Was soll denn ein „demokratischer Krieg“ sein?

Erster Weltkrieg
Erster Weltkrieg (c) ORF
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Das Grundlagenpapier österreichischer Historiker über den Ersten Weltkrieg ist vielseitig und gelungen. Zweifelhaft scheint der Versuch von Anton Pelinka, die „Ideologisierung des Krieges“ zu erklären.

Eine „transnational-reflexive Auseinandersetzung mit dem Gedächtnisort Erster Weltkrieg im zentraleuropäischen Raum“ fordert Heidemarie Uhl: Nicht nur ihrem Beitrag merkt man den starken Einfluss der Kulturwissenschaften und ihres typischen Slangs auf die österreichische Historikerzunft an. Darüber kann man lächeln, aber glücklich lächeln: Denn das „Grundlagenpapier österreichischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Anlass des Gedenkens des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren“ liest sich viel flüssiger als sein Titel.

Das Bundeskanzleramt und sechs Ministerien haben ein All-Star-Ensemble der heimischen Historiker aufgestellt – Hämmerle, Hauch, Karner, Konrad, Maderthaner, Moritz, Pelinka, Rathkolb, Rauchensteiner, Uhl –, und das Ergebnis ist so gelungen wie staatstragend. Bestechend ist etwa Oliver Rathkolbs Analyse der Kriegsbegeisterung von Künstlern wie Kokoschka und Schönberg als „dunkle Seite der Wiener Moderne“; Rathkolb stützt sich hier – apropos Kulturwissenschaft – auf Carl Schorskes Klassiker über das Wien des Fin de Siècle, er zitiert etwa Freud: „Meine ganze Libido gilt Österreich-Ungarn.“

Eine prosaischere Erklärung für die ungehemmte Kriegseuphorie findet Helmut Konrad: Menschen unter 50 hatten 1914 schlicht keine persönliche Erinnerung an Kriege. „So war die Erwartung an das ,Abenteuer Krieg‘ oftmals jene eines Initiationsrituals in die Männlichkeit, ein kurzer, spannender Einsatz, der spätestens zum Beginn der Erntezeit vorbei sein sollte.“

Schön, dass Wolfgang Maderthaner in „Der Krieg und die Medien“ daran erinnert, dass 1) der „patriotische Taumel“ von den habsburgischen Autoritäten gezielt geschürt wurde, die Schriftsteller wie Stefan Zweig in ihre Propagandamaschinerie einbanden. Und dass 2) durchaus nicht alle Intellektuellen mitmachten, man denke nur an Karl Kraus. (Um sich vor Augen zu führen, dass durchaus nicht alle „Kriegsteilnehmer“ von ihrem Einsatz begeistert waren, dafür reicht ein Blick in den „Schwejk“.)

Der überraschendste Beitrag ist von Anton Pelinka. Er polemisiert gegen eine – derzeit gar nicht so präsente – Politologen-These: Kriege fänden nie (oder zumindest nur selten) zwischen demokratischen Staaten statt. Dagegen hält er: „Der Weltkrieg begann und endete als ein demokratischer Krieg.“ Was soll das sein? Von einem „Krieg unter demokratischen Vorzeichen“ schreibt Pelinka auch und erklärt: Bei allen wichtigen Teilnehmern sei „die Beteiligung am Krieg konstitutionell und damit zumindest indirekt demokratisch legitimiert“ gewesen.

Entscheidende Rolle des Kaisers

Dem kann man ganz trocken entgegenhalten, was Manfried Rauchensteiner schreibt: „Die Entfesselung des Kriegs war ein Vorgang, bei dem Kaiser Franz Joseph eine entscheidende Rolle spielte und auch seine extrakonstitutionelle Macht nutzte.“ Man kann auch einwerfen, dass die Duma unter dem letzten Zaren Nikolaus II. nach Ansicht vieler Historiker ein „Scheinparlament“ war.

Aber worauf will Pelinka hinaus mit seiner These vom „demokratischen Krieg“? Für ihn zeigt sich die „demokratische Komponente“ des Kriegs „in der im Verlauf der Kriegsjahre zunehmenden Ideologisierung des Krieges“. Als Beispiel nennt er das von US-Präsident Wilson propagierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, das er für eine „hochideologische Formel“ und zugleich für einen „unvermeidlich vagen, nebulosen, extrem interpretationsbedürftigen Slogan“ hält. Die Ideologisierung sei „eine Facette des demokratischen Kriegs“ gewesen. Sie habe sich auch darin geäußert, dass die Entente-Mächte im Ersten Weltkrieg den „teuflischen Charakter ,der Deutschen‘“ so überzeichnet hätten, dass sie später den wahren Charakter des Nationalsozialismus nicht erkennen konnten. So meint Pelinka: „Die Ideologisierung des ersten, des demokratischen Krieges führte zu dem Appeasement, das den zweiten, den nicht demokratischen Krieg, den Krieg zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien wesentlich erleichterte.“

Er bringt noch einen Vergleich: mit dem „Balkankrieg, der im früheren Jugoslawien zwischen 1991 und 1999 tobte“. Auch dieser sei ein „demokratischer Krieg“ gewesen.

Den Unterschied zwischen „demokratischen“ und „nicht demokratischen“ Kriegen sieht Pelinka offenbar darin, dass in jenen „breite gesellschaftliche Zustimmung“, katalysiert durch Nationalismus, herrsche. Man darf schon fragen: Hat es solche Zustimmung im – gewiss nicht demokratischen – NS-Deutschland denn gar nicht gegeben? Und auch keine „Ideologisierung“?

So scheint die Einteilung in „demokratische“ und „nicht demokratische“ Kriege problematisch und wenig produktiv.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2013)

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