Und jetzt? Sieben Thesen zur Wien-Wahl

Auf der Suche nach dem Hausmeister-Ersatz: Michael Häupl will in den Bezirken künftig „Vertrauenspersonen“ installieren
Auf der Suche nach dem Hausmeister-Ersatz: Michael Häupl will in den Bezirken künftig „Vertrauenspersonen“ installieren(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wie die SPÖ die blauen Grätzel wieder umfärben will, die Grünen ihre Glaubwürdigkeit beschädigen, und warum Rot-Schwarz nun so gut wie ausgeschlossen ist.

1 Die SPÖ hat Leihstimmen gewonnen, aber an Stammpublikum verloren. Nun will die SPÖ die Grätzel zurückerobern.

„Hauptsache, Strache verhindern“: Unter diesem Motto hat sich die Wiener SPÖ überraschend deutlich vor der FPÖ ins Ziel gerettet. So sind aus diesem Grund 17 Prozent der Grün-Wähler von 2010 nun zu Häupl gewechselt. Doch diese Stimmen werden bei der nächsten Wahl zurückwandern, während die Probleme bleiben. Denn auch wenn die FPÖ ebenfalls manche Stimmen bloß „geliehen“ hat (siehe S. 2), so hat sie doch rote Stammbezirke erobert: Simmering, eventuell Floridsdorf. Die Donaustadt und Favoriten konnten nur knapp gehalten werden. Seit Jahrzehnten sucht die SPÖ ein Rezept gegen den Schwund wegen der Blauen, nun will Häupl bis Ende November eines finden. Neben einer programmatischen und organisatorischen Parteireform ist die Rückeroberung der Grätzel dabei zentral. „Zu viele Menschen mit sozialen Problemen haben keine Ahnung, was die Stadt anbietet“, meint Häupl. Er will eine Vertrauensperson pro Grätzel als Ansprechpartner für diese Menschen installieren. De facto ist das eine Art Ombudsmann oder Hausmeister für die roten Grätzel, da es in immer mehr Gemeindebauten (nach einer Reform unter Schwarz-Blau) keine Hausmeister mehr gibt.

2 Die geteilte Stadt: Polarisierung hat sich bei der Wahl ausgezahlt. Deshalb folgt nun ein linkes Match.

Das inszenierte Duell, die Flüchtlingsfrage haben die Stadt polarisiert und die Wahlbeteiligung (hochgerechnet 74,4 Prozent) gesteigert. Der Vergleich mit Oberösterreich zeigt: Michael Häupl konnte mit seiner klaren und taktisch stark betonten „Helfen“-Haltung die Verluste in Richtung FPÖ besser eindämmen als Josef Pühringer in Oberösterreich, der etwa doppelt so viele Prozentpunkte verlor. Nach diesem „Erfolg“ wird die Wiener SPÖ, die in der Flüchtlingsfrage weit nach links gerückt ist, dort auch bleiben. Und sich künftig ein linkes Match mit den Grünen um dieselben Wähler liefern.

3 Das Wahlergebnis hat Einfluss auf die Häupl-Nachfolge. Michael Ludwigs Chancen sind nun schlechter.

Der Bürgermeister kokettiert damit, 2020 wieder anzutreten. Wahrscheinlicher ist aber, dass er sein Amt innerhalb von eineinhalb Jahren übergibt, um seinem Nachfolger Zeit zur Profilierung zu geben. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder ist (weiterhin) heißer Anwärter. Der Name von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig fällt dagegen kaum mehr. Er verlor „seinen“ Bezirk, Floridsdorf, an die FPÖ.

4 Der Rücktritt vom Rücktritt. Die Grünen beschädigen ihre Glaubwürdigkeit. Schon wieder.

Im Fall von Verlusten versprach die grüne Frontfrau, Maria Vassilakou, mehrfach, sie werde zurücktreten. Nun heißt es: Das sei „überhaupt kein Thema“. Damit verfestigen die Grünen ihr Sesselkleber-Image: Schon im Streit um die Wahlrechtsreform tobten die Grünen verbal, blieben aber auf der Koalitionsbank sitzen. Auch an 2010 erinnert man sich: Alexander Van der Bellen gelang dank Vorzugsstimmen der Einzug in den Gemeinderat, er blieb trotzdem bis 2012 im Nationalrat – weshalb für ihn der Sonderposten als Wiener Uni-Beauftragter geschaffen wurde.

5 Kein Mariahilfer-Straßen-Bonus: Auch auf Bezirksebene ist das Ergebnis der Grünen mager.

Sieben Bezirke wollten die Grünen holen, zwei schafften sie – neben Neubau auch noch Währing. In 19 von 23 Bezirken verloren sie Stimmen. Mag sein, dass die Flüchtlingsfrage eine Rolle gespielt hat, aber eigentlich geht es auf dieser Ebene um anderes: etwa um Verkehr. Die Ankündigung flächendeckender Begegnungszonen scheint verschreckt zu haben; Außenbezirke fühlten sich benachteiligt.

6 Bezirkskaiser statt Bürgermeister. Die FPÖ kann im Kleinen zeigen, ob sie regieren kann.

Ab einem Drittel der Mandate im Gemeinderat kann die FPÖ mit Sperrminorität Verfassungsgesetze verhindern, zudem steht ihr – konkret: Johann Gudenus – der Vizebürgermeistertitel zu (ohne Ressort). Wichtiger ist aber, dass die FPÖ nun erstmals Bezirksvorsteher stellt – in Simmering, eventuell auch in Floridsdorf. Damit kann die ewige Oppositionspartei zumindest auf Bezirksebene vorführen, welche praktischen Lösungen sie hat. Die Oppositionsrolle wird man dennoch auch im Bezirk weiterspielen – im Match mit dem (vermutlich rot-grünen) Rathaus.

7 Schlecht für Schwarz: Die Neos sind die neue Stadt-ÖVP. Und: Eine Blümel-Koalition will Häupl eher nicht.

Die Wiener ÖVP hat vor allem an FPÖ und Neos verloren – die Stadtschwarzen stecken also in einer Zwickmühle, auch der Zeitpunkt für die Neuerfindung als liberale Stadtpartei scheint verpasst – diese gibt es ja nun schon. Dass Gernot Blümel Chef wird, verheißt zumindest für Koalitionsträume nichts Gutes: Einer „von der Bundes-ÖVP ferngesteuerten Wiener ÖVP“ steht Häupl skeptisch gegenüber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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