Hannes & Charly, ein interessanter Paarlauf

Kreisky, Sinowatz
Kreisky, Sinowatz(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Gegensätze ziehen sich an: Vizekanzler Androsch und Zentralsekretär Blecha prägten Kreiskys Ära. Beiden fügte die Justiz schwere Schrammen zu, heute sind sie wieder „voll im Geschäft“.

Sie haben so vieles gemeinsam und sind dennoch derart verschieden, wie das nur Männer im gesetzten Alter sein können. Hannes Androsch und Karl Blecha. Der eine wird in der kommenden Woche 75, der andere gar 80. Ohne sie ist die heute oft verklärte Kreisky-Ära nicht denkbar. Der eine war zunächst Vorzugsschüler und geliebter Adoptivsohn des „Sonnenkönigs“, wurde später mit ebensolchen Emotionen vom Hof verstoßen und in den politischen Orkus geschubst; der andere, „der Charly“, wie sie ihn bis heute nennen, ein Schlitzohr sondergleichen, diente Kreisky als mächtiger Zentralsekretär, als Manager des riesigen Parteiapparats mit unbeschränkter Prokura.

Ideologisch waren sie einander als Hochschüler nicht grün. Da der linke Karl, der die Sozialistischen Studenten 1954 anführte und dann noch bis 1959 stellvertretender ÖH-Vorsitzender war. Ein Revoluzzer. Und auf der anderen Seite der rechte Flügelmann Hannes, der 1962 den VSStÖ führte – nach einer Kampfabstimmung mit den Linken. Ein Pragmatiker, ein Handwerker der Macht somit. Ein Buchprüfer, ein Steuerberater, kein Träumer.

Und gerade diese beiden Talente benötigte Kreisky wie einen Bissen Brot. Blecha hatte Soziologie studiert und war als Leiter des „Instituts für empirische Sozialforschung“ (Ifes) ab 1963 der erste wissenschaftliche Trend- und Meinungsforscher. Also ein Wahlkampfmanager, der dieses einzigartige Kunstprodukt namens „Kreisky“ über die Jahrzehnte hinweg verkaufen konnte. Der Abglanz seiner nachhaltigen PR-Bemühungen strahlt noch heute zu uns herüber wie der milde Abendsonnenschein.

Literarischer „Vorkoster“

„Alle sind ersetzbar, auch ich. Nur der Genosse Blecha nicht!“ Kreiskys Lobeshymne auf einem Parteitag Mitte der Achtzigerjahre trägt „der Charly“ noch heute wie eine Fahne vor sich her, auch in seiner Hagiografie, die ein „Krone“-Redakteur zum Siebziger verfasst hat, findet sich das Zitat mit besonderer Hervorhebung.

Tatsächlich war Blecha während vieler Jahre auch so etwas wie der literarische Vorkoster. „Er hat mir Berge von Büchern empfohlen, die ich für ihn exzerpieren musste“, erzählt Karl, der Senior. „Und wenn dir ein Zitat besonders gefällt, dann schreibst es mir auf!“ So wusste Kreisky an jedem Dienstag vor den Journalisten zu glänzen. Und wir staunten: Was der Alte wieder nächtens gelesen haben muss: „Meine Herren, da schreibt ein norwegischer Soziologe kürzlich . . .“ Oder: „Lesen Sie wieder einmal Anton Kuh, meine Herren, es lohnt sich!“ Oder: „Schlagen Sie nach bei Joseph Buttinger . . .“ Den freilich hatte er wirklich selbst intus.

Der Konflikt zerriss fast die Partei

In der Krise des Winters 1980/81, als Kreisky von seinem früheren Liebling Androsch endgültig genug hatte, stand Blecha eisern im Kreisky-Lager. Der Bruch eröffnete tiefe Klüfte in der Partei, die Kreisky nur sehr schwer überbrücken konnte. Er war krank, er war verbittert, er stützte sich auf Blecha und Fischer. Fischer war immer auf der richtigen Seite. Persönliche Animositäten der beiden Lager waren noch lange Jahre zu spüren, führten zu Ministerwechseln und eskalierten in einem 16 Jahre dauernden Finanzstrafverfahren gegen Androsch, das letztlich mit einer Verurteilung endete und auch zum Abbruch aller Beziehungen zu Franz Vranitzky führte. „Der Mann, der glaubte, Bundeskanzler gewesen zu sein“ – so ironisch lautete Androschs Urteil über seinen Ex-Sekretär, der jenes Ziel erreicht hat, das Androsch versagt bleiben sollte.

Auch hier gleichen einander die Biografien: Lag für Androsch der Ballhausplatz schon zum Greifen nah, so durfte Blecha damit rechnen, als Kreiskys Nachfolger Parteivorsitzender zu werden. Der eine war schon Vizekanzler und galt als völlig ungefährdeter „Kanzler in spe“, der andere war stellvertretender Parteichef und hätte eigentlich nur noch Heinz Fischer als vagen Mitbewerber einkalkulieren müssen.

Beide verfehlten ihr Lebensziel. Dass Androsch wirklich zu früh nach der Macht gegriffen hat und damit den alten König misstrauisch werden ließ, darüber wird zwar bis heute immer wieder spekuliert. Androsch selbst dementiert dies seit Jahr und Tag. Er räumt auch mit einem anderen Versatzstück auf, das ein Kreisky-Biograf vom anderen abschreibt: Das Vater-Sohn-Verhältnis. So sehr Kreisky den Jüngeren liebte und bewunderte – Androsch sagt, er habe im Kanzler nie seinen Ziehvater gesehen. Karl Waldbrunner viel eher, seinen Mentor, Anton Benya dann später, Slavik, Ockermüller. Aber Kreisky sei für ihn stets nur der respektierte und bewunderte Chef gewesen.

Blecha wieder witterte eigentlich keinen ernst zu nehmenden Konkurrenten, wenn es um die ganze Macht in der Löwelstraße ging. Wahrscheinlich wäre er tatsächlich ein großer Parteivorsitzender geworden. Einer mit sozialistischer Grundhaltung, unglaublicher Vitalität und brutalem Durchsetzungswillen. Als Kreisky schon sehr krank, aber immer noch an der Macht war, riskierte Blecha zu viel. Er war unvorsichtig und offenbarte einem Journalisten, er halte sich für den Parteivorsitz bereit. Der Redakteur erwies sich als redselig, konnte und wollte nicht stillhalten und offenbarte das Geheimnis seinen Lesern brühwarm auf der Titelseite der „Presse“.

An den Anruf seines Sekretärs Andreas Rudas tags darauf, den Canossagang ins Parlamentsbüro Blechas, die darauffolgende (einseitige) Brüllerei erinnere ich mich nur recht ungern. Schauerlich. Letztlich hatte sich Kreisky aber ohnehin schon für den harmlosen Fred Sinowatz als Nachfolger entschieden.

Sehr späte Väter

Weiter in den Gemeinsamkeiten: Je zwei erwachsene Kinder, je ein Nachzügler aus einer späteren Verbindung. Blecha kidnappte – nach zwei gescheiterten Ehen – seine heutige Ehefrau Rosi einfach aus der „Presse“-Grafik. Androsch besucht seinen 16-jährigen Sohn regelmäßig in Graz. Sie sind sehr späte Väter. Und mehrfache Großväter. Und sehr stolze, wie berichtet werden darf.

Was sie noch verbindet? Die Justiz. Beide haben nach Gerichtsprozessen und rechtskräftigen Verurteilungen eine zweite Karriere geschafft. Androsch als Industrieller und Investor spektakulär, Blecha auf die ruhigere Art. Sein Meinungsforschungsinstitut Mitropa war und ist führend in Mittelosteuropa, und daneben mimt Blecha den kämpferischen, empörten Krieger für den kleinen Pensionisten. Als Chef des größten Pensionistenverbandes sitzt er wieder dort, wo 1989 die Karriere stockte: im Bundesparteipräsidium der SPÖ.

Bildungsbürger Androsch

Androsch hingegen hat sich von der Parteipolitik weitgehend entfernt. Zwar gab er die Galionsfigur für die Berufsheer-Fans, merkte aber schon zum Jahreswechsel, dass die Sache schlecht lief. Und engagierte sich nur noch sporadisch. Bei seinem Bildungsvolksbegehren setzte er voll auf Parteiunabhängigkeit. Dass die Initiative dann trotz 383.820 Unterschriften von der Koalition im Parlament „net amol ignoriert“ wurde, macht ihn bis heute fassungslos.

Umso mehr engagierte er sich in den letzten Jahren für umfassende Bildung, nicht nur durch Zuwendungen an die Akademie der Wissenschaften und an die Universität Tel Aviv, auch die Geschichte und die sorgfältige Aufarbeitung lag und liegt ihm am Herzen. 2005 half er der schwarz-orangen Regierung in letzter Minute aus der Patsche: Für eine Großausstellung zum 50. Jahrestag der Staatsvertragsunterzeichnung gab es weder Geld noch gesteigertes Interesse. Androsch, Herbert Krejci und Peter Weiser gingen mit dem Hut in der Hand durchs ganze Land und ermöglichten so die Schau im Belvedere. Die Blamage war abgewendet.

„Haus der Geschichte“ in weiter Ferne

Die zweite noch viel umfangreichere Blamage scheint die Regierenden schon lange nicht mehr aufzuregen. Das Desinteresse an einem „Haus der Geschichte Österreichs“ ist aufreizend, scheint aber der Befindlichkeit der Bürger zu entsprechen. Jetzt könnte mit Sektionschef Matzka ein neuer Anlauf versucht werden.

Warum er beharrlich dranbleibt? „Weil man in Bewegung bleiben muss. In der Trainingshose mit einem Bier den ganzen Tag fernschauen – das ist nicht meins.“ So weit die wirtschaftspolitischen Ansichten zwischen dem Millionär und der SPÖ-Führung auch auseinanderliegen – ein Engagement für eine andere Partei schließt er aus: „Wenn du in der vierten Generation sozialistisch bist, dann hast du so etwas wie eine politisch-soziale Treue“, sagt er. „Immerhin ist mein Großvater 1890 beim ersten Maiaufmarsch dabei gewesen.“

Beim Maiaufmarsch 2013 werden sie also wieder dabei sein, Hannes A. & Charly B., unser bemerkenswertes Paar. Und zwar jeder in seinem Bezirksblock.

Rechts und links in der SPÖ oder: Ein seltsames Paar

Dkfm. Dr. Hannes Androsch

1963 SPÖ-Klubsekretär,
1967 Abgeordneter zum Nationalrat,
1970 Bundesminister für Finanzen,
1974 Stellvertretender SPÖ-Vorsitzender,
1976 Vizekanzler und Finanzminister,
Jänner 1981 Rücktritt als Regierungsmitglied,
Juli 1981 Generaldirektor der CA-BV bis 1988,
1989 Gründung der AIC Androsch International Management Consulting GmbH.,
2003 Vorsitzender des Uni-Rates in Leoben,
2004 Errichtung einer gemeinnützigen Stiftung bei der Österr. Akademie der Wissenschaften,
mehrfacher Ehrendoktor.

Karl Blecha

1964 Vorstandsmitglied der SPÖ NÖ.,
1970 Abgeordneter zum Nationalrat,
1976 Zentralsekretär der SPÖ (bis 1981),
1977 SPÖ-Bundesbildungsvorsitzender,
1981 Stellvertretender SPÖ-Vorsitzender,
1983 Bundesminister für Inneres,
1985 Stv. Landesparteivorsitzender NÖ.,
1989 Rücktritt, Gründung des Mitropa-Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung,
1999 Präsident des Pensionistenverbandes,
2000 Mitglied des SPÖ-Präsidiums,
2012 Kommissionsvorsitzender zur Ausarbeitung eines neuen SPÖ-Programms.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2013)

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