Mehr Stenzel als Strache: Der letzte "freiheitliche" Stadtchef

Stenzel und Strache
Stenzel und Strache APA/HERBERT PFARRHOFER
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Bevor das Rote Wien geboren wurde, regierten Patrizier, Liberale und Christlich-Soziale im Rathaus. Ein Rückblick auf 733 Jahre Stadtgeschichte.

Ein Hähnchen steht im Familienwappen des Wiener Bürgermeisters. Nicht, weil dieser so gern isst. Sondern des Namens wegen, ist doch vom ersten Wiener Bürgermeister die Rede. Chunradus Pullo hieß er laut der auf den 22. August 1282 datierten Urkunde (pullus ist Latein für Hähnchen). Der erste Stadtchef (Magister Civium) wurde auf Deutsch Konrad Poll genant. Mit einem heutigen Bürgermeister war er kaum vergleichbar. Demokratische Wahlen gab es nicht, jahrhundertelang sollten Leute aus reichen Patrizierfamilien dieses Ehrenamt für sich gewinnen können.

Richtig spannend wurde es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die bürgerliche Revolution von 1848 hatte mit einer Niederlage geendet, der Absolutismus kehrte zurück. Doch verhängnisvolle Schlachtenstürzten die Monarchie in eine Krise. Man brauchte dringend Kredite, das Großbürgertum konnte sie geben und bekam dafür Mitbestimmung. Es war die Stunde der Liberalen, die nun bei den Wahlen in Wien erfolgreich waren. Eine besonders schillernde Figur war dabei Cajetan von Felder, der 1868 das Bürgermeisteramt übernahm.

Er initiiert die Hochquellwasserleitung, setzt den Grundstein zum heutigen Rathaus, schafft den Zentralfriedhof. Der Name des Bürgermeisters fällt auch im heurigen Wahlkampf öfter. FPÖ-Kandidat Heinz-Christian Strache betont nur zu gern, der „erste freiheitliche Bürgermeister nach Cajetan Felder“ werden zu wollen.

Aber inwiefern steht Strache in einer Reihe mit dem einstigen Bürgermeister? „Felder war ein konservativer Liberaler“, sagt Historiker Lothar Höbelt. Diesbezüglich könnte man also Parallelen ziehen.

Felder: Mehr Stenzel als Strache

Jedoch: „Das Demokratisch-Populistische hatte Felder nicht“, betont Höbelt im Gespräch mit der „Presse“. Eine Ursula Stenzel würde mit ihrer „etwas elitären, patriarchalischen Einstellung“ schon besser in die Fußstapfen Felders passen, sagt der Historiker. Wenngleich natürlich zu Felders Zeit eine Frau als Politiker undenkbar gewesen sei. Aber auch ein Johann Gudenus würde eher in eine Reihe mit dem einstigen Stadtchef passen als Strache, meint Höbelt.

Felder muss schon des Zensuswahlrechts wegen kein Vertreter des kleinen Manns von der Straße sein. Nur, wer genug Steuern zahlte, durfte damals votieren – je höher die Steuerlast, desto höher das Stimmgewicht. 1868 waren rund 20.000 der 600.000 Wiener wahlberechtigt.

Während Strache mit Sozialleistungen wirbt, war dies für Liberale des 19. Jahrhunderts ein Tabu. Wohnbau, Gas, öffentlicher Verkehr waren wie selbstverständlich in der Hand von Privaten. Wenngleich Leistungen wie die Hochquellwasserleitung allen zugutekamen. „Der Hütte der Armen sowie dem Palast der Reichen sollen die Wohltaten dieses Wunderwerks zugutekommen“, sagte Felder dazu.

Angst vor Fremden hat Felder nicht, er gilt als sehr polyglott: Als Student geht er zu Fuß durch Europa, erlerntviele Sprachen, auch nach Afrika zieht es ihn. Seine politische Heimat ist (aber wie das Dritte Lager heute) vor Abspaltungen nicht gefeit. Die Mehrheit im Gemeinderat kommt in Gefahr. Felder verlässt 1878 das Rathaus.

Das schwarze Wien

In den Folgejahren zeigt sich immer mehr, dass die Christlich-Sozialen die Oberhand gewinnen. Die von 1873–1896 dauernde große Depression hatte viele arm gemacht. Und neue Wahlkurien brachten auch nicht vermögenden Männern nach und nach das Wahlrecht.

1888 hatten sich Deutschnationale und Christlichsoziale bei den Gemeinderatswahlen zu einer Wahlgemeinschaft zusammengeschlossen. Fünf Jahre später sollte Karl Lueger die Christlich-Soziale Partei gründen, die 1895 die Mehrheit im Gemeinderat erringt.

Erst verhindert Kaiser Franz Joseph (einst Felder-Fan), dass der wegen seiner sozialrevolutionären und antisemitischen Einstellung bei Hof gefürchtete Lueger das Bürgermeisteramt führt. 1897 wird der im Volk populäre Lueger doch Bürgermeister und durch Reformen und Bauten noch beliebter im gemeinen Volk. Seinen Tod 1910 betrauert selbst die rote „Arbeiter-Zeitung“. „Man wird sich diese große Stadt ohne ihn nicht leicht vorstellen können“, schreibt sie.

Doch nun steht das Rote Wien vor der Tür. 1919 bringt das Wahlrecht für alle Männer und Frauen die Absolute für die Sozialdemokraten. Bürgermeister Jakob Reumann forciert sozialen Wohnbau, Nachfolger Karl Seitz etwa auch das Gesundheitswesen. 1934 übernimmt der austrofaschistische Ständestaat und 1938 die NS-Diktatur das Ruder in Wien. Schon bei den ersten Gemeinderatswahlen 1945 aber werden wieder die Sozialisten die klar tonangebende Kraft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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