Hitler, verhaftet in einem fremden Bademantel

Hitler
Hitler (c) ORF (Bayerischer Rundfunk)
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Ohne reiche Bewunderinnen hätte es der Bierkeller-Agitator nicht nach oben geschafft. Die Frauen lagen ihm zu Füßen und erfanden anscheinend auch die dümmliche Anrede „Mein Führer!“.

Am Abend des 9.November 1923 war die reiche und schöne Helene Hanfstaengl, Frau eines Münchner Kunsthändlers, mit dem Personal allein in ihrem Landhaus im bayrischen Uffing am Staffelsee. Ihr Mann, Ernst, der wegen seiner exzellenten Ausbildung in Harvard später „Auslandspressesprecher“ der NSDAP werden sollte, war in München geblieben, um an einer geheimen Aktion unter Führung Adolf Hitlers teilzunehmen.

Worum es ging, wurde bald klar. „Kurz nach 19 Uhr“, schilderte Helene in ihrem Tagebuch, „ich war gerade mit meinem Sohn beim Abendessen, kam ein Dienstmädchen und sagte, jemand hatte leise an die Haustür geklopft. Ich ging hinunter. Zu meinem großen Erstaunen erkannte ich die schwache, unverwechselbare Stimme Hitlers. Schnell öffnete ich. Da stand er, leichenblass, ohne Hut, sein Gesicht und seine Kleidung mit Schmutz bedeckt, sein linker Arm hing in einem eigenartigen Winkel von seiner Schulter. Zwei Männer, ein junger Arzt und ein Sanitäter, stützten ihn...“

Die Memoiren hat ein US-Sammler

Bisweilen richtet weiblicher Charme, gepaart mit zäher Beharrlichkeit, mehr aus als männlicher Forscherdrang. Der Wiener Historikerin Anna Maria Sigmund ist es vor wenigen Jahren gelungen, die handschriftlichen Memoiren Egon Hanfstaengls zu kopieren, bevor sie in einem US-Privatarchiv landeten. Seine Eltern zählten zu den ersten und engsten Förderern des jungen Agitators Adolf Hitler, Egon Hanfstaengl selbst ist 2007 gestorben, seine Memoiren und das Tagebuch seiner Mutter, Helene, geben nun erstmals detaillierten Einblick in die Geschehnisse des Jahres 1923, als der Putsch Hitlers und seiner Kampfgefährten in München im Desaster endete. 13 Putschisten, vier Polizisten und ein unbeteiligter Passant starben damals, 216 Personen wurden sofort verhaftet, Rudolf Heß, Hermann Göring und Helenes Mann, Ernst Hanfstaengl, flohen über die nahe Grenze nach Österreich. So weit, so bekannt.

Die verhängnisvolle Autopanne

Aber was geschah danach? Im akribisch durchleuchteten Leben Adolf Hitlers fehlten den Historikern stets die Stunden nach dem kläglich gescheiterten Putschversuch. Jetzt ist klar, was geschah. Hitler hatte so schnell wie möglich Reißaus genommen und wollte über die Grenze nach Österreich chauffiert werden. In der Nähe von Uffing streikte das Automobil. Die drei Insassen versteckten sich im Wald, während der Chauffeur verzweifelt versuchte, den Karren flottzukriegen. Vergebens. Also flüchteten die drei Männer zu Fuß weiter, ihr Ziel war nun die Hanfstaengl-Villa. „Ich holte sie ins Haus“, schreibt Helene, „sperrte ab und führte sie in den ersten Stock. Hitler beklagte den Tod seines Mitstreiters Ulrich Graf, der, wie er glaubte, an seiner Seite gefallen war (Tatsächlich überlebte er, Anm.). Graf hatte, als die ersten Schüsse der Polizei fielen, Hitler mit seinem Körper geschützt, im Fallen seinen Arm ergriffen, ihn niedergerissen und dabei verletzt.

...Ich bemerkte, dass er Fieber hatte und schlug vor, dass er sofort schlafen gehen sollte. Der Arzt und der Sanitäter brachten ihn zu Bett, nachdem sie versucht hatten, Hitlers Arm einzurenken. Sie probierten es mehrere Male, und ich hörte das Stöhnen durch die geschlossene Zimmertür...“

Bechstein sollte helfen

Am nächsten Tag wurde ein Emissär nach München geschickt: Die reichen Klavierfabrikanten Bechstein sollten helfen: Mit deren geschlossenem Wagen könnte man Hitler außer Landes schaffen. Doch die Limousine der eifrigen NS-Förderer Bechstein blieb aus. Hitler war hochgradig nervös, die Polizei musste bald da sein. Sein Arm und die Schulter wurden bandagiert, sodass ihm sein Rock nicht mehr passte. Er musste den blauen Bademantel des Hausherrn anziehen. „Der Patient lächelte und meinte, er fühle sich wie ein römischer Herrscher. Gegen 17 Uhr des nächsten Tages läutete das Telefon. Es war meine Schwiegermutter“, schreibt Helene, „die uns, bevor sie unterbrochen wurde, hastig erzählte, dass bei ihr eine Hausdurchsuchung stattfinde. ,Jetzt ist alles verloren‘, rief Hitler. Mit einer schnellen Bewegung ergriff er seinen Revolver, den er auf einem Schrank abgelegt hatte. Ich reagierte schnell, ergriff seinen Arm und nahm die Waffe an mich. ,Wie können Sie beim ersten Rückschlag aufgeben? Denken Sie an Ihre Anhänger!‘ Während er auf einen Sessel sank, versteckte ich den Revolver in einem Behälter für Mehl...“

Was wäre der Menschheit erspart geblieben, wäre schon damals der Revolver in Aktion getreten und nicht erst 1945.

Verhaftet im Bademantel

Dann war schon die Polizei da. Hanfstaengls Bericht: „...ein Kordon umstellte den Garten, drei riesige Lastfahrzeuge warteten mit laufenden Motoren – alles wegen eines hilflosen und verwundeten Mannes! ... Als ich leise eine Tür aufmachte, stand Hitler da. Sein unerwartetes Erscheinen erstaunte die Männer. Hitler, der seine Fassung völlig wiedererlangt hatte, ließ eine Tirade gegen Regierung und Beamte los, wobei sich seine Stimme ständig steigerte.

Es war eine bitterkalte Nacht. Hitler lehnte die von mir angebotene Kleidung meines Mannes ab und wurde abgeführt. Er trug noch immer den blauen Bademantel. Egon hörte, wir die Männer die Stiegen hinuntergingen, lief in das Vorzimmer und rief: ,Was machen die bösen, bösen Männer mit meinem Onkel Dolf?‘“

Am 26.Februar 1924 begann der Hochverratsprozess gegen Hitler und neun maßgebliche Kumpane in München. Eine Farce, wie man weiß.

Seit dem Sensationserfolg von Anna Sigmunds „Die Frauen der Nazis“ sind nun 15 Jahre vergangen. Viele neue Quellen haben sich seitdem aufgetan, sodass eine komplette Neuausgabe auf der Hand lag. „Ich konnte viele Nebenfiguren rund um Hitler viel detaillierter beschreiben.“ Ein Kindermädchen bei der Familie Goebbels meldete sich mit Aufzeichnungen über das seltsame Familienleben des Propagandaministers und seiner schönen Frau, Magda, die den abstoßend-faszinierenden Mann mit dem Klumpfuß nur heiratete, um näher bei ihrem Idol Hitler sein zu können, wenn er sie schon nicht heiratete.

Es waren die Frauen der besten Münchner und dann der Berliner „Society“, die dem Bierkelleragitator die ersten tastenden politischen Gehversuche ermöglichten. Viktoria von Dirksen hielt regelrecht Hof, um ihren Schützling präsentieren zu können. Elsa Bruckmann, eine geborene Prinzessin Cantacuzene, führte in ihrem Palais am Münchner Karolinenplatz den Taugenichts und Maulburschen ihren Bekannten vor – Künstlern, Hochadeligen, Großbürgern. Ihr Bekannter Emil Kirdorf zahlte 1926 alle Schulden der NSDAP, als bereits der Bankrott drohte. Helene Bechstein wurde neun Jahre vor ihrem Eintritt in die NSDAP schon mit dem goldenen Parteiabzeichen geehrt. Was sie übrigens nicht vor brutaler Enteignung verschonte, als der Obersalzberg bombastisch ausgebaut wurde. Die Damen sorgten für standesgemäße Kleidung, für die Großwohnung in München, für den schönsten und teuersten Mercedes mit Chauffeur.

Geli Raubals Schwarm, Emil Maurice

Der hieß Emil Maurice. Dessen spannende Lebensgeschichte hat Anna Sigmund schon zuvor in ein eigenes Buch gepackt. Maurice war Freund, Leibwächter und Chauffeur Hitlers. Als sich zwischen dessen Nichte Geli Raubal und dem Chauffeur eine Verlobung anbahnte, warf Hitler ihn 1928 hinaus. War der Großonkel eifersüchtig? Wohl auch. Aber der Hauptgrund war politischer Natur. Ein Großvater Maurices war Jude. Trotzdem schützte ihn Hitler bis zum Kriegsende vor dem lauernden Zugriff der SS. Für beide eine Win-win-Situation: Maurice blieb unter allerhöchstem Schutz am Leben, dafür schwieg er wie ein Grab über Hitlers Privatleben. Von ihm musste der Führer keine Indiskretion befürchten.

„Mein Führer“ – von Frauen erfunden

Die Frauen waren am Anfang die besten Propagandistinnen. Baronin Lily von Abegg überließ 1923 gleich ihr ganzes Haus der Partei. „Auch das Wort ,Mein Führer‘ haben, ich glaube, das haben die Frauen geprägt“, äußerte sich Hitler einmal bei einem seiner Endlosmonologe. „Dem Führer mit Haut und Haaren verfallen zu sein, war Grundbedingung für die Aufnahme in den Kreis der weiblichen NS-Elite“, sagt die Historikerin.

Und das war sie: Gertrud Scholtz-Klink, Reichsführerin der NS-Frauenschaft, Leni Riefenstahl, total emanzipierte Kamerafrau und Regisseurin, Henriette von Schirach, des Wiener Gauleiters Ehefrau, Magda Goebbels, geschiedene Quandt, Carin und Emmy Göring, die Frauen des Reichsmarschalls – und natürlich Eva Braun, die Naive, die im Verborgenen blühte. Blühen musste. Nicht erwähnt werden in der Neuauflage die Ehefrauen von Bormann, Jodl, Himmler. Auch die einzige Ehefrau, die über ihren nichtssagenden Mann wirklich Politik machte – und zwar eine verhängnisvolle – fehlt: Annelies v. Ribbentrop. Das ist schade. Ein weiterer Band ist somit zu erwarten.

Nächsten Samstag:Barry McLoughlin –
Stalins „Großer Terror“ 1937/38

Auf einen Blick

Die Autorin. Die gebürtige Niederösterreicherin Anna Sigmund promovierte 1982 mit einem Thema zur Geschichte des Mittelalters.

Wissenschaftsjournalistin. Sie arbeitete an zahlreichen Fachpublikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte des Mittelalters und des Historismus. Erst später entdeckte sie die Zwischenkriegszeit und die NS-Epoche als ihr Interessengebiet. Mit den „Frauen der Nazis“ (1,2,3) schrieb sie Weltbestseller, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie ist verheiratet mit dem Mathematiker und „Österreicher des Jahres“ Karl Sigmund und wohnt in Hietzing.

Buchtipp:
Anna Maria Sigmund
Die Frauen der Nazis
Heyne Taschenbuch, 432Seiten, 10,30€ [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2013)

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