Mauthausen: Hölle im friedlichen Mühlviertel

Jedes Foto verblasst angesichts der Zeichnung eines unbekannten Häftlings, die an Dantes Inferno gemahnt.
Jedes Foto verblasst angesichts der Zeichnung eines unbekannten Häftlings, die an Dantes Inferno gemahnt.(c) "Die Presse“/Archiv
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Im früheren Konzentrationslager ist die neue Dauerausstellung fertig. Die Anlage bei Linz war von der SS offiziell als „Vernichtungslager für Asoziale“ konzipiert.

Am Sonntag, am Jahrestag der Befreiung durch amerikanische Truppen 1945, wird das „offizielle Österreich“ das umgestaltete frühere Konzentrationslager im oberösterreichischen Mauthausen besuchen. Heute ist es ein Ort der Erinnerung, ein Mahnmal, ein Friedhof – und ein Museum. Die didaktische Neugestaltung der Gedenkstätte hat Jahre gedauert. Und sie wird noch bis 2018 in mehreren Phasen weitergehen.

„Wir haben eine große Verantwortung und Verpflichtung – als jene Generation, die die Aufgabe von den Überlebenden übernehmen muss, an die Gräueltaten zu erinnern, die hier geschehen sind“, sagt die Innenministerin.

Das einstige Krankenrevier und heutige Museumsgebäude ist saniert worden, die Originalstruktur ist nun wieder sichtbar. Barbara Glück, die Projektleiterin, ist diplomatisch genug, um nicht auf die früher erfolgten „Behübschungen“ des Lagerbereichs einzugehen. Mehr als hundert Originalobjekte sollen nun die Geschichte des KZ näherbringen, dazu kommen dreißig Interviews mit Zeitzeugen, die bleiben werden, wenn die letzten Alten gehen müssen.

„Der Tatort Mauthausen – eine Spurensuche“ widmet sich dem Massenmord allgemein und stimmt den Besucher auf den Tötungsbereich im Keller ein. Hier befindet sich jetzt der „Raum der Namen“, in dem alle namentlich bekannten, im KZ Mauthausen/Gusen Verstorbenen aufgelistet sind. Es sind über 81.000 Namen, in willkürlicher Reihenfolge auf Glasplatten gedruckt. In Gedenkbüchern kann gezielt nach alphabetisch geordneten Namen – in der Originalschreibweise – gesucht werden.

Für den Historiker und wissenschaftlichen Leiter, Bertrand Perz, ist es besonders wichtig zu zeigen, dass Mauthausen nicht isoliert war, sondern Teil einer „Großmaschinerie“ des Tötens. Bisher sei das Außenlager Gusen zu kurz gekommen, obwohl dort mehr Menschen ums Leben getötet wurden als im Stammlager.
Die Häftlinge stammten aus rund 50 Nationen, und daher kommt die Hälfte der knapp 200.000 jährlichen Besucher aus dem Ausland, erzählt Barbara Glück.

Mauthausen war das größte Konzentrationslager auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Rund 200.000 Menschen wurden dort gefangen gehalten. Etwa die Hälfte davon überlebte die Vernichtungsmaschinerie nicht. Schon im März 1938 meldete Gauleiter Eigruber kurz nach dem Anschluss stolz: „Wir Oberösterreicher erhalten eine besondere Auszeichnung für unsere Leistungen während der Kampfzeit: Nach Oberösterreich kommt das Konzentrationslager für die Volksverräter von ganz Österreich!“

Im April erwarb Himmlers SS diverse Grundstücke bei den Granitsteinbrüchen von Mauthausen. Denn über die Dest, die Deutsche Erd- und Steinwerke, GmbH, versuchte die SS ein eigenes Wirtschaftsimperium aufzuziehen. Ihr Vorteil: Sie hatte billigste Arbeitskräfte – die KZ-Häftlinge. Granit war im Dritten Reich äußerst gefragt: Man brauchte den Stein in rauen Mengen für die Führerbauten. Außerdem plante Hitler ja, in Linz seinen Altersruhesitz aufzuschlagen, monströse Neubauten inbegriffen.


„O Deutschland bleiche Mutter
wie haben deine Söhne dich zugerichtet
dass du unter den Völkern sitzest
ein Gespött oder eine Furcht!“


Bertold Brecht


Am 8. August trafen die ersten Gefangenen aus dem Konzentrationslager Dachau ein. Mit ihnen ihre Bewacher aus dem SS-Totenkopfverband. 30 Zivilarbeiter schulten die Arbeitssklaven ein. St. Georgen an der Gusen kam bald dazu. Der Lagerkomplex „explodierte“ förmlich: Bei der Befreiung durch US-Truppen am 5. Mai 1945 umfasste er 52 Nebenlager, die über das gesamte heutige Österreich verteilt waren.

Dreißig Nationalitäten waren hier vertreten. Auch Frauen, Jugendliche und Kinder hatte man inhaftiert und ermordet. Die letzte Häftlingsnummer – 139.317 – wurde am 3. Mai 1945 ausgegeben. Dabei hatte man jene sowjetischen Kriegsgefangenen, die durch die „Aktion Kugel“ erschossen wurden, gar nicht erst mitgezählt. Die Wachmannschaft bestand aus vier SS-Führern, 128 Unterführern und 475 SS-Männern.

Ungeklärt bleibt bis heute, warum Mauthausen auf dem Gebiet des Großdeutschen Reiches einzig und allein die „Kategorie III“ bekam: Das bedeutete Vernichtung durch Arbeit. Vielleicht war es die abgeschiedene Lage des Lagers an den Steinbrüchen. Reinhard Heydrich, der SS-General und Chef der Sicherheitspolizei, wusste jedenfalls genau, wen er nach Mauthausen in die „Kategorie III“ schickte: „Schwerbelastete, Unverbesserliche und auch gleichzeitig kriminell Vorbestrafte und Asoziale, das heißt kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge . . .“

Die „Mühlviertler Hasenjagd“

In der Nacht zum 2. Februar 1945 wagten 500 sowjetische Offiziere einen Fluchtversuch aus dem „Todesblock 20“. 419 gelang es tatsächlich, die Mauer zu überwinden, doch brachen viele gleich danach erschöpft im Schnee zusammen oder starben im Kugelhagel der Maschinengewehre. Alle, die nicht in die Wälder entkommen konnten, und 75 im Block zurückgebliebene Kranke wurden noch in derselben Nacht exekutiert. Aber etwa dreihundert kamen vorerst davon. Sie wurden unter großer Beteiligung der Bevölkerung drei Wochen lang gehetzt und gejagt, fast alle wurden ermordet. Nur elf überlebten, von Bauern versteckt und versorgt.

Als sich die alliierten Truppen Oberösterreich näherten, geriet die Wachmannschaft in Panik. Alle Akten wurden schleunigst vernichtet, schließlich flohen die SS-Männer. Die Häftlinge wurden nur noch vom „Volkssturm“ und von Wiener Feuerwehrmännern bewacht.

Am 5. Mai 1945 wurde das Lager durch Soldaten der 11. Panzerdivision der 3. US-Armee befreit. Ihnen offenbarte sich ein unvorstellbarer Anblick. Dieses Grauen nächsten Generationen zu vermitteln, wird Aufgabe dieses „Mauthausen Memorials“ sein, wie es heute genannt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)

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