Hitlers Furien tobten im Holocaust

Hitlers Furien tobten Holocaust
Hitlers Furien tobten Holocaust(c) imago
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Ein neues Buch räumt mit dem Klischee der unpolitischen Trümmerfrau auf. Eine halbe Million Deutsche und Österreicherinnen waren Teil der Nazi-Mordmaschine im Osten - als Zeuginnen, Komplizinnen und Täterinnen.

Der 14. Juni 1942 war ein strahlend schöner Sommertag in Drohobych, einer galizischen Kleinstadt rund 60 Kilometer südwestlich von Lemberg. SS-Hauptscharführer Felix Landau und seine 22-jährige Sekretärin und Braut Gertrude Segel hatten es sich auf dem Balkon ihrer Dienstvilla beim Kartenspiel gemütlich gemacht; unten im Garten arbeiteten jüdische Ghetto-Gefangene. Irgendwann begann das Wiener Pärchen, mit einem Flobertgewehr auf Tauben zu schießen. Dann richtete Gertrude die Flinte auf einen der jüdischen Arbeiter und erschoss ihn – mit einem Lachen.

Auch Josefine Block, geborene Krepp, Gertrudes Wiener Freundin und Nachbarin aus der Apollogasse in Wien Neubau, hatte es nach Drohobych verschlagen. Ihr Gatte Hans Block hatte den Posten als Chef der örtlichen Gestapo übernommen. Im Sommer 1942, als die Landaus Schießübungen auf Zwangsarbeiter machten, war Josefine, eine frühere Sekretärin im Wiener Gestapo-Büro, schwanger und nicht offiziell beschäftigt.

Das hinderte sie allerdings nicht daran, sich ihrem Gatten nützlich zu machen. Als 200 Roma in der Stadt zusammengetrieben wurden, trieb sie die ukrainischen Milizionäre unter Peitschenknallen dazu an, sie rasch zu töten. Ein anderes Mal befahl sie einem Gestapo-Mann, vier jüdische Mädchen zu erschießen, die zu schwach für die Gartenarbeit waren. Und als das Ghetto von Drohobych im Sommer 1943 geräumt und seine ursprünglich rund 15.000 Juden bis auf wenige Hunderte ins Gas geschickt wurden, war Josefine Block im schicken grauen Damenanzug zur Stelle. Ein siebenjähriges jüdisches Mädchen flehte sie weinend um Gnade an. „Ich werde dir helfen“, sagte Block. Dann fasste sie das Kind an den Haaren, schlug es mit der Faust, stieß es zu Boden und zertrampelte seinen Kopf.

Sekretärinnen, Krankenschwestern

Frauen wie die beiden Wienerinnen Gertrude Segel und Josefine Block waren keine Einzelfälle in der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschine im besetzten Osteuropa. Rund 500.000 Sekretärinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen und Erzieherinnen folgten Wehrmacht, SS, SD und den sonstigen Ausprägungen des Nazi-Staates, um den „Wilden Osten“ als großdeutschen Lebensraum zu kolonisieren. Die amerikanische Historikerin Wendy Lower hat nun im Buch „Hitler's Furies – German Women in the Nazi Killing Fields“ (Houghton Mifflin Harcourt) erstmals eine der Allgemeinheit zugängliche Bilanz über die Beteiligung deutscher und österreichischer Frauen am Holocaust erstellt. Sie räumt mit dem Klischee auf, dass die Frauen im Nazismus völlig unpolitisch gewesen seien und sich insofern höchstens vereinzelt an der Shoah beteiligt hätten. Die Generation der Nachkriegstrümmerfrauen war bei Weitem nicht so unschuldig, wie man sich das bisher eingeredet hat.

Goldammern im Ostrausch

In der ukrainischen Stadt Zhytomyr entdeckte Lower 1992 die ersten Anzeichen, dass viel mehr Frauen im Osten für den Hitler-Staat gearbeitet hatten, als es bis dahin bekannt war. „Ich fand Personalakten vieler junger, alleinstehender Frauen, die in den Osten geschickt worden waren“, erzählt Lower im Gespräch mit der „Presse“. Stutzig geworden, ging sie systematisch die Literatur über westdeutsche Kriegsverbrecherprozesse durch. „Mir fiel plötzlich auf, dass eine Menge dessen, was wir über den Holocaust wissen, von Zeuginnen stammt. Wieso wussten diese jungen Frauen so viel, bis hin zur bürokratischen Verwaltung des Massenmordes?“

Lower zeichnet in „Hitler's Furies“ die Schicksale von 13 dieser Frauen nach. Viele waren nur Zeuginnen, einige Komplizinnen, und manche – wie die beiden Wienerinnen Segel und Block – Täterinnen. Sie alle kamen aus der „verlorenen Generation“, die im oder knapp nach dem Ersten Weltkrieg geboren wurde. Für diese jungen Frauen eröffnete das Nazi-Reich reizvolle Karrierechancen; zu Kriegsende betrug der Frauenanteil in den Gestapo-Büros von Wien und Berlin 40 Prozent. Massenhaft verfielen sie dem „Ostrausch“; die allgegenwärtigen, ideologisch fanatisierten Sekretärinnen der örtlichen senfgelb uniformierten Nazi-Verwalter trugen den Spottnamen „Goldammern“. „Diese Frauen waren die Zukunft des Regimes“, hält Lower fest.

Anfang 2014 erscheint „Hitler's Furies“ auf Deutsch bei Hanser. Spätestens dann darf man ein Aufflammen der Debatte über das Versagen der österreichischen Justiz in der Verfolgung der Nazi-Verbrechen erwarten. Block wurde 1949 in einem Strafverfahren freigesprochen, Segel nicht einmal angeklagt. Ende der 1940er-Jahre verlieren sich die Spuren der beiden Wienerinnen. „Ich hoffe, dass jemand herausfindet, was mit ihnen geschehen ist“, sagt Lower.

DIE AUTORIN

Wendy Lower ist Professorin für Geschichte am Claremont McKenna College nahe Los Angeles sowie Fellow an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie publiziert seit Anfang der 1990er-Jahre zum Thema Holocaust und berät unter anderem das U. S. Holocaust Memorial Museum in Washington wissenschaftlich. [ Björn Marquart]

Anmerkung der Redaktion:

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2013)

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