Killing Nazis: "Bereue, dass wir nicht mehr getan haben"

Dokumentation 'Killing Nazis' 3Sat/ORF
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Eine Dokumentation erzählt die Geschichte des in Wien geborenen Juden Chaim Miller, der nach dem Zweiten Weltkrieg Rache übte.

„Heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt". Der gebrechlich wirkende alte Mann singt mit fester Stimme, am linken Arm trägt er eine Hakenkreuz-Binde, hinter ihm ragt ein Wachturm empor. Doch die Anfangsszene der Dokumentation "Killing Nazis" zeigt nicht etwa einen Alt-Nazi, der vor einem früheren KZ posiert. Der 91-Jährige trägt eine Kippa, und der Wachturm gehört zu einem Kibbutz. Chaim Miller lernte das Lied während seiner Ausbildung zum jüdischen Kämpfer, getarnt in Nazi-Uniform. Nach dem Zweiten Weltkrieg übten er und seine Kameraden in Selbstjustiz Rache an Nationalsozialisten.

„Killing Nazis" von Andreas Kuba, auf 3Sat am Mittwochabend erstausgestrahlt, erzählt die Geschichte Millers. 1921 wurde der heute 91-Jährige als Alfred Müller geboren. Der Film begleitet ihn zurück in seine Geburtsstadt Wien, wo er mit seinem sozialdemokratischen Vater Jahr für Jahr am 1. Mai auf dem Rathausplatz stand. „Mit dem Judentum habe ich mich nie beschäftigt", erzählt Miller.

"Wegkommen, das war alles"

Doch nach der Machtübernahme von Engelbert Dollfuß habe er Antisemitismus erlebt und „verstanden, dass ich als Jude nicht weit kommen kann". Dann kommt der „Anschluss" im März 1938. Miller beschließt, nach Palästina auszuwandern: „Wegkommen, das war alles."

Anfang 1939 begleiten seine Eltern den Jugendlichen zur Straßenbahn, er wird sie nicht wiedersehen. Miller erzählt, wie seine Mutter nach der Abfahrt noch ein paar Meter hinterher läuft. Es ist der einzige Moment in "Killling Nazis", in dem er Emotionen zeigt.

In Palästina angekommen, baut Miller mit anderen jungen Auswanderern den Kibbuz Kfar Menachem auf. Bald darauf rücken die Nazis Richtung Palästina vor. "Was dann mit den Juden passieren würde, das war uns klar", sagt Miller mit bitterem Lächeln. Er schließt sich der "Hagana", Vorläufer-Organisation der israelischen Armee, an. Miller und seine Kameraden werden für den Einsatz hinter feindlichen Linien ausgebildet. Sie lernen „alles, was ein deutscher Soldat wissen muss" - wie man grüßt, wie man salutiert, was man singt.

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Doch zu dem geplanten Einsatz kommt es nicht. Die Briten schlagen die Panzerarmee Afrika von Erwin Rommel zurück. Millers Truppe wird nun zur Unterstützung der britischen Armee nach Italien geschickt. Als sie dort ankommt, ist der Krieg zu Ende. Überlebende schildern den Männern Details der Juden-Vernichtung in Nazi-Deutschland. „Von Gespräch zu Gespräch waren wir mehr erschüttert", erzählt Miller in der Doku in Camporosso, wo er damals stationiert war.

„Wir haben das Gefühl gehabt, dass man Rache ausüben muss." Von jugoslawischen Partisanen erhält Millers „Jewish Brigade" Namen und Adressen von SS- und Gestapo-Männern in Kärnten. Mit Armbinden der britischen Militärpolizei ausgestattet klopfen sie an deren Türen und erklären, sie seien zum Verhör geladen. Dann bringen sie sie nach Italien. In einer verlassenen Hütte im Wald beginnen die „Prozesse".

"Na, das gehörte ihm"

Miller sitzt auf einer Lichtung im Wald, als er von den Einzelheiten der Selbstjustiz der „Jewish Brigade" erzählt. „Die Angeklagten" nennt er die Nazis, die er und seine Kameraden in die Hütte brachten. „Sie wussten, dass das ein Gericht von Juden ist." Die meisten hätten „nicht geleugnet". Nur einmal habe sich herausgestellt, dass der „Angeklagte" nichts getan habe. Diesen Mann habe man freigelassen. Die anderen („acht bis zehn Leute von denen ich weiß") wurden „für schuldig befunden".

Einen davon führt Miller persönlich aus der Hütte in den Wald. Dort lässt er ihn sein Grab schaufeln. „Dann habe ich die Pistole gezogen, es fiel ein Schuss und er blieb liegen". Auf Nachfragen antwortet Miller knapp: „Hatte der Mann Angst?" „Der war schon über die Angst hinaus." „Was haben Sie gefühlt?" „Na, das gehörte ihm." „War es befriedigend?" „Überhaupt nichts war befriedigend nach dem, was passiert ist. So viele meiner Verwandten wurden ermordet." Er „bereue nichts", versichert Miller - außer, „dass wir nicht mehr getan haben.

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Im letzten Abschnitt des Films, den der Regisseur mit "Moral" betitelt, bewertet Millers Familie dessen Taten. Rache sei aus heutiger Sicht nicht angebracht, meint zwar seine Tochter: „Aber sie ist das stärkste Gefühl, das wir haben."

Außer Miller und seiner Familie lässt der Film niemanden zu Wort kommen. Die moralische Bewertung bleibt dem Zuseher überlassen. Um sie beantworten zu können, hätten dem Film ein paar Momente der Stille freilich gut getan. Stattdessen erklingt in jeder Szene, in der nicht gesprochen wird, Musik - aus Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds".

>> "Killing Nazis" in der 3Sat-Mediathek

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