Streitgespräch: „Linkspopulismus in allen Parteien“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Markus Beyrer (Industrie), Bettina Stadlbauer (SPÖ) und Max Koch (Liga für Menschenrechte) sind uneinig, ob Platz für eine Linkspartei wäre und ob ein 100-Euro-Schein der Weisheit letzter Schluss ist.

Die Presse: Wie links ist Österreich? Und ist es mit dem SPÖ-Kanzler tatsächlich sozialer geworden?

Max Koch: Österreich braucht eine linke Partei, die der SPÖ Pfeffer in den Hintern streut. In Deutschland ist die SPD vom Kurs abgekommen. Wie die SPÖ: Sie ist weit entfernt vom Grundgedanken der sozialen Gerechtigkeit. Österreich ist nicht links genug. Eine Million Österreicher leben in Armut. Die sollen jetzt mit 100 Euro abgespeist werden. Das Gesundheitssystem gehört reformiert. Und der Herr Bundeskanzler sagt nur: Schwamm drüber.

Wie links ist die SPÖ?

Bettina Stadlbauer: Wenn man unter links versteht, für soziale Gerechtigkeit und für Chancengleichheit zu sorgen sowie für jene einzustehen, die es sich selbst nicht richten können, dann glaube ich schon, dass das im letzten Jahr gelungen ist. Es braucht keine zusätzliche linke Partei, weil das die Linke an sich schwächen und konservative Kreise stärken würde.

Ist die ÖVP nicht auch im linken Fahrwasser? Jetzt soll eine Mindestsicherung kommen sowie eine Steuerreform, bei der alle vage über den Mittelstand reden, der Spitzensteuersatz aber eigentlich tabu ist.

Markus Beyrer: Die klassische Links-Rechts-Kategorie ist überholt. Die wahren Bruchlinien sind doch: Betreibt man eine verantwortungsvolle Politik, die auch nachfolgenden Generationen zugute kommt oder stellt man ungedeckte Schecks aus? Ist man bereit, Veränderung positiv zu sehen oder will man nur bewahren? In Österreich gibt es keinen Raum für eine Linkspartei, weil es Linkspopulismus in allen Parteien gibt.

Koch: Eine Linkspartei wäre gut, weil sie konsequent auf Themen – Frauen, Armut, Bildung – setzen könnte. Ich verstehe die Funktionäre der SPÖ nicht, warum sie nicht gegen diesen seltsamen pragmatischen Kurs rebellieren. Eigentlich müsste sich ein Teil abspalten.

Wer wäre der Lafontaine der SPÖ?

Koch: Ferdinand Lacina (Ex-Finanzminister der SPÖ) würde es gut machen, aber der wird sich das nicht antun. Solche Figuren fehlen einfach. Schauen Sie sich den Frauenbericht an! Da arbeiten Frauen jahrzehntelang, ziehen Kinder groß, und dann haben sie 700 € Pension! Das wollen Sie mir als große Sozialpolitik einreden?

Stadlbauer: Der große Unterschied ist, dass solche Dinge jetzt ernst genommen werden. Frauen, Bildung, Armut – das sind die Themen, die die SPÖ angehen will!

Koch: Nach 40 Jahren!

Stadlbauer: Wäre die SPÖ jetzt nicht in der Regierung, gäbe es nicht die Diskussion um Mindestsicherung und Mindestlohn. Bildung ist für uns eines der wichtigsten Themen. Aber dass man in einer Großen Koalition nicht die reine sozialdemokratische Lehre umsetzen kann, ist logisch.

Koch: Vorher wurde sie ja auch nicht umgesetzt. Was ist denn seit Kreisky passiert? Kreisky hat die Gesellschaft geöffnet, da sind viele Leute ein Stück des Weges mit ihm gegangen. Jetzt schüttelt etwa der Andre Heller nur mehr den Kopf. Niemand glaubt, dass Menschenwürde oder Emanzipation bei der SPÖ gut aufgehoben wären.

Beyrer: In den Siebziger Jahren ist wirtschaftspolitisch vieles passiert, an dessen Reparatur wir noch immer arbeiten, während rund um uns die Post abgeht – etwa die Reformen allein in Tschechien im nächsten Jahr: Die senken den Spitzensteuersatz auf 19 und in einem zweiten Schritt auf 15 Prozent.

Ihre ÖVP wagt so etwas aber nicht einmal zu fordern.

Beyrer: Ich bin bei keiner Partei Mitglied. Die Begrenzung der Spitzensteuerbelastung ist eine wesentliche Forderung der Industriellenvereinigung. Meines Wissens findet sich das auch in den Prioritäten der ÖVP. Immerhin scheint koalitionäre Einigkeit darüber zu bestehen, dass man die Grenze anheben muss, ab der der Spitzensteuersatz greift – der ja mittlerweile mehr als doppelt so viele betrifft wie 1989, wo er eingeführt wurde. Heute zahlen rund 350.000 Personen den Spitzensteuersatz. Man kann nicht mehr von einer Steuer für „Reiche“ sprechen.

Wie sieht das die SPÖ?

Stadlbauer: Wir haben andere Prioritäten. Man muss die unteren Einkommen und die Masse der Menschen, die zwischen 2000 und 4000 Euro verdienen, entlasten.

Die letzte Steuerreform hat die Industrie bevorzugt.

Beyrer: Sie hat die nötigen Schritte gesetzt, um in Zentraleuropa wettbewerbsfähig zu bleiben.

Stadlbauer: Und jetzt müssen wir schauen, dass es auch den Leuten besser geht.

Koch: Es gibt ein wachsendes Heer an working poor. Man müsste den Niedriglohnsektor massiv subventionieren.

Mehr Kombilohn?

Koch: Ja, natürlich.

Stadlbauer: Nein, da bin ich massiv dagegen.

Beyrer: Man muss sich von diesem ständestaatlichen Zugang freimachen, dass einmal die Gruppe X und dann wieder die Gruppe Y was kriegen muss. Mit einer falschen Politik treffe ich am Schluss die Schwächsten, denen ich eigentlich helfen wollte. Beispiel Pensionssystem: Da hat die Regierung im letzten Jahr schwere Fehler gemacht: die Verlängerung der Hacklerregelung und eine Pensionserhöhung, die nicht die Chance von Einmalzahlungen ergriffen hat. Beides belastet das System jetzt nachhaltig.

Koch: Es wäre ein lustiger Feldversuch, wenn Abgeordnete mal ein Jahr lang von 700 Euro monatlich leben müssten.

Stadlbauer: Also ich weiß, wie es ist, mit wenig Geld auszukommen.

Frau Stadlbauer, warum erwähnen Sie nicht den 100-Euro-Schein Ihres Parteichefs Gusenbauer für jene, die unter 1000 Euro verdienen?

Stadlbauer: Es ist schade, dass das jetzt so an der Spitze steht. Unser Anti-Inflationspaket umfasst insgesamt zehn Punkte, da geht es auch um Energie und Wohnen. Als die Pensionserhöhung vereinbart wurde, ist man von einer anderen Inflationsrate ausgegangen. 150 Millionen Euro mehr für die Pensionen finde ich grundsätzlich okay, ein Wermutstropfen sind die Kleinpensionisten. Die sind aber jetzt bei unserem Paket dabei.

Beyrer: Ich sage nichts zu den 100 Euro, weil ich mich mit tagespolitischem Populismus Gott sei Dank nicht beschäftige.

Stadlbauer: Menschen die Teuerungsrate abzugelten, ist kein Populismus!In den letzten Jahren gab es Realverluste bei den Pensionisten. Es ist nur gerecht, dass sie jetzt ein bissl mehr bekommen.

Beyrer: In einigen Jahren wird man dann aber wieder hergehen müssen, das große Messer auspacken und ins System hinein schneiden.

Koch: Aber die, die privat vorgesorgt haben, schauen doch durch den Börsenkrach jetzt auch durch die Finger. Worauf sollen sich die Leute verlassen?

Beyrer: Natürlich muss man sich auf mehrere Säulen verlassen...

Stadlbauer: ...Sofern man es sich leisten kann.

Selbst ÖVP-Klubchef Schüssel fordert eine Tobin-Tax. Steuerpolitisch ist nicht gerade der totale Konservativismus ausgebrochen!

Beyrer: Diese Debatte halten wir für strukturell falsch, aber das wird eh nicht kommen. Das ist Einstimmigkeitsmaterie in Europa, und die Briten werden dem in hundert Jahren nicht zustimmen.

Ist eine Marktlücke nicht eher eine FDP, eine wirtschaftsliberale Partei?

Beyrer: Mich haben die Polemiken zum Thema Neoliberalismus immer amüsiert. Wie kann ein Land neoliberal sein, wenn es gar keine liberale Tradition hat? Was wir aber sicher haben, ist ein Strukturkonservativismus, der sich aber eher links der Mitte ansiedelt.

Stadlbauer: Den sehe ich eher rechts.

Beyrer: Ich halte Mindestlohn strukturell für Unsinn. Menschen im unteren Einkommensdrittel vermittelt das immer den Eindruck, ärmer zu werden, weil ihnen der Mindestlohn von hinten näher rückt, ohne dass sich bei ihnen etwas ändert. Das führt wiederum dazu, dass sie weniger ausgeben.

Stadlbauer: Ich plädiere für Mindestlohn und Mindestsicherung. Gerade, wer weniger hat, steckt das ja sofort wieder in den Konsum. In Linz gibt es ein 10 Euro-Ticket. Damit kann man ein Monat lang alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen – wenn man unter 1000 Euro verdient. Wissen Sie, wie viel das sind? Ein Drittel der Linzer! Das macht betroffen!

Sind Sie mit dem Parteienspektrum zufrieden?

Stadlbauer: Wir haben zu viele konservative Parteien. Ich orte auch bei den Grünen eher Bürgerlichkeit.

Beyrer: Also, da frage ich mich, ob ich das gleiche Land beobachte!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2008)


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