Habsburg war der „Türöffner“ für Rot-Blau

95. GEBURTSTAG OTTO HABSBURG
95. GEBURTSTAG OTTO HABSBURGAPA
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Vor fünfzig Jahren: Erstmals stimmten die Freiheitlichen mit den Sozialisten gegen die Volkspartei. Die „Belohnung“ für Wohlverhalten gab es dann 1983 mit der Bildung der kleinen Koalition Sinowatz/Steger.

Vor 50 Jahren, am 24. Mai 1963, befand der Verwaltungsgerichtshof, dass die Loyalitätserklärung des Staatsbürgers Dr. Otto Habsburg-Lothringen zur Republik ausreiche, damit er einen gültigen Reisepass und die Erlaubnis zur Einreise aus dem bisherigen Exil bekommen könne.

Und vor 30 Jahren, am 31. Mai 1983, stellte der neue SP-Bundeskanzler Fred Sinowatz seine Koalitionsregierung, die er mit der FPÖ gebildet hatte, dem Nationalrat vor.

Zwei Eckdaten der heimischen Innenpolitik, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. In Wirklichkeit steckt dahinter eine zwanzig Jahre dauernde langsame Annäherung von SPÖ und FPÖ unter Friedrich Peter, die in der Beteiligung an einer Bundesregierung 1983 gipfelte.

Vor fünfzig Jahren hatte das mit einer sensationellen SP/FP-Parlamentsabstimmung begonnen, vor dreißig Jahren war das SP/FP-Projekt dann beschlussreif.

Schon 1958 hatte Otto, der älteste Sohn des letzten österreichischen Kaiserpaares, Familienoberhaupt und für die letzten verbliebenen Monarchisten Thronanwärter, seine erste Verzichtserklärung abgegeben. Ohne diese war ihm und seinen Kindern die Einreise in die Heimat untersagt. 1961 wiederholte er diese Erklärung, natürlich widerwillig, wie er später zugab. Wer verzichtet schon bei klarem Verstand auf die Mitgliedschaft in der eigenen Familie, wie es das Gesetz forderte?

Höchstrichter viele Jahre inkompetent

Die Regierungsparteien argwöhnten (mit gewissem Recht), dass Habsburg nur nach Wien heimkehren wollte, um endlich in der Politik mitmischen zu können. Die Höchstgerichte warfen einander die heiße Kartoffel zu, bis endlich vor fünfzig Jahren der VwGH endgültig entschied: Ja, diese eigenartige Verzichtserklärung sei genügend, Habsburg dürfe nach 56 Jahren wieder einreisen.

Der Sturm, der daraufhin von der „linken Reichshälfte“ entfacht wurde, ist für heutige Verhältnisse unvorstellbar. Oder doch nicht ganz? Man wird erinnert an die infame SPÖ-Kampagne gegen Kurt Waldheim, die ebenso niedrige Instinkte nützte, um eine weltweite Diffamierungswelle zu erzeugen, die nur Österreich schadete.

1963 sah nun Friedrich Peter also seine Chance gekommen: Gemeinsam mit den Sozialisten stimmte die FPÖ gegen Ottos Einreise, auch wenn die Gesetzeslage eindeutig war. Die Volkspartei war überstimmt – immerhin stand sie noch in aufrechter Koalition mit den Sozialisten. Eine veritable Regierungskrise war die Folge.

Kadavergehorsam in Rot

Die Habsburg-Angst der Sozialisten Bruno Pittermann und Christian Broda (Justizminister) nahm bisweilen lächerliche Formen an. Norbert Leser, der Parteiideologe und vergebliche Mahner in der Wüste, gibt heute zu, dass auch er aus falscher Parteiloyalität Öl ins Feuer goss. „Wir haben lauthals mitgemacht.“ Heute sieht es der „k.u.k. Sozialdemokrat“ Leser natürlich anders: „Die Angst vor der Rückkehr Habsburgs war nicht die vorgegebene vor einer monarchistischen Restauration, sondern die Angst, von dem Abkömmling dieser Dynastie überstrahlt und in den Hintergrund gedrängt zu werden.“ Man wollte und konnte sich nicht eingestehen, dass man im Vergleich zu Otto unbedeutend und unterdurchschnittlich erschien. Daher – so Leser – „steigerte man sich in eine Hasskampagne hinein, die gerade im Rückblick verräterisch und deplaciert wirkt“.

Keiner zeigte wirklich Mut

„Das Erschreckende war und ist im Rückblick“, sagt der Achtzigjährige, „wie ansteckend die Demagogie war, die man damals entfesselte, und dass auch besonnene Einzelgänger nicht den Mut hatten, gegen die herrschende Stimmung anzukämpfen. Ich habe damals unter dem Einfluss Christian Brodas dem Abenteuer ebenfalls juristisch-literarische Schützenhilfe geleistet.“

Was dies alles mit der kleinen Koalition 1983 zu tun hat? Ganz einfach: Die FPÖ hatte sich der SPÖ erstmals als verlässlicher Partner angedient. Und zwar zum Entsetzen ihrer eigenen Wähler, die ja durchaus auf Ottos Seite standen. Später kam noch eine persönliche Wertschätzung zwischen dem jüdischen Großbürger Bruno Kreisky und dem einstigen SS-Obersturmführer Friedrich Peter hinzu, dessen ausschließliches Bestreben es war, den Nazi-Ruch endlich loszubekommen.

Die CA-Rochade als Vorleistung

Die Ausbruchsversuche aus dem Nazi-Ghetto dauerten jahrelang. Die entscheidende Weichenstellung gelang der FPÖ dann im Jänner 1981. Es ging – wieder einmal – um Hannes Androsch. Der von Kreisky hinausgeworfene Finanzminister/Vizekanzler sollte irgendwo „untergebracht“ werden, damit beide Seiten das Gesicht wahren konnten. Da war plötzlich die FPÖ des Klubobmannes Peter und des neuen Parteichefs Norbert Steger in einer unverhofft günstigen Position: Sie verfügte über einen Aufsichtsratsposten in der Creditanstalt, besetzt von Hilmar Kabas. Mit der einen „blauen“ Stimme konnte die bis dato aristo-bürgerlich geführte Staatsbank in Richtung „Rot“ gekippt werden. Ohne Steger zu informieren, hatte Peter dem Kanzler schon die Zusage gegeben, Kabas werde für Androsch stimmen.

Das Thema Androsch bei Frittatensuppe

Um den Deal perfekt zu machen, lud Kreisky zu sich in die Armbrustergasse ein. Mit am Esstisch: ÖGB-Chef Anton Benya, Zentralsekretär Karl Blecha, Klubobmann Heinz Fischer. Für die FPÖ kamen Peter, Steger, der Peter-Stellvertreter Tassilo Broesigke und Bundesgeschäftsführer Hans Richard Bogner. Bei der Frittatensuppe ging Kreisky davon aus, dass die Sache mit Androsch sowieso in Ordnung gehen werde. Steger: „Nein, darüber muss erst verhandelt werden.“ Peter war düpiert. Auch der Regierungschef war zwar ärgerlich, aber auf die FPÖ-Stimme angewiesen: „Welche Forderungen haben Sie denn?“ Es wurde mühsam ein Gesetzestext geboren, der die „Objektivierung“ der Vergabe von Schlüsselstellen in der Verstaatlichten vorsah. Damit waren alle zufrieden, „obwohl alle wussten, dass es sowieso nur ein Wischiwaschi-Text war“ (so einer der Teilnehmer heute zur „Presse“).

Rot-Blau rasch einig

Mit der Zustimmung für Androsch und der „Umfärbung“ der traditionell schwarzen CA hatte die FPÖ die zweite Vertrauensbasis mit der SPÖ geschaffen. Sie sollte zum Tragen kommen, als die SPÖ 1983 die absolute Mehrheit verlor, Kreisky zurücktrat und Sinowatz eine Koalition bilden musste. Im Hintergrund waren sich Friedrich Peter und Bruno Kreisky rasch einig. Auch die Besetzungsliste gedieh überraschend schnell. Die wichtigsten Ressorts blieben naturgemäß bei der SPÖ, die im Nationalrat ein Übergewicht von 90:12 Sitzen hatte. Den Personen im Scheinwerferlicht – Sinowatz und Steger – blieb nur noch, in die Kameras zu lächeln.

Das Unbehagen über die viel zu großen Schuhe, die Sinowatz von Kreisky übernehmen musste, war dem neuen Regierungschef stets anzumerken. Im Gespräch mit dem Historiker Robert Kriechbaumer gab er das auch unumwunden zu. Als er nämlich 1981 Vizekanzler – statt Androsch – wurde, habe ihm Kreisky versprochen, dass dies keinesfalls mit der Nachfolge im Kanzleramt verbunden sei. Sinowatz war oft im Pech: Als ihn der Parteivorstand als Bundeskanzler nominierte, heiratete gerade seine Tochter. Er kam zu spät aufs Standesamt und musste den geballten familiären Zorn über sich ergehen lassen.

Sinowatz wollte partout nicht

Apropos: In der Nacht vor seiner Nominierung hatte sich Sinowatz auf einem Zettel alle Gründe notiert, die dagegen sprachen. Die Liste wollte er anderntags dem Parteipräsidium vortragen, aber keiner ging darauf ein. Im Gegenteil: Gratz, Fischer und Blecha drängten den Zaudernden geradezu, den unmöglichen Posten zu übernehmen. Ob aus Freundschaft oder eiskaltem Kalkül – wer will das beurteilen? Den Zettel gibt es noch: im Nachlass des Fred Sinowatz.

Unbequemer Sozialist, treuer Katholik, kritischer Philosoph

Norbert Leser 80. Mit seinen Bestsellern „Salz der Gesellschaft“, „Elegie auf Rot“ und „Der Sturz des Adlers“ hat er die wenigen noch ideologisch interessierten Sozialdemokraten gehörig verstört. Der zeitlebens unbequeme Vordenker leidet am ideologischen Desinteresse der Parteiführungen, das seit der Ära Vranitzky stetig zunehme, sagt er.

Politologe. Hertha Firnberg richtete dem promovierten Juristen, Sozial- und Staatsphilosophen 1971 den ersten österreichischen Lehrstuhl für Politologie ein (Innsbruck).

Historiker. Heute noch mehr als früher gilt Leser als bester Kenner des austro-marxistischen Experiments. Er war aber nie Nostalgiker, sondern hat die strategischen Schwächen der Parteispitze um Otto Bauer 1934–1938 gründlich wie kein Zweiter seziert.

Philosoph. Die Probleme der Staatsphilosophie und der Staatsrechtslehre sind für Leser „verkappte theologische Probleme“.

Puritaner. Leser war nie verheiratet, wohnt zwar in Döbling, legt aber wenig Wert auf Sozialstatus. Daher gilt sein besonderer Zorn den „Nadelstreifsozialisten“ in seiner Partei, von der er sich immer weiter entfernt hat.

Zeitgenosse. In zwei Bänden finden sich unter dem Titel „Grenzgänger“ bemerkenswerte Charakterisierungen bedeutender Österreicher, denen Norbert Leser im Laufe seines Lebens begegnete: August Maria Knoll, René Marcic, Otto Mauer, Alfred Missong, Ernst Karl Winter, Josef Luitpold Stern, Marianne Pollak usw.

Philosophie war und ist sein Feld der Er-
kenntnis. „Das Leben ist Umweg, ein Stadium zwischen Zeit und Ewigkeit. Es ist auch nicht planbar, gleich dem Ritt über den Bodensee.“

Humorist. Wer glaubt, der Mann sei ein spröder Gelehrter, der irrt. Nicht nur die Vorlesungen waren gewürzt mit feiner Ironie, seine besondere Liebe gilt dem klassischen Wienerlied. Und zwar nicht passiv genossen, sondern selbst singend – davon zeugen Tonträger, aufgenommen beim „Schmid Hansl“.

Katholik. Trotz all seiner Zweifel und Skepsis ist Leser ein altmodischer Katholik. Auch hier ein Grenzgänger. Seine Weltsicht verbindet demokratischen Sozialismus mit tiefer Kirchenverbundenheit. Mit Stolz trägt er ein Ehrenband der kath. Landsmannschaft „Maximiliana“.

Vielschreiber. Lesers Publikationsverzeichnis ist enorm. Übrigens: Er verachtet den Computer, schreibt bis heute auf einer mechanischen Schreibmaschine. hws [FFabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)

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