse in einem Land?

Wenn es zu dramatischen Veränderungen der politischen Mehrheiten kommt, können sich Verhältnisse in einem Land zumindest an der Oberfläche relativ rasch ändern. In den Tiefenstrukturen sind auch moderne Gesellschaften bei Weitem nicht solch rasanten Wandlungsprozessen unterworfen, wie es dem Zeitgenossen, dem der Abstand fehlt, mitunter erscheinen mag.

Wie empfanden Sie den Wahlkampf in diesem Jahr?

Ich habe den Wahlkampf nur peripher wahrgenommen, das heißt, er war wohl nicht so aufregend, dass ich mich gezwungen gesehen hätte, unzählige Abende mit TV-Duellen zu verbringen.

Das Weißwählen gilt für viele als Zeichen des Protests. Ist es aus demokratiepolitischer Sicht schlechter, weiß zu wählen, als bei irgendeiner Partei das Kreuz zu machen?

Das Weißwählen ist deshalb problematisch, weil den Stimmen der Nichtwähler kein politisches Gewicht beigemessen werden kann. Per se ist es auch eine demokratiepolitisch mögliche Entscheidung, sich an Wahlen nicht zu beteiligen, allerdings begibt man sich damit auch des Rechts, sich über die Verhältnisse, an denen man nicht mitgestaltet hat, aufzuregen.

ZUR PERSON

Konrad Paul Liessmann, geboren 1953 in Villach, ist Professor an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften an der Universität Wien und als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist tätig. Er ist zudem seit 1996 wissenschaftlicher Leiter des Philosophicums in Lech am Arlberg. Zuletzt erschienen u.a. „Das Universum der Dinge: Zur Ästhetik des Alltäglichen“ (2010, Zsolnay), „Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft“ (2012, Zsolnay).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2013)

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