Die „Friedens-Bertha“ hatte keinen Erfolg

Das Jahrhundert der Frauen
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Gleich die allererste Frau als Friedensnobelpreisträgerin (1905), Bertha von Suttner, war eine Altösterreicherin. Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, vor dem sie gewarnt hatte, musste sie nicht mehr miterleben.

Wien. Der Friedensnobelpreis 2013 geht also an die OPCW – wieder an eine Organisation statt an eine Einzelperson. Die favorisierte 16-jährige Pakistanerin Malala Yousafzai trägt dafür stolz den Sacharow-Menschenrechtspreis heim. Ob in beiden Fällen damit auch der Frieden in irgendeiner Weise befördert wird, muss freilich bezweifelt werden.

Dieses Schicksal teilen sich so gut wie alle Träger des Friedensnobelpreises seit 1901. Schon die erste Frau, die damit geehrt wurde (1905), musste dies erfahren. Ihr Buch „Die Waffen nieder“ fand weltweiten Widerhall, den Weltkrieg konnte sie nicht verhindern: die Österreicherin Bertha von Suttner.

Als Gräfin Kinsky von Chinitz und Tettau kam sie 1843 in Prag in einem kaiserlichen Militärhaushalt zur Welt. Das Erbe ihres Vaters war wegen der Spielsucht der Mutter bald aufgebraucht, also musste die Unverheiratete und Unversorgte 1873 eine Stelle als Gouvernante beim Industriellen Karl von Suttner in Wien annehmen. Wie üblich, wurde den vier Töchtern der Familie Musik- und Sprachunterricht erteilt. In dieser Zeit verliebte sie sich in den sieben Jahre jüngeren Arthur Gundaccar von Suttner – ein Skandal! Bertha musste aus dem Haus.

So reiste sie 1876 nach Paris, wo sie für knappe zwei Wochen die Privatsekretärin von Alfred Nobel war. Um sie nicht völlig mittellos auf die Straße zu setzen, hatte ihr Arthurs Mutter den Job verschafft. Nobel, der neue Chef, wurde freilich bald vom schwedischen König in seine Heimat zurückberufen.

Bekanntschaft mit Alfred Nobel

Wäre ihr nicht diese kurze Episode beim Dynamit-Erfinder und -Produzenten Alfred Nobel in Paris zugefallen, die Gräfin Kinsky hätte wahrscheinlich als Autorin von Society-Schmonzetten eine hübsche Karriere gemacht. So aber lernte sie dort den Philosophen Ernest Renan kennen und durch ihn die International Arbitration and Peace Association, die der Brite Hodgson Pratt gegründet hatte.

Ab da war sie Feuer und Flamme im Kampf gegen das Säbelrasseln, den Militarismus und das Wettrüsten der europäischen Großmächte. Bertha kehrte zurück nach Wien und heiratete Arthur Gundaccar heimlich am 12. Juni 1876, gegen den Willen seiner Eltern. Daraufhin wurde Arthur Suttner enterbt – ein turbulentes Leben begann: Das Ehepaar zog für mehr als acht Jahre in den Kaukasus nach Georgien zu Fürstin Ekatarina Dadiani von Mingrelien, wo die beiden unter schwierigen finanziellen Umständen von Gelegenheitsarbeit lebten, insbesondere vom Schreiben von Unterhaltungsromanen sowie von Übersetzungen.

Reportagen und Kitschromane

Arthur fing mit Beginn des Russisch-Türkischen Krieges 1877 erfolgreich an, Berichte über den Krieg sowie über Land und Leute in deutschen Wochenblättern zu veröffentlichen. Seine Frau nahm ebenfalls 1877 eine journalistische Tätigkeit auf und hatte unter dem Pseudonym B. Oulot, wie ihr Mann, großen Erfolg. Sie schrieb für österreichische Zeitungen Kurzgeschichten und Essays, ihr Mann Kriegsberichte und Reisegeschichten. Im Jahre 1885 kehrten sie gemeinsam nach Wien zurück, söhnten sich mit der Familie aus und bezogen das Familienschloss im niederösterreichischen Harmannsdorf (Gemeinde Burgschleinitz-Kühnring).

„Die Waffen nieder!“

46-jährig, im Jahr 1889, landete Bertha mit ihrem pazifistischen Roman „Die Waffen nieder!“ einen Sensationserfolg. 37 Auflagen mussten gedruckt werden, in zwölf Sprachen wurde das aufrüttelnde Werk übersetzt. Dass all diese Bemühungen völlig fruchtlos bleiben sollten, konnte sie nicht ahnen.

Unermüdlich reiste die engagierte Adelige quer durch Europa, sammelte Mitstreiter, bis sie am 3. September 1891 in der „Neuen Freien Presse“ die Gründung einer „Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde“ ankündigen konnte (siehe Kasten). Ihre Zeilen rauben uns Heutigen den Atem, weil wir inzwischen wissen, was sie prophetisch voraussah: „Jeden Augenblick kann die Explosion kommen [...] Um die wohltätige Vorsicht zu steigern, wird der Pulvervorrath immer vergrößert. Wäre es nicht einfacher, freiwillig und übereinstimmend die Lunten wegzutun – mit anderen Worten – abzurüsten?“

Freundliche Skepsis der Redaktion

Der Redaktionsstab der „NFP“ freilich – durchwegs männlich – begegnete der kämpferischen „Suffragette“ mit gelinder Skepsis. Gleichsam als Entschuldigung fügte man eine redaktionelle Anmerkung bei: „Vielen Lesern werden angesichts der europäischen Lage und der ernstesten Anstrengungen der Staaten, ihre Rüstung zu vermehren, die vorliegenden Ausführungen zu idealistisch, die daran geknüpften Hoffnungen zu optimistisch erscheinen. Aber man wird den Friedensfreunden zugutehalten müssen, daß sie ihre Stimme umso lauter erheben, je drohender die Kriegsgefahr wird. In ihrem Namen zu sprechen, ist in Österreich wohl Niemand mehr berufen, als die Verfasserin von ,Die Waffen nieder!‘, und wir haben ihr darum gerne den Raum unseres Blattes für ihren Appell an die Friedensfreunde zur Verfügung gestellt...“

Überraschend: Der Aufruf fand überwältigenden Zuspruch, Bertha von Suttner wurde natürlich gleich die erste Präsidentin. Ein Internationales Friedensbüro in Rom wurde ins Leben gerufen, 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft“.

Vorträge auch in den USA

Der Idealismus des Ehepaares schlug sich nicht in barer Münze nieder. Das Gut in Niederösterreich war bald verschuldet, nach dem Tod ihres Mannes musste die Baronin ab 1902 mit Zeitungsartikeln Geld ins Haus schaffen. Das hinderte sie nicht an hektischer Vortragstätigkeit im Deutschen Reich und sogar in den USA. Die siebenmonatige Reise der österreichischen „Friedens-Bertha“ glich einem Siegeszug.

Am 10. Dezember 1905 erhielt Bertha von Suttner als erste Frau den von ihr mit angeregten Friedensnobelpreis, den sie am 18.April 1906 in Kristiania entgegennahm. Die Vergeblichkeit ihres Lebenswerks musste sie nicht mehr miterleben. Am 21. Juni 1914, just eine Woche vor dem Attentat zu Sarajevo, erlag sie ihrem Krebsleiden. Für den Herbst hatte sie noch den nächsten Weltfriedenskongress – diesmal in Wien – vorgeplant. „Rache und immer wieder Rache!“ hatte sie in ihrem Roman geschrieben. „Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!“

Der treue Mitkämpfer Fried

Dem Testament entsprechend wurde ihr Leichnam im ersten deutschen Krematorium in Gotha verbrannt, die Asche wird im dortigen Columbarium aufbewahrt.

Doch die Vorbereitungen für den Weltfriedenskongress waren schon erledigt. So trat ihr Mitstreiter Alfred Hermann Fried in ihre Fußstapfen. Im Andenken an Frau von Suttner übernahmen Angehörige des Hauses Habsburg den Ehrenschutz, prominente Vertreter von Politik und Wissenschaft sagten zu. Dass das Ganze mehr deklamatorischen als tatsächlichen Wert hatte, spielte dabei keine Rolle. In seiner Kampagne für den Kongress verwendete Fried auch das Argument, dass der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn ein Modell für die zukünftige Zusammenarbeit europäischer Länder sein könnte. Dieser Hinweis gab den Ausschlag, dass dem Kongress sämtliche Räume des Reichsratsgebäudes gratis zur Verfügung gestellt wurden.

Es sollte nicht mehr dazu kommen. Wenige Tage vor dem geplanten Beginn brach der Weltkrieg aus.

Ein Auslandsösterreicher

Wer war dieser Mann, dem 1911 der Friedensnobelpreis für seine publizistischen Bemühungen zuerkannt wurde?

In Europa durchaus bekannt und geehrt, blieb ihm in Österreich jegliche Anerkennung versagt. Denn Fried war Jude und Freimaurer (seine Loge hieß Sokrates). Der ORF hat dankenswerterweise vor Jahren mit einer Dokumentation diesen fast völlig Unbekannten vor den Vorhang geholt.

Der 1864 in Wien geborene Fried war nur kurz in Österreich. Gleich nach dem Gymnasium begann er eine Lehre als Buchhändler in Berlin, und bald folgten publizistische Tätigkeiten. Pazifist wurde er 1881 durch eine schockierende Ausstellung von Kriegsbildern. So begann er sich intensiv der Friedenspropaganda zu widmen.

Nobelpreis zur geteilten Hand

Bald schloss sich der Buchhändler den Bemühungen Bertha von Suttners an, organisierte unermüdlich und uneigennützig europäische Kongresse und erhielt den Nobelpreis 1911 – gemeinsam mit dem Organisator einer internationalen Konferenz für Privatrecht in Den Haag, Tobias Asser.

Mit der Baronin gab Fried ab 1892 die pazifistische Zeitschrift „Die Waffen nieder!“ heraus. Von 1896 bis 1900 redigierte er auch die monatlich erscheinende „Friedenskorrespondenz“, die als Organ der deutschen Friedensgesellschaft diente.

Seine Hoffnung ruhte auf einer Kunstsprache, in der sich die Menschen jeglicher Zunge endlich verständigen könnten – Esperanto. Er veröffentlichte 1903 das Lehrbuch dieser internationalen Hilfssprache, doch der Zuspruch blieb bescheiden. Ein besonders eifriger Esperanto-Unterstützer war übrigens der 1974 verstorbene Bundespräsident Franz Jonas.

Im Weltkrieg, der all seine Bemühungen zunichte machte, suchte Fried Zuflucht in der Schweiz, weil ihn Österreichs Zensur verfolgte. Er propagierte die Schaffung eines „Völkerbundes“. Der kam zwar tatsächlich, aber die Friedensdiktate von Versailles, St. Germain und Trianon waren für Fried eine herbe Enttäuschung. 1921 starb er in Wien; seine Asche ruht im Urnenhain des Zentralfriedhofs.

Nächsten Samstag:

929 Millionäre in Wien um 1910

AUF EINEN BLICK

„Neue Freie Presse“, 3. September 1891. Bertha von Suttners Aufruf zur Gründung einer Friedensgesellschaft läuft von Seite 1 dreispaltig auf die zweite Seite über. Am Schluss ihres flammenden Appells bittet sie „alle Jene, die sich anschließen wollen, ihren Namen und Wohnort einzusenden, und zwar unter der Adresse der Verfasserin*), welche zu diesem Appell an ihre Landsleute durch den leitenden Ausschuß des römischen Congresses officiell ermächtigt worden ist“.

*) Bertha v. Suttner, Schloß Harmannsdorf, Niederösterreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2013)

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