Wählt man, wie man wohnt?

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Hietzing ist schwarz, die Donaustadt rot? Wien ist durchmischter als früher, klassische politische Einteilungen haben Risse bekommen. Eine Herausforderung für Wahlkämpfer.

Im Wiener Wahlkampf werfen die Parteien alles ins Gefecht: Plakate, Dreieckständer, Inserate, Hausbesuche. Der Einsatz vor allem Letzterer wird genau geplant: „Es macht doch keinen Sinn, an 1000 Türen zu klopfen, wenn einem niemand aufmacht“, sagt Politikberater Thomas Hofer. Wie in den USA wird auch hierzulande immer mehr auf Mikro-Targeting gesetzt, das heißt: Die Botschaften werden auf immer kleinere Zielgruppen eingestellt. „Wenn ich weiß, welche Lebensgewohnheiten Menschen in einem bestimmten Grätzelhaben, wenn ich weiß, wo Nichtwähler sitzen oder wo es soziale Probleme gibt, kann ich zielgerichteter vorgehen und im Wahlkampf Geld und Personal sparen“, so Hofer.

Wo aber sind in Wien die Grätzel, der jeweilige Mikrokosmos, in dem Rot, Grün, Blau, Schwarz, Pink punkten können? Es schwerer geworden, sie zu finden: Die klassische Einteilung – die Bürgerlichen leben in Hietzing, die Sozialdemokraten in Favoriten, die Grün-Wähler im Siebenten, die Türken beim Brunnenmarkt – kann zwar in groben Zügen noch stimmen, aber die Linien lassen sich nicht mehr durchgehend ziehen. Alles ist kleinteiliger geworden, differenzierter. Mit ein Grund ist die massive Bautätigkeit der vergangenen Jahre. In die Stadtviertel in den klassisch roten Flächenbezirken zieht nun auch eine andere Klientel – Beispiel Sonnwendviertel in Favoriten, das als chices Wohngebiet auch von potenziellen Grün- , Schwarz- oder Pink-Wählern bewohnt wird. Auch im 20., 22. oder 23. Bezirk, roten Domänen, sind solche Grätzel entstanden.

Parteimanager brauchen heutzutage mehr Detailinformationen, um effektiv Wahlwerbung zu betreiben. Die herkömmliche Aufbereitung von Daten geschieht über Auswertung der Sprengelergebnisse der vergangenen Wahlen: Gemeinderat, Nationalrat, EU-Wahl. Da kann man einiges herauslesen: Welche Parteien wo dominieren, wo die umkämpften Sprengel waren, wo die höchsten Wahlbeteiligungen etc., und wo am wenigsten Personen gewählt haben. Doch eines der interessantesten Projekte, das zuletzt über die Wiener Bevölkerung gemacht wurde, ist eigentlich der Sozialraum-Atlas. Das Projekt hat nicht direkt mit der Wahl zu tun: Die MA 18 (Stadtentwicklung) hat angesichts der wachsenden Bevölkerung und der gewandelten Stadtstruktur einen Atlas erstellen lassen, der die soziale Struktur abbilden soll. Projektverantwortlicher für die „Vermessung Wiens“ ist der Sozialwissenschaftler August Gächter vom ZSI (Zentrum für Soziale Innovation).

„Alle Städte haben erhebliche Datenbestände, die in der Verwaltung entstehen“, sagt Gächter. Doch viele Stadtverwaltungen könnten nichts damit anfangen, würden die Daten nicht verbinden. Gächters Ansatz war anders: Er hat Daten aus mehreren Quellen gesammelt und diese verknüpft. Konkret Daten aus dem Melderegister, vom AMS, von der Mindestsicherung sowie aus dem Schulwesen – alles streng anonym, ohne Namen. Um feinere Ergebnisse zu bekommen wurde die Grundeinheit nicht in Sprengel definiert, sondern in Baublöcken, die von Straßenzügen begrenzt sind. Für Wien ergaben sich so 7000 bewohnte Baublöcke mit mehr als zehn Haushalten. Aus diesen Daten wurden 29 Indikatoren gefiltert – wie etwa Kinder, Haushalte, Migration, Wohnfluktuation, Einkommen etc. –, dann wurden diese Indikatoren verknüpft. Das Ergebnis war eine Einteilung in sieben Cluster, also sieben Stadträume, die das soziale Bild der Stadt sehr gut abbilden. Was Gächter nicht gemacht hat, war, politische Daten wie Wahlergebnisse oder Wahlverhalten hineinzurechnen – aber möglich wäre es. Doch die SPÖ hat den Atlas nicht genutzt, man habe, heißt es stattdessen, im Wahlkampf mit Sinus-Milieus gearbeitet (Postmaterielle, Hedonisten etc.). Wie sehen aber nun die Cluster aus?

Die Presse

► Cluster I: In diesen Vierteln leben wohlhabende Menschen, es gibt wenig Sozialprobleme, tendenziell ist man älter, hat weniger Kinder. Meist wohnt man am Stadtrand in Einfamilienhäusern. Hier leben meist die „autochthonen“ Wiener. Wohngebiete sind Döbling, Währing, Hietzing. Aber – wie auf der Karte ersichtlich – durchaus auch Areale im 22. oder 23. Bezirk.

► Cluster II ist grundsätzlich ähnlich, zeichnet sich laut der Studie jedoch durch mehr Kinderreichtum aus. Also viele Jungfamilien, mit eigenem Haus und Garten. Beide Cluster kommen besonders in Wiener Grün- bzw. Ruhelagen mit lockerer Bebauung vor. Also grob gesagt im 21., 22. und 23. Bezirk mit vielen Einsprengseln in den Bezirken 14 bis 19.

► Cluster III ist die gründerzeitlich geprägte urbane Mitte Wiens. Die sozialen Probleme halten sich in Grenzen; etwas mehr Migranten, wenig Kinder. Das sind die klassischen Inner-Gürtel-Bezirke von 2 bis 9 plus „Außenposten“ in anderen Bezirken.

► Cluster IV ist gekennzeichnet durch viele Migranten, die auch von starker Arbeitslosigkeit betroffen sind. Es gibt jedoch keine wirkliche Armut. Diese Cluster finden sich vor allem in Teilen der Gründerzeitviertel entlang des Gürtels, im 2. und im 20. Bezirk.

► Cluster V. Die Kennzeichen sind ähnlich wie bei IV. Etwas weniger Arbeitslosigkeit unter Migranten. Betrifft zu den Bezirken 2. und 20. auch Simmering und Floridsdorf.

► Cluster VI und VII ähneln einander: hohe Arbeitslosigkeit bei Österreichern, moderate Armut. In Cluster VII leben mehr Migranten mit mehr Kindern. Die Bewohner sind in älteren Neubaugebieten am Stadtrand, in Großwohnanlagen (Gemeindebau) zu finden.Auch wenn es nicht ausgewertet wurde, lässt sich das Cluster-Wahlverhalten – aber eben nur mehr grob – schätzen: Cluster I und II tendiert zur ÖVP, aber auch zu Grün und Pink. Cluster III und IVwählen je nach Bezirk grün oder rot; Migranten wählen eher Rot. In den Sozialräumen V, VI und VII dominierte traditionell die SPÖ, nun aber öfter die FPÖ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 3. Oktober 2015)

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