Psychogramm: Salzburg sucht seine stabile Seitenlage

Herbert von Karajan steht für vieles, das Salzburg bis heute fast selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt.
Herbert von Karajan steht für vieles, das Salzburg bis heute fast selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt.(c) APA (SIEGFRIED LAUTERWASSER)
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Seit dem Finanzskandal sehnt sich das Land Salzburg mehr denn je nach der Zeit von Karajan und Haslauer (senior) zurück. Über ein Land zwischen Hybris und Bankrott.

Wien. Ist ein Unfall passiert, und man weiß noch nicht so recht, dann empfiehlt sich die stabile Seitenlage. Zumindest so lange, bis die Rettung kommt. In Salzburg lässt nach dem Crash namens Finanzskandal die Schockstarre langsam nach. Das Folgetonhorn ist allerdings noch nicht zu hören. Für die ordnungsgemäße Lagerung des Schwerverletzten soll erst einmal der Wahlgewinner vom Sonntag sorgen.

Hört man im Land das Wort „stabil“, steigen Bilder hoch, auf denen vor allem zwei Personen schemenhaft zu erkennen sind: Herbert von Karajan und Wilfried Haslauer. Senior, wohlgemerkt. Karajan steht für vieles, das Salzburg bis heute fast selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt: Eleganz, Internationalität, Exzellenz, Reichtum. Seit Karajans Tod sind die Festspiele, und damit auch Salzburg, nie wieder dieselben gewesen wie davor. Was ja nicht zwangsläufig nur schlecht sein muss.

Wilfried Haslauer war als Politiker ähnlich charismatisch und im Land unumstritten wie der schwierige Stardirigent. Seriös und zielstrebig, trotzdem schlitzohrig und eigenständig. Ein Politikertypus, dessen Fehlen heute generell beklagt wird. Wie viel Verklärung dabei ist, lässt sich im Nachhinein schwer sagen. Das Salzburg der späten 1970er- und 1980er-Jahre klingt im Nachhall der Erinnerungen den meisten Salzburgern jedenfalls nach Wohlstand, Wirtschaftswunder und Weltgeltung.

Salzburger Hochstapelei als Erfolgsrezept

Da will ein Bankrott des Landes so gar nicht ins Bild passen. Noch dazu auf diese Art: ein patscherter Umgang mit Produkten der Finanzindustrie ausgerechnet dort, wo viele Superreiche – mit denen das offizielle Salzburg so gern auf Du und Du steht – nicht nur ständig an- und abreisen, sondern vielfach ihren (Zweit-)Wohnsitz haben. (Werden Jüngere nach dem berühmtesten Salzburger Sohn mit M gefragt, kommt wohl Mateschitz mindestens so oft als Antwort wie Mozart.)

Dabei vergisst man oft, dass die am liebsten erzählte Salzburger Erfolgsgeschichte eine ist, in der Hochstapelei letztlich von Erfolg gekrönt war: Bei einer Belagerung der Festung Hohensalzburg im 16.Jahrhundert waren die Vorräte in der Festung bis auf einen lebenden Stier zu Ende gegangen. Um die Belagerer zu täuschen, wurde der Stier immer wieder anders bemalt und an der Burgmauer vorgeführt, um die Angreifer glauben zu machen, man hätte noch für viele Wochen genügend zu essen. Der ehemalige Finanzlandesrat David Brenner und seine Oberspekulantin Monika Rathgeber handelten wohl im Geist dieser „Stierwascher“-Sage, als sie ein ums andere Mal das Landesbudget neu anmalten. Bis auf einmal das ganze Land schwankte wie der alte Makartsteg.

Wie besser machen, wenn alles schon gut?

Doch ein schmuckes Land voller Berge und Seen mit einem Schmuckkasterl von Landeshauptstadt – die sich von Venedig nur in einem Punkt unterscheidet: Das Wasser kommt in Salzburg von oben – ist nicht einfach zu regieren. Gilt doch wie an all diesen mit so viel Lebensqualität und Schönheit gesegneten Flecken: Wie soll man etwas zum Besseren verändern, wenn alles doch schon so gut ist? Da bietet sich das Bewahren als Programm an. Die Festung Hohensalzburg, die von überall in der Stadt zu sehen ist, quasi als Sinnbild: Hier wurde immer schon verteidigt, was man hat.

Dass dieses Klischee vielleicht zu kurz greift, sieht man schon daran, dass die wohl bürgerlichste Stadt Österreichs seit geraumer Zeit – und nicht zum ersten Mal übrigens – von einem Sozialdemokraten (Heinz Schaden) regiert wird. Und ein (seinem Selbstverständnis nach) immer noch schwarzes Kernland von der roten Landeshauptfrau Gabi Burgstaller. Denn bevor sich die Salzburger mit Mittelmaß abgeben, wechseln sie lieber einmal die Pferde – auch außerhalb der Pferdeschwemme.

Und so gehört es zum weniger bekannten Salzburger Sagenschatz, dass die Grün-Bewegung in Österreich nicht nur in Hainburg ihren Ausgang genommen hat, sondern auch im vermeintlich „spießigen“ Salzburg. Als der Schauspieler Herbert Fux Ende der 1970er-Jahre gegen Altstadtverschandelung, Grünlandverbauung und Proporz höchst erfolgreich Gleichgesinnte in Stellung und sich damit in den Salzburger Gemeinderat brachte, als das noch alles andere als selbstverständlich war. Die Salzburger Stadt-Grünen heißen seit damals – und nicht umsonst – Bürgerliste.

Tourismuseinnahmen nur mit Touristen

Dieser Salzburger Bürger liebt Ruhe und Ordnung, benutzt Fahrrad und O-Bus, lebt bevorzugt in der Stadt Salzburg oder dessen Umland, schätzt die Kultur, solang nicht das Mozart-Denkmal mit Einkaufswagerln überbaut wird oder Installationen mit überdimensionalen männlichen Geschlechtsteilen den Weg zum Grünmarkt verstellen, liebt seine Berge und Seen, weiß, dass zu Tourismuseinnahmen auch Touristen gehören. Und muss am Sonntag entscheiden, wer das Land am ehesten wieder in die stabile Seitenlage bringen könnte. Der Name Haslauer ist in diesem Kontext sicher kein Nachteil. Karajan kandidiert ja keiner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)


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