Gustav Orglmeister: Der letzte k.u.k Stadtbaumeister

(c) FABRY Clemens
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Heute fast unbekannt, prägte der Architekt Wiens Stadtbild. Miethäuser, Bürogebäude, Warenhäuser – auch die Kaasgrabenkirche stammt von ihm.

Um 1900 war das niederösterreichische Wechselgebiet bevorzugtes Erholungsgebiet der wohlhabenden Urlauber aus den k.u.k. Kronländern. Nach dem 1. Weltkrieg blieben diese Gäste aus und bald wurden die zahlreichen jüdischen Villenbesitzer und Sommerfrischler in die Emigration gezwungen. Der sowjetischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg folgte das Wirtschaftswunder, welches die Reiselust nach weiteren Fernen weckte. Der Wechsel versank damit in einen Dornröschenschlaf.

Die Verbindung des aus Prag stammenden Architekten und Baumeisters Gustav Orglmeister mit dem Wechselgebiet beschränkt sich nicht nur auf den Bau einer Jugendstilvilla – aus Fertigteilen – in Molzegg bei Kirchberg am Wechsel für den Industriellen Wilhelm Schrantz. „Sein Urenkel Dietmar Orglmeister ist Pfarrer von Mönichkirchen“, erzählt Erika Sieder, eine Lokalforscherin, die sich schon 2005 mit ihrem Werk „Bürger-Bauer-Edelmann. Wien-Baden-Mariensee am Wechsel“ Meriten erwarb.

Jetzt hat sie sich dem umfangreichen Œuvre Gustav Orglmeisters gewidmet, des letzten großen Stadtbaumeisters der Monarchie. Ihre Recherchen in Italien, Österreich, Polen, Slowenien, Tschechien und der Ukraine erbrachten eine beeindruckende Materialfülle. Innovative Ideen, ausgeführt unter Nutzung modernster technischer Entwicklungen, waren das Markenzeichen seiner Bautätigkeit. Seiner Ausbildung in der Kunstgewerbeschule von Reichenberg (heute Liberec) und einem Praktikum im Atelier des Architekten Schumacher – mit welchem bereits die Architekten Rieß zusammengearbeitet hatten – folgte 1892 mit dem Jugendfreund Franz Kupka die Gründung der Baufirma „Kupka & Orglmeister“.

Die Kaasgrabenkirche

1908 wandte sich der Kompagnon dem Alpinismus zu, Orglmeister führte seine Firma bis in die Dreißigerjahre erfolgreich weiter. Sein Beitrag zum Flair Wiens ist heute noch zu sehen und zu spüren.
Auffällig war die Stilgebung der einzigen von dem Bauunternehmen errichteten Kirche (Kaasgrabenkirche, Wien XIX, Stefan-Esders-Platz). Gotische oder romanische Formen dominierten damals den Kirchenbau. In dem noch unverbauten Gebiet sollte mit einer barocken Einturmkirche die Assoziation an „Landkirchen aus früherer Zeit“ geweckt werden. Dem Stifter Stefan Esders (siehe unten) wurde damit aber auch ein ideelles Statussymbol verliehen. Heute zählt das Gotteshaus zu den beliebtesten Hochzeitskirchen der Stadt.

Die hufeisenförmige, „fließende“ Form der zur Kirche hinaufführenden Rampe verweist jedoch auf das Formempfinden der Zeit. Bei der Ausführung des Kirchenbaus kam die neueste Bautechnik in Beton und Eisenbeton zum Einsatz, wie die Firma überhaupt in technischer Hinsicht über die modernsten Methoden verfügte.

„Die Wocheinerbahn (Bohijnska Proga) ist mit der Brückenkonstruktion über den Isonzo Weltkulturerbe“, sagt Erika Sieder, „die Kaiserin-Elisabeth-Statue des Bildhauers Franz Seifert vor dem Triestiner Hauptbahnhof begrüßt heute wieder die Touristen, das Magazin Nr. 2a im Triestiner Hafen ist noch in Betrieb.“ Kaufhäuser, Fabriken, Spitäler, Villen und Mausoleen spiegeln die Vielfalt der Ideen und dokumentieren die Qualität seiner Bauten. Beeindruckend ist die Werkliste Orglmeisters mit ihrer Vielzahl an Wiener Mietshäusern. Er selbst geriet jedoch völlig in Vergessenheit.
Erika Sieder
„. . . tout Vienne!“
Gustav Orglmeister 1861-1953
Bibliothek der Provinz, Weitra, verlag@bibliothekderprovinz.at 365 Seiten, € 28

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2012)

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