Ursula Stenzels Gefühl für das Bierzelt

Stenzel bei einem Wahlkampfauftritt
Stenzel bei einem WahlkampfauftrittAPA/HANS PUNZ
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Als Bezirksvorsteherin war Ursula Stenzel die Grande Dame der Bürgerlichen – nach ihrem Wechsel von der ÖVP zur FPÖ geht sie in Bierzeltatmosphäre auf Stimmenfang, ist mit Menschen per Du und hat auch ihre Rhetorik angepasst.

Wien. Einst forderte Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel eine „Respektzone Stephansplatz“, um Parteiveranstaltungen und Straßenkünstlern den Garaus zu machen. Hier sollten künftig nur noch kirchliche Veranstaltungen stattfinden, forderte sie. Donnerstagabend sollte sie genau dort beim FPÖ-Wahlkampfabschluss mit Heinz-Christian Strache auf der Bühne stehen.

Es ist erst einen guten Monat her, dass die einst bürgerliche Grande Dame ihren Austritt aus der ÖVP bekannt gab und – offiziell als unabhängige Kandidatin – ins blaue Lager wechselte. Sie lebte sich allerdings schnell in ihrer neuen politischen Heimat ein. Vernissagen und Eröffnungen im ersten Bezirk, ein Glas Prosecco mit Prominenten, dazu die Klage, wie heruntergekommen der erste Bezirk sei und dass man sich hier als wohlhabende Person nicht mehr sicher fühlen könnte. Stenzel liebt den Luxus – daraus machte sie nie einen Hehl.

Dieses Bild hat sich gewandelt. In den vergangenen Wochen war sie mit Strache etwa in Favoriten auf dem Viktor-Adler-Markt wahlkämpfen, genauso wie auf dem Meiselmarkt in Rudolfsheim-Fünfhaus. All das Orte, an die es Stenzel vorher nicht verschlagen hatte. Und auch die Menschen, mit denen sie bei diesen Veranstaltungen sprach, unterscheiden sich recht deutlich von der Innere-Stadt-Klientel.

Die Bierzeltatmosphäre, die die sich gern volksnah gebende FPÖ für den Stimmenfang bevorzugt – eigentlich genau das, wogegen Stenzel in den vergangenen Jahren zu Felde gezogen ist: wummernde Musik und lärmendes Partyvolk –, war ihr stets ein Dorn im Auge. Mit der Club- und Kulturszene focht sie mehr als einen Kampf aus, wenn es um Sperrstunden und Lärmbelästigung ging. Dem Club Flex am Donaukanal zwang sie eine Sperrstunde ab vier Uhr auf, was das Lokal finanziell fast in den Ruin getrieben hätte. Künstler schlossen sich damals zusammen und produzierten den Protestsong „Ursula, stress ned“ zur Rettung des Clubs.

Weil es am Lugeck rund um die Bettelalm angeblich zu nicht erträglicher Lärmbelästigung gekommen sei, wollte Stenzel dort eine Fußgängerzone und ein Taxifahrverbot einführen. Genau dieses junge Partyvolk ist es aber, das der FPÖ durchaus nicht abgeneigt ist. Nicht umsonst veröffentlichte Heinz-Christian Strache seinen Rap zur Wahl in der Bettelalm, einer Disco mit Après-Ski-Flair, wo er immer wieder zu Gast ist.

Stenzel, die sehr viel Wert auf Etikette und Manieren legte, ist plötzlich mit Menschen, die sie nicht kennt, per Du. „Ich stehe heute hier vor euch“, sagt sie dann etwa auf dem Podium. Das gepflegte „Sie“ ist einem amikaleren, volksnahen „Du“ gewichen.

Auch hat sie ihr Herz für Obdachlose entdeckt: So stattete sie der Gruft in Mariahilf einen Besuch ab – und überreichte medienwirksam einen Spendenscheck. Monate zuvor hatte sie die Räumung des Stadtparks von Obdachlosen angeregt. In etlichen Interviews hatte sie früher betont, wie unangenehm ihr diese genauso wie Bettler in der Inneren Stadt seien.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der sich gern als Robin Hood der Armen und Schwachen inszeniert, hat nun in seinem Kampf Stenzel an seiner Seite. Als ehemalige ORF-Moderatorin ist sie ein Profi darin, Rollen in der Öffentlichkeit perfekt zu spielen. Sogar ihre Rhetorik hat sie innerhalb kürzester Zeit an jene der FPÖ angepasst: So sprach sie bei Veranstaltungen davon, dass man „Arbeitsmigration stoppen“ und die „Grenzen dichtmachen“, dafür der Ausgrenzung der FPÖ ein Ende setzen müsse. Bevor man auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen schaue, müssten die „der eigenen Leute“ beachtet werden.

Und kaum bei der FPÖ, betonte sie auch mehrmals, dass sie aus einer jüdisch-christlichen Familie käme. Zu ÖVP-Zeiten war ihr das kaum eine Erwähnung wert. Aus strategischen Gründen – Abgrenzung gegen Muslime – wurde es plötzlich interessant.

Ein Geben und Nehmen

Die frühere Vorzeige-Bürgerliche rückt also nach rechts – und Strache von dort durch Stenzel und ihren Einsatz für die Partei in der Wahrnehmung vieler wohl ein wenig Richtung Mitte. Der Parteichef gab sich auch sonst in diesem Wahlkampf ungewohnt gemäßigt: Die Plakate schossen weniger scharf als gewohnt gegen Ausländer. In Diskussionen blieb er stets ruhig, sprach mit tiefer Stimme. Strache und Stenzel nützten einander gegenseitig: Er braucht sie, um breitere Schichten anzusprechen. Sie ihn, um weiterhin in der Wiener Politik mitspielen zu dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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