Weltstadt Wien? Alles nur ein Irrtum!

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THEMENBILD: WIEN / UeBERSICHTAPA/HELMUT FOHRINGER
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Vielleicht lässt sich der prognostizierte Erfolg der Freiheitlichen in Wien mit einer einfachen, gewagten und essayistisch hoffentlich hübsch verpackten These erklären: Viele Wiener wollen nicht Weltstadt sein oder werden.

Der leider verstorbene Freund aus Tirol, ein brillanter Historiker und Humorist, liebte seine Erzählung über das alte Wien: Er sei vor vielen Jahren einmal mit dem Zug am Westbahnhof angekommen, habe kurz in Richtung Mariahilfer Straße geschaut und sei entsetzt wieder mit dem nächsten in den hellen Westen zurückgefahren.

Das passt zur großen Legende der Wiener Stadtgeschichte. Dass früher die Stadt grau und trist gewesen sei. Dass es konservativ und bieder zuging. Dass Nachtleben am ehesten mit FS 1 und FS 2 verbunden wurde. Dass die Gehsteige am frühen Abend hochgeklappt wurden. Dass man dann mangels offener Lokale ernsthaft zu verhungern drohte. Dass die Nähe zum Ostblock auch optisch spürbar war. Dass Wien eine böse Provinzstadt mit zu vielen Einwohnern war.

Dann aber sei es zu einer geplanten, mehrere Jahre andauernden und vielleicht nachhaltig wirkenden Revolution der Stadt und ihrem Stadtleben gekommen. Wien sei zum eleganten Berlin geworden. Plötzlich sind wir eine kleine Weltstadt, verkünden wir stolz und glauben es erstmals. Die Stadt wurde bunt und lebendig. Festivals und analoge Start-ups machten die Stadt liebenswert, Touristen und Ostöffnung brachten ein leicht kosmopolitisches Flair. Bauten wie das Museumsquartier, die neue Wirtschaftsuniversität, der Hauptbahnhof und neue Stadtteile bringen einen Hauch weite skandinavische Welt nach Wien.

Abgesehen davon, dass das immer wieder gezeichnete Bild von Gehsteigen, die hochgeklappt werden, sonderbar und fast kindlich ist. So schwarz und weiß war und ist Wiens Geschichte nicht. Soll heißen: So langweilig kann es in den 70er Jahren nicht gewesen sein, denkt man an Aktionismus, sexuelle Revolution und die Studenten in der Stadt. Und vor allem: Es gibt noch genügend graue, triste Ecken in Wien. Und auch wochentags ist das Angebot von Wien mit echten Großstädten wie London, Paris oder Berlin nicht im Ansatz vergleichbar.

Aber das ist auch völlig irrelevant: Clubs, Nachtleben, eine neue Universität und ein elegantes Kulturangebot interessiert nur eine Minderheit. So verhallen die Lebensqualität-Studien, die das Rathaus und die gut gemästeten kleinformatigen Zeitungen der Stadt stolz verbreiten lassen: Schön, dass internationale Manager, die ihre Kinder in Privatschulen und ihre Frauen ins Fabios schicken, Wien so sehr schätzen. Aber was haben die ganz normalen Wiener mit mehr oder weniger ausgeprägtem Migrationshintergrund davon? Und toll, dass pro Jahr 25.000 Menschen aus den Bundesländern und EU-Ländern nach Wien ziehen? Aber was bringt das denen, die hier schon eine Wohnung suchen? Und großartig, wenn die deutsche Wohngemeinschaft nebenan begeistert vom Preisleistungsverhältnis des Grünen Veltliners und der dazu passenden Wanda-Nummer ist, aber was hilft das als Aussicht für die Zukunft?

Man könnte schreiben: Die Spitzen der Wiener Stadtregierung glaubten irgendwann ihren eigenen Inseraten: dass Wien großartig, sauber und schön ist. Ist es im Vergleich zu anderen Städten auch. Aber der Mensch lebt nicht im Vergleich. Der Mensch will etwas vom Boom haben. Wenn alles wächst und gedeiht, will er das am Konto, im Sicherheitsgefühl und dem Fehlen jeglicher Zukunftsängste deutlich bemerken. Und das passierte vielen Wienern definitiv nicht. Dafür sorgten Finanz- und Wirtschaftskrise, aber eben auch die Veränderung der Stadt.

Die geht tatsächlich deutlich in Richtung Großstadt. Warum die Stadt Wien so lange zögerte, dies und das Wachstum Wiens zu kommunizieren, ist leicht erklärt. Weltstadt heißt auch steigende Immobilienpreise, mehr Verkehr, also Stau, und hartes Gegensteuern der Stadtpolitik mit Parkplatz-Verknappung und Co. Einige Gegenden, wie die Innenstadt, werden zum klinisch schönen Luxus-Raum. Es wird lauter und bevölkerter in Straßen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Es heißt aber vor allem auch: Wien bekommt multikulturellen Charakter. Und das schon vor dem aktuellen Zustrom der Flüchtlinge. Vor allem Zuwanderer aus dem türkischen und arabischen Raum prägen Wien wie viele Städte in Deutschland und der EU. In vielen Wiener Schulen stellen Kinder mit einer anderen Muttersprache die Mehrheit. Nicht wenige Wiener mit Deutsch als Muttersprache weichen in Privatschulen aus. Ins behütete, parallele Universum.

Ist das auch Xenophobie? Angst vor Fremden? Und verändert sie sich innerhalb von Generationen? Wer empfindet etwa Kroaten in Wien nicht als Freunde? Nicht einmal die FPÖ. Das war in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die heillos überbewertet und glorifiziert werden, ganz anders.

Die Liebe des Wieners zum Dörflichen, zum Konstanten ist unübersehbar. Gerade in den vergangenen Jahren wurden die Grätzeln – Wienerisch für die neudeutschen Neighbourhoods – endlich stärker gehegt und gepflegt - vielfach ohne städtische Subvention, sondern mittels Eigeninitiative.

Alles soll so bleiben, wie es ist, lautet die heimliche Devise, und unter den politischen Parteien Wiens haben sich drei diese zur Parteilinie gemacht. Die Sozialdemokraten stehen wie keine andere Partei für das Rote Wien, das ewig währen möge. Kein anderer Politiker mit Ausnahme von Erwin Pröll setzt so deutlich auf Konstanz wie Michael Häupl. Die ÖVP versuchte über Jahre ebenfalls den Erhalt des alten Wiens zu propagieren, am stärksten hatte Ursula Stenzel im ersten Bezirk diese Rolle übernommen. Einst hatte ein gewisser Erhard Busek die Dorferneuerung von Wien ausgerufen und mit der heute maroden Wiener ÖVP echte Erfolge gefeiert.

Er wurde unfreiwillig zum Thinktank der Stadt Wien: Helmut Zilk und später Michael Häupl übernahmen fröhlich die Realisierung so mancher Idee des bunten (Busek) und des grantigen Vogels (Jörg Mauthe). Im Gegensatz zur aktuellen Stadtpolitik ging es damals um die starke Identitätswahrung der Wiener Kultur – was heute teils auf der Strecke bleibt. Die Freiheitlichen wollen ohnehin alles konservieren und bewahren. Die für die Stadtentwicklung interessanteste und wohl gefährlichste Koalitionsvariante wäre Rot-Blau: Das Geld wäre abgeschafft. Mehr soziale Absicherung für die eigenen Wähler würde es nie wieder geben. Veränderung plakatieren zwar die Neos: Wie genau die aussehen solle, sagen sie nicht. Die Ausgaben der Stadt sollen schlanker werden. Aber sonst vertraut die Partei darauf, habituell mit dem Selbstbewusstsein der höheren Töchter und Söhne den Aufbruch ins Irgendwo zu schaffen.

Die Grünen stehen aus der strategischen Not am stärksten für die Veränderung Wiens: Plötzlich in einer Regierung mit dem komplizierten Stadtplanungsressort ging es darum, in kurzer Zeit möglichst sichtbar die Stadt zu verändern. Fußgängerzonen und bunte Minigolf-Fahrradwege waren die Folge. Dass deren Belag schon wieder ein wenig abblättert, passt schon wieder fast ins kleine Bild. Die Maßnahmen der Grünen zielen in erster Linie darauf, Wien nach ihrer klar definierten Vorstellung zu ändern: mehr Vielfalt, weniger Verkehr, heißt es da. Inhaltlich sind sie somit die Gegenthese zur FPÖ. Und verstören als Koalitionspartner (un)absichtlich weite Teile der SPÖ-Anhängerschaft, die möglichst wenig Umstellung will. Selbst wenn die Grünen mit Stadtmöbeln und Fahrrädern in letzter Konsequenz doch eigentlich nur Dorfverschönerung betreiben.

Optisch waren große Veränderungen in Wien immer umstritten: Das Museumsquartier durfte nicht einmal ein Ausrufezeichen in Form eines kleinen Turms bekommen, „Krone“ und ein Möbelhändler, der um seine Aussicht fürchtete, verhinderten die Vollendung des architektonischen Gesamtkonzepts einfach und effizient. Die Lücken auf der Donauplatte und zu St. Marx zeigen ebenfalls: Es wird lange gestritten bis (nicht) gebaut wird. Kein Museum und keine Institution will etwa den kleinen ersten Bezirk verlassen, wo es heimelig touristisch ist. Und die Adresse nobel. Und auch in der Kulturpolitik reichte der Besuch des Claus Peymann am Wiener Burgtheater und Thomas Bernhards Prosa, um die angeblich großstädtischen Emotionen gefährlich hochgehen zu lassen.

Natürlich gibt es Wien mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten: Da wären einmal die Innengürtel-Bezirke plus den teuren Wienerwald-Bezirken 13, mit Einschränkungen 14, 16 und 12, vor allem aber 18 und 19, deren Bewohner eine andere Sprache sprechen als jene in Favoriten, Simmering, in der Donaustadt oder in Floridsdorf, wo Grüne, Wohngemeinschaften und ÖVP-Politiker exotisch sind. Viele Wiener kennen die jeweils andere Fraktion und den Bezirk nur sehr bedingt. Leben in ihrer kleinen Welt aus Bezirk, Arbeitsplatz und Lieblingsrestaurant.

Nicht wenige in der SPÖ werfen Michael Häupl vor, er habe stärker auf Akademiker-Stadtbezirke und zu wenig auf die Gegenden, in denen die FPÖ schon an die Tür klopft, Rücksicht genommen. Das beweise die Auswahl seiner Stadträte ebenso wie die des Koalitionspartners, der Grünen. Für diese und deren Projekte gebe es zu viel Geld, zu viel Diskussion und zu viel mediale Aufmerksamkeit, lautet der kommunizierte Tenor der Unzufriedenen. Und viel spricht dafür, dass heute, Sonntag, sie ihr Kreuz woanders machen. Während die anderen in der Stadt dem Bürgermeister aus Angst vor der FPÖ die Unterstützung schenken.

Michael Häupl prägte die Stadt wie kaum ein kommunaler Monarch zuvor. Dabei hatte es sie sonder Zahl gegeben. Er schuf ein System mit viel Werbung, bequemen, scheinbaren Wahrheiten, die Interpretationsspielraum ließen, er ließ enorm viel Geld ausgeben, um die Auswirkungen der Krise möglichst zu dämpfen. Der Schuldenberg schwoll auf einen Rekordstand an. Er tat dies auch, damit sich für viele möglichst wenig ändert. Aber das konnte nicht einmal ihm gelingen.

Vielleicht hätte sich Michael Häupl selbst mehr verändern müssen, um das neue Tempo der Stadt erklären und vorleben zu können. Vielleicht ist er zu lethargisch und wienerisch gewesen. Und vielleicht ist es jetzt zu spät.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

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