Graz - die politisch geteilte Stadt

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In der zweitgrößten Stadt Österreichs wurden die Grünen stärkste, die FPÖ zweitstärkste Partei. Die Mur teilt die Stadt in zwei Lager, doch warum? Ein Erklärungsversuch.

WIEN/GRAZ. Murus heißt die Mauer auf Latein. In Graz heißt die Mauer Mur. Der Fluss teilt die zweitgrößte Stadt Österreichs in verschiedene Lager. Wobei links und rechts relativ sind. Wenn Grazer vom linken Murufer sprechen, meinen sie nämlich die auf Karten rechte Stadtseite, weil die Mur Richtung Süden fließt. Dieser Teil wählte bei der Nationalratswahl primär grün. Das rechte Murufer (das auf der Karte links liegt; siehe unten) ist hingegen in blauer Hand. Doch eigentlich ist die Zweiteilung von Graz nichts Neues. Neu sind nur die Mehrheitsparteien. Die traditionell roten Bezirke sind nun blau, die schwarzen großteils grün geworden.

Um das zu verstehen, muss man Graz mit seinen rund 300.000 Einwohnern genauer betrachten. Auf der einen Stadtseite wohnt vor allem das Bürgertum. Schöne Gegenden, hohe Akademikerquote und viele Studenten, weil auf dieser Stadtseite die vier Grazer Universitäten liegen. Das steirische „Bellen“ wird man hier vergeblich suchen, wenn man mit Leuten spricht. Das Elternhaus ist traditionell schwarz, die Jungen finden mehr an hipperen bürgerlichen Bewegungen wie den Grünen oder den in Graz ebenfalls starken Neos Gefallen. Rot ist man hier am ehesten noch, wenn es um den Fußball geht. Der in roten Dressen spielende GAK – nach dem Konkurs als GAC wiederbelebt – ist traditionell der Verein der Grazer Bürgerlichen. Der in schwarz spielende SK Sturm wurde hingegen als Konterpart gegründet, um einfacheren Schichten den Zugang zum Fußball zu ermöglichen.

Graz politisch geteilte Stadt
Graz politisch geteilte Stadt(c) Die Presse

Überquert man von der Grazer Innenstadt kommend die Mur, gelangt man in die klassischen Arbeiterbezirke. Die Straßenzüge wirken grau. Vor allem die Innenbezirke Lend und Gries weisen eine hohe Ausländerquote auf. Türkische Läden sind leicht zu finden, auch relativ viele Schwarzafrikaner wohnen hier. Immer wieder gibt es Versuche, Gegenden wie die vom Bahnhof in die Innenstadt führende Annenstraße zu beleben. Der Erfolg erscheint endenwollend. Auf dieser Seite der Mur wählt man traditionell rot. Doch die SPÖ, bis 2003 unter Alfred Stingl stolze Bürgermeisterpartei, ist zur Lachnummer verkommen. Bei der Gemeinderatswahl 2012 landete man hinter der aktuellen Bürgermeisterpartei ÖVP und den auf lokaler Ebene populären Kommunisten nur auf Platz drei. Selbst in den Arbeiterbezirken schaffte die SPÖ bei der Gemeinderatswahl keine Mehrheit.

Blaue und grüne Tradition

Bei der Nationalratswahl versuchte es das einst rote Murufer nun mit blau. Mit den strittigen Gemeindefusionen in der Steiermark hat das nichts zu tun. Die sind den Grazern egal, solange sie nur ihre 17 Stadtbezirke behalten dürfen. Verärgert ist man aber auch hier über den von der rot-schwarzen Landesregierung eingeführten Pflegeregress. Dazu kommt, dass das „FPÖ wählen“ in Graz nicht so dämonisiert ist wie in Wien. Von 1973 bis 1983 gab es in Graz mit Alexander Götz immerhin einen FPÖ-Bürgermeister. Das deutschnationale Lager war in der Stadt, die sich nach dem Verfall der Monarchie in Grenzlage wieder fand, traditionell groß. Nicht von ungefähr wurde Graz von den Nazis mit der zweifelhaften Auszeichnung „Stadt der Volkserhebung“ bedacht. Noch heute zeugen die schwarz-rot-goldenen Fahnen, die die Burschenschafter gerne von ihren Buden auf die Grazer Straßen hängen, vom deutschnationalen Erbe.

Doch Graz ist auch der Geburtsort der Grünen in Österreich: Bereits 1983, drei Jahre vor dem grünen Parlamentseinzug, schaffte es die „Alternative Liste Graz“ mit sieben Prozent in den Gemeinderat. In der urban-intellektuell geprägten Radfahrerstadt Graz haben es die Grünen leicht. Auch wenn das Experiment einer schwarz-grünen Stadtregierung im Vorjahr scheiterte. Der Ärger mancher Grazer Autofahrer über die grüne Verkehrspolitik auf lokaler Ebene spielte bei der Nationalratswahl sichtlich keine Rolle mehr. Die bürgerliche Stadtseite wählte auch aus Protest gegen die ÖVP stark grün, sodass die Öko-Partei aktuell mit 21,7 Prozent die FPÖ mit 19,3 Prozent überflügelte (die letzten Wahlkarten werden morgen, Donnerstag, ausgezählt). SPÖ und ÖVP landeten blamabel nur auf Platz drei und vier.

Nur zwei Bezirke konnte die ÖVP in der bürgerlichen Stadthälfte noch halten. Aus der Reihe springt auch der Bezirk Liebenau, der zwar am bürgerlichen Murufer liegt, aber ein Arbeiterbezirk ist – und daher blau votierte. Insgesamt scheint die politische Trennung der Stadt jedoch prolongiert. Wenngleich man sich bei den wechselfreudigen Grazern besser nie zu sicher sein sollte, was künftige Wahlen bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)

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