Wien: Rot-Grün im koalitionsfreien Raum

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Die Verhandlungen über ein neues Wahlrecht sind gescheitert. Nun können die Grünen mit FPÖ und ÖVP ein neues Wahlrecht gegen die SPÖ beschließen. Allerdings nur auf dem Papier.

Wien. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir uns nicht einigen können.“ Mit diesen Worten gaben SPÖ-Parteimanager Georg Niedermühlbichler und der grüne Klubobmann David Ellensohn am Freitag offiziell das Scheitern der Wiener Wahlrechtsreform bekannt. Nach vierjähriger Verhandlungsdauer hätte man eingesehen, dass eine Einigung nicht möglich sei.

Durchdachte Inszenierung

Wie es weitergeht? Die Wahlrechtsreform wird im koalitionsfreien Raum entschieden. Bei der Landtagssitzung am 23. März bringen die Grünen einen Antrag für ein neues Wahlrecht ein. Und zwar nicht ihren bisherigen Kompromissvorschlag, sondern eine „verschärfte“ Variante: Der mehrheitsfördernde Faktor, der der SPÖ ab 44 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit in Mandaten bringt, soll nicht mehr halbiert werden (das war der grüne Kompromissvorschlag). Dieser Faktor soll nun vollständig gestrichen werden. Die Grünen bringen damit den Notariatsakt zur Abstimmung, den sie vor der Wien-Wahl 2010 (gemeinsam mit FPÖ und ÖVP) unterschrieben haben. Wird dieser Antrag umgesetzt, wäre er ein Debakel für die SPÖ.

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine grüne Kriegserklärung, welche die SPÖ enorm unter Druck bringt. Doch während Ellensohn philosophierte, dass die Grünen nun (mit FPÖ und ÖVP) ein neues Wahlrecht gegen den Koalitionspartner beschließen können, saß SPÖ-Parteimanager Niedermühlbichler lächelnd neben dem grünen Klubchef: „Wir verstehen uns weiterhin sehr gut und werden auch weiterhin gemeinsam auf den Fußballplatz gehen.“ Ellensohn ergänzte: „Die Koalition wird natürlich fortgesetzt. Wir arbeiten ja sehr gut zusammen.“ Deshalb werde man verfassungswidrige Punkte des Wahlrechts (Briefwahl-Nachfrist etc.) gemeinsam reparieren.

Wieso akzeptiert die SPÖ einen koalitionsfreien Raum, wenn sie mit 49 von 100 Mandaten sehenden Auges in eine Abstimmungsniederlage steuert? Und wieso ist die rot-grüne Stimmung wieder so harmonisch? In der Praxis verweigert Häupl ein neues Wahlrecht, gewährt den Grünen aber einen gesichtswahrenden Ausstieg. Beim heutigen Parteitag darf die grüne Spitze als Macher auftreten, die die SPÖ vor sich hertreibt. Dafür behält die SPÖ ihr mehrheitsförderndes Wahlrecht.

Wird der grüne Antrag im Landtag angenommen, ändert sich trotzdem nichts. Der Antrag muss nämlich laut Stadtverfassung danach dem zuständigen Ausschuss zur Beratung und anschließenden Freigabe zugewiesen werden. Dort hat die SPÖ die absolute Mehrheit (was auf das Wiener Wahlrecht zurückzuführen ist). Fazit: Schwarz-Blau-Grün können im Landtag beschließen, was sie wollen – die SPÖ kann im zuständigen Ausschuss jeden Antrag ablehnen, womit ein neues Wahlrecht gescheitert ist.

Um sich nicht dem Vorwurf eines billigen Tricks auszusetzen, bleibt der SPÖ eine elegantere Methode: Der Antrag wird im Ausschuss beraten. Lange. Sehr lange. Und zwar so lange, bis die Wien-Wahl ansteht und es „leider“ nicht mehr möglich ist, das grün-blau-schwarze Wahlrecht umzusetzen. Die Grünen können dabei ihr Gesicht wahren, haben sie doch ihre Verpflichtung formal erfüllt (sie haben das Wahlrecht beschlossen). Und sie haben dabei die SPÖ nicht so sehr verärgert, dass sie als Koalitionspartner nach der Wien-Wahl ausscheiden. Die SPÖ kann dafür mit dem alten Wahlrecht wählen. Und die Koalition zerbricht nicht – womit Häupl weiterhin zwei Koalitionsoptionen hat. Damit bringt dieser inszenierte koalitionsfreie Raum beiden Parteien Vorteile, die sich PR-mäßig auch sehr gut verkaufen lassen.

Wahl doch erst im Herbst?

VP-Chef Manfred Juraczka spricht von billigen Tricks, FPÖ-Klubchef Johann Gudenus kritisiert, die SPÖ werde den Antrag bis zum Wahltag blockieren. Aber: Juraczka, der die Geschäftsordnung studiert hat, wird am 27. März beantragen, den grünen Antrag leicht abzuändern. Dann muss laut Geschäftsordnung sofort abgestimmt werden. Über alles. Stimmen die Grünen mit Schwarz-Blau der Abänderung zu, wird ein neues Wahlrecht gegen die SPÖ beschlossen. Stimmen die Grünen nicht zu, „werden sie erklären müssen, warum sie im Auftrag der SPÖ ein faires Wahlrecht begraben“, so Juraczka.

Was das für den Wahltermin bedeutet? Nachdem sich Rot-Grün wieder vertragen, wollen beide erst im Herbst wählen. Außer, es gibt wieder „Missverständnisse“. Dann könnte Häupl die Wahl auf den 14. Juni vorverlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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