Casablanca im Schein der »Fackel«

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Vor 70 Jahren kam „Casablanca“ ins Kino. Der Film war von der Geschichte schon überholt, denn in Französisch-Marokko, wo die Handlung spielt, waren gerade alliierte Truppen gelandet.

Vor allem mit mehr oder weniger falsch ins Deutsche übersetzten Zitaten wie „Schau mir in die Augen, Kleines“ und „Spiel's noch einmal, Sam“ (siehe „Lexikon“) hat sich ein Hollywoodstreifen auch ins deutschsprachige Filmgedächtnis eingebrannt: das politisch grundierte Liebesmelodram „Casablanca“ mit dem Amerikaner Humphrey Bogart und der Schwedin Ingrid Bergman in den Hauptrollen.

2002 wurde er vom American Film Institute zum besten US-Liebesfilm aller Zeiten gewählt. Dabei geht es in dem Film, der am 26.November 1942 erstmals ins Kino kam, nämlich in New York, um viel mehr als die in Kriegswirren zerrissene Liebe zweier Flüchtlinge. 70 Jahre nach Erscheinen des Klassikers lohnt es sich, dessen historische Hintergründe genauer zu betrachten – allein schon deshalb, weil die in Französisch-Nordafrika angesiedelte Handlung von „Casablanca“ zu diesem Zeitpunkt von der Geschichte des Zweiten Weltkriegs schon überholt worden ist.

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Als im Sommer 1940 die Wehrmacht in Paris einmarschierte und den Norden Frankreichs eroberte, einigte man sich im Waffenstillstand von Compiègne darauf, im unbesetzten Süd- und Zentralfrankreich und den Kolonien Frankreichs (darunter Marokko, Algerien, Tunesien) eine deutschfreundliche Marionettenregierung zu installieren. Der konservative Veteran des Ersten Weltkriegs, Marschall Philippe Pétain, wurde Präsident der Pseudorepublik „Vichy-Frankreich“ mit Amtssitz im Kurort Vichy in der zentralfranzösischen Auvergne.

Unter Pétain entstand ein restriktiver Polizeistaat, der den Widerstand der Résistance gegen die Deutschen unterdrückte. Selbst die Losung der Französischen Revolution, „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, wurde in „Arbeit, Familie, Vaterland“ geändert, um der neuen Staatsräson Ausdruck zu verleihen. Den Deutschen gegenüber wollte Vichy auf Zeit spielen und durch Zugeständnisse ein Minimum an französischer Autonomie bewahren.

Der undurchsichtige Renault. Pétains Gegenspieler, Oberst Charles de Gaulles, war Gegner des Waffenstillstands. Nach Pétains Machtübernahme ging er nach Großbritannien, um von dort aus die Résistance zu unterstützen und den Exilwiderstand zu organisieren. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse entstand der Stoff zu „Casablanca“, der im Kern (konkret in der Figur des undurchsichtigen Polizeichefs Captain Renault) die ambivalente Haltung der Vichy-Kollaborateure zu Deutschland behandelt.

Im Film spielt der tschechische Widerstandskämpfer Victor László (dargestellt von Paul Henreid, einem gebürtigen Österreicher aus Triest), der mit seiner Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman) über Marokko nach Portugal und weiter in die USA fliehen will, aber von deutschen Offizieren verfolgt wird, eine entscheidende Rolle: Die Szene in „Rick's Café“ (dessen Besitzer gibt Humphrey Bogart) in der marokkanischen Küstenstadt Casablanca, bei der er die Band auffordert, die Marseillaise zu spielen, um die singenden deutschen Soldaten zu übertönen, zeigt die Zerrissenheit in der Region anno 1942.

Freilich waren es nicht die Tschechen, deren Widerstand im November 1942 tatsächlich zur Landung US-britischer Truppen in Französisch-Nordafrika im Rahmen der „Operation Torch“ (Fackel) beitrug: Wie eine englisch-polnische Historikerkommission 2005 feststellte, hatten Polen in Nordafrika ein dichtes Spionagenetz, es war entscheidend für die Landung der Alliierten in der strategisch wichtigen Region. Die polnischen Agenten wandten sich vermehrt an die Briten, da Polen von Sowjetführer Josef Stalin in dessen Pakt mit Adolf Hitler von 1939 übergangen worden war. Stalin wiederum forderte 1942 von den Briten eine zweite Front im Westen, um die UdSSR im Krieg mit Deutschland zu entlasten.

Der Stoß von Südosten. Und so landeten im Morgengrauen des 8.November 1942 alliierte Truppen an den Stränden von Casablanca, Oran und Algier (siehe Karte und Artikel unten). Wider Erwarten leisteten die Vichy-französischen Truppen zunächst heftigen Widerstand, dennoch verlief „Torch“ erfolgreich, und die Vichy-Einheiten wechselten auf die Seite der Alliierten. Von Nordafrika aus konnten Briten, Amerikaner und Truppen des „freien Frankreichs“ 1943 nach Italien übersetzen.

Als „Casablanca“ am 26.November 1942 Premiere hatte, war die Stadt also schon befreit, im Jänner 1942 tagte hier die „Casablanca-Konferenz“, bei der der Brite Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt über den Krieg berieten, während in Russland noch die Schlacht um Stalingrad tobte. Das Medieninteresse nutzten die Macher von „Casablanca“ geschickt, um den Film werbewirksam zu promoten, als dieser im Jänner 1943 landesweit in die US-Kinos kam.

Der Kriegseintritt der USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 war auch an Hollywood nicht spurlos vorbeigegangen. Um die wenig kriegsbegeisterte US-Bevölkerung auf einen Krieg gegen Deutschland propagandistisch einzuschwören, gründete die US-Regierung 1942 das „United States Office of War Information“. Eine Aufgabe dieser Behörde war es, den Einfluss der Regierung auf Hollywood auszuweiten und alle Ressourcen für kriegsstrategisch wichtige Produktionen aufzuwenden.

Alles für die Propaganda. Auch „Casablanca“ folgte den Vorgaben der Behörde. Den Propagandazweck erfüllte die Lovestory im Weltkriegs-Setting jedoch ehrlicher und authentischer als so manch andere Produktion, die dem Film nachfolgen sollte. Viele der Schauspieler, etwa Paul Henreid und Peter Lorre, waren Exileuropäer und verkörperten in Casablanca jene Menschen, die gerade noch entkommen waren – so auch der Deutsche Conrad Veidt, der 1933 nach England und danach in die USA emigrierte und im Film in die Rolle des Nazi-Majors „Strasser“ schlüpfte. Unter den Statisten waren auch ausgewanderte Österreicher wie Ludwig Stössel und Ilka Grüning (siehe „Lexikon“).

Als der Film 1952 in die deutschen Kinos kam, war zunächst nur eine entpolitisierte, um 25Minuten gekürzte Fassung zu sehen. Mehr als 20 Jahre sollte es dauern, bis „Casablanca“ 1975 in Originalversion im TV ausgestrahlt wurde. Doch nicht nur im deutschen Sprachraum verschwieg man die antifaschistische Botschaft der vermeintlichen Liebesschnulze: Für die spanische Version, die noch während der Regierungszeit des spanischen Diktators Francisco Franco entstand, wurden alle Hinweise auf den spanischen Bürgerkrieg herausgeschnitten, da diese ein positives Licht auf Francos einstige republikanische Gegner warfen.

Der Film, der aneckte. Auch die italienische Version wurde geändert, da „Rick“, im Grund die Hauptperson, Abessinien 1935 im Krieg mit Italien mit Waffen beliefert haben soll. Nicht zuletzt der zweifelhafte Umgang der vormals faschistischen Länder mit dem Werk zeigt, welche politische Brisanz der größte US-Liebesfilm in sich birgt.

Um einen immer wieder falsch zitierten Satz, der aus einer „Casablanca“-Parodie aus dem Jahr 1946 stammt, noch weiter zu verfälschen: „Spiel's auch zum Siebziger, Sam!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)

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