ÖVP zu SPÖ-Schwenk bei Wehrpflicht:"Häupl sollte sich schämen"

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SPÖ(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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In der ÖVP steigt der Ärger über den abrupten 180-Grad-Schwenk der SPÖ in Sachen Wehrpflicht. ÖVP-Klubobmann Karl-Heinz Kopf: „Dieses Verhalten ist dem eines Bürgermeisters einer Hauptstadt unwürdig.“

Wien. Der abrupte Meinungsumschwung der SPÖ in Sachen Wehrpflicht sorgt für scharfe Kritik beim Koalitionspartner ÖVP, für Stirnrunzeln in den eigenen Reihen und für Alarmstimmung im Bundesheer selbst. Am deutlichsten bringt ÖVP-Klubobmann Karl-Heinz Kopf die Stimmung in seiner Partei über den plötzlichen Sinneswandel von Wiens Bürgermeister Michael Häupl auf den Punkt: „Häupl sollte sich schämen. Dieses Verhalten ist dem eines Bürgermeisters einer Hauptstadt unwürdig.“

Der Stellvertreter von SPÖ-Chef Werner Faymann in der Partei hat via „Krone“ eine Volksbefragung über die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht gefordert und gleichzeitig keinen Hehl daraus gemacht, dass er dessen Ende befürworte. Nach einer Schrecksekunde reagiert die Volkspartei, in der man etwa unter Wolfgang Schüssel immer wieder mit der Einführung des Berufsheeres geliebäugelt hat, nun äußerst verschnupft.

Für Kopf ist es unverständlich, dass Häupl und mit ihm die SPÖ-Spitze in einer so wichtigen sicherheitspolitischen Frage plötzlich Wahlkampfmanöver durchführe. Das sei verantwortungslos. Dass sich die ÖVP vor nicht allzu langer Zeit selbst mit der Idee eines Berufsheeres angefreundet hat, ist für Kopf kein Widerspruch: Es gelte auch im Rahmen der Neuformulierung der Sicherheitsdoktrin, eine neue Ausrichtung der österreichischen Verteidigungspolitik zu finden.

Diese soll Außenminister Michael Spindelegger mit seinem Kollegen, Verteidigungsminister Norbert Darabos, ausarbeiten, was nach dem Schwenk der SPÖ nicht leichter werden dürfte. Spindelegger – er befindet sich gerade auf Dienstreise in der Türkei – sagt über Darabos: „Die geringe Halbwertszeit seiner Aussagen erschüttert mich.“

Zurückhaltung auch in den Reihen der SPÖ

Tatsächlich hat der Verteidigungsminister noch vor Kurzem gemeint: In der ÖVP arbeite eine Expertengruppe an der Abschaffung des Bundesheeres und an der Abschaffung jener Aufgaben, die das Heer ausmachen. Und: „Ohne dass ich die Menschen in Österreich in Schrecken versetzen möchte: Aber dann wäre der Katastrophenschutz passé, und die Auslandseinsätze wären nicht mehr durchführbar.“ Spindelegger selbst will an der Wehrpflicht vorerst festhalten. Und er glaubt auch: „Ich nehme nicht an, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird. Am Sonntag ist die Wahl vorbei, aber das Problem bleibt.“ Das sei nicht die Wehrpflicht an sich, sondern eine Neuausrichtung des Heeres: „Ich bin für eine Wehrpflicht neu“, sagt Spindelegger. Was das heißt, kann oder will er noch nicht sagen.

In der SPÖ selbst scheint die Euphorie über den Schwenk auch nicht besonders groß zu sein. So lässt Sozialminister Rudolf Hundstorfer nur ausrichten, er wolle „im Einzelnen nicht dazu Stellung nehmen“. Und: „Das muss man gesamthaft diskutieren.“ Ähnlich verhalten der steirische Landeshauptmann Voves: „Es geht direkt wie indirekt um die Grundpfeiler, auf denen unsere Republik gebaut wurde. Aus diesem Grund sollte man eine derart richtungsweisende Frage nicht im Zuge einer so wichtigen Landtagswahl diskutieren.“

Im Bundesheer ist man naturgemäß eher für eine Beibehaltung der Wehrpflicht. „Ohne Wehrpflicht können wir die Aufgaben des Bundesheeres nicht erfüllen“, glaubt Eduard Paulus, Präsident der Offiziersgesellschaft. Speziell das Bewachen der Infrastruktur gehe nur mit großer Kopfzahl, aber niemals mit einem Berufsheer. Es sei „besonders ärgerlich“, dass Häupl im Wahlkampf „die Sicherheitspolitik als Teil der Kommunalpolitik entdeckt hat“, sagt Paulus.

Auch der Vorsitzende des Verbands sozialdemokratischer Offiziere, Brigadier Franz Reiszner, ist an sich für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Denn diese sorge für eine „Durchlässigkeit“ des Systems und verhindere, dass sich im Heer extreme Strömungen etablierten. Eine offene Diskussion über verschiedene Varianten, auch über ein Berufsheer, sei aber zu begrüßen, sagt Reiszner, ganz auf Parteilinie.

Wilhelm Waldner, Vorsitzender der Bundesheergewerkschaft in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, plädiert klar für die Wehrpflicht. „In Kenntnis der Rahmenbedingungen, der Größe des Landes und der österreichischen Politik glaube ich nicht, dass ein Freiwilligenheer machbar wäre.“ Denn ein Berufsheer wäre nicht nur an sich schon teurer – es würde auch moderne Gerätschaften brauchen, sagt Waldner.

Dabei wisse jeder, dass das Heer schon jetzt finanziell ausgehungert sei. Außerdem: Der Katastrophenschutz sei nur mit dem derzeitigen „Mischsystem“ aus Grundwehrdienern, Berufssoldaten und Milizsoldaten bewältigbar.

Auf einen Blick

In der „Krone“ vollzog der wahlkämpfende Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, am Montag den Schwenk in der SPÖ-Parteilinie – und sprach sich für eine Volksabstimmung zur Wehrpflicht aus. Werner Faymann folgte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2010)

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