Helmut Schmidt: Ein Methusalem mit der Passion fürs Rauchen und Dozieren

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Die „Republik Seelenruh“ feiert den 95. Geburtstag des Altkanzlers Helmut Schmidt. Der hanseatische Sozialdemokrat ist im Laufe der letzten Jahre zu einer Kultfigur avanciert: „Ein Denkmal, das spricht“, wie ihn die „Zeit“ würdigt. Der Film „Lebensfragen“ spürt seiner Karriere nach.

Deutschlands Sozialdemokraten kommen aus dem Feiern schier nicht mehr heraus. Wochenlang zelebrierten sie den 100. Geburtstag Willy Brandts, ihrer geliebten Galionsfigur. Und als der Höhepunkt des Willy-Brandt-Hypes in schöner Fügung mit dem Triumph der SPD beim riskanten Mitgliedervotum über die Neuauflage der GroKo, der ungeliebten Großen Koalition, zusammenfiel, schwelgte die Partei im Jubel über eine glorreiche Ära. Zu guter Letzt dräut heute noch der 95. Geburtstag des SPD-Methusalems, des nüchtern-rationalen Antagonisten zum Charismatiker Brandt in der einstigen Machttroika Brandt – Schmidt – Wehner.

Längst ist Helmut Schmidt selbst zum hochverehrten und populärsten Altpolitiker der „Republik Seelenruh“ avanciert – so ein Essay Dirk Kurbjuweits im „Spiegel“ über die Lage der Nation. Ein Guru für alle Lebenslagen, der dem „Zeit“-Kollegen Giovanni di Lorenzo für die Dauer einer Zigarettenlänge in einer Kolumne die komplizierten Weltenläufte ebenso kurz und bündig erklärt wie die banalen Dinge des Alltags. Gerade wegen seiner Ecken und seiner Schroffheit ist Schmidt zur Kultmarke geworden, und dass der passionierte Raucher sich bei jeder Gelegenheit über das Rauchverbot hinwegsetzt und dabei Podien auf Theaterbühnen und TV-Studios mit den Schwaden seiner Menthol-Zigaretten einnebelt, macht ihn auch für jüngere Generationen zu einem Inbegriff der Coolness.

„Schmidt-Show“ in der „Zeit“

Klar, dass die „Zeit“ ihrem langjährigen Ko-Herausgeber eine Eloge widmet – wenngleich auch diesmal keine Extranummer und kein eigenes Symposium wie zum 90er. „Ein Denkmal, das spricht“, schreibt Özlem Topçu in der jüngsten Ausgabe über die „Schmidt-Show“ in der freitäglichen Redaktionskonferenz. Mag Harald Schmidt als TV-Spottdrossel auch kommen und gehen – Helmut Schmidt bleibt, was er immer war: ein Hanseat durch und durch, mit „klarer Kante“ und oberlehrerhaftem Ton, der dem US-Präsidenten Jimmy Carter mit seinen geopolitischen Analysen unsäglich auf die Nerven ging. Die besserwisserische Attitüde des ehemaligen schneidigen Oberleutnants, der einst die „preußischen Sekundärtugenden“ pries, sein Hang zur ungeschminkten Wahrheit sind ja wahrlich nicht jedermanns Sache.

Die Spieldoku „Lebensfragen“ (Montag, 21.45, ARD und Servus TV), die nachgestellte Filmsequenzen, historische Aufnahmen und Interviewpassagen mixt, beleuchtet exemplarische Stationen in Schmidts Biografie: die Kindheit im strengen Hause, die Enthüllung eines jüdischen Großvaters, die Zeit als Offizier in der Wehrmacht, die Wandlung zum Sozialdemokraten und zum Karrierepolitiker.

Der Film lässt deutsche Zeitgeschichte Revue passieren: wie sich Schmidt als Hamburger Senator nach der Sturmflut 1962 zum Krisenmanager aufschwang, wie unvorbereitet ihn nach Brandts Rücktritt der Aufstieg zum Kanzler traf, wie er im Zuge des RAF-Terrors im „Deutschen Herbst“ 1977 eine Rücktrittserklärung in petto hatte, wie er über seine Schuld räsoniert und wie ihn die FDP beim Kanzlersturz 1982 überrumpelte.

Ein Paar wie Philemon und Baucis

Seit Schultagen stets an seiner Seite: Loki, seine Frau, mit der er eine 68-jährige Ehe und die Leidenschaft für das Rauchen teilte. Ein Paar wie Philemon und Baucis – zwei Figuren aus der griechischen Mythologie –, bei dem der eine ohne den anderen nicht mehr denkbar ist. Als sein Lebensmensch vor drei Jahren starb, verfiel Helmut Schmidt in Depressionen, aus denen ihn schließlich seine langjährige Assistentin und heutige Lebensgefährtin riss. Noch heute ruft er allerdings im Halbschlaf und beim Aufwachen zuerst den Namen seiner Frau, wie er in „Lebensfragen“ seinem Interviewer di Lorenzo erzählt.

Der „Zeit“-Chef entlockt Helmut Schmidt noch ein weiteres Geheimnis. Als 1993 SPD-Chef Björn Engholm letztlich unglücklich über die Folgen der Barschel-Affäre stürzte, beknieten ihn manche in der SPD zu einem politischen Comeback. Loki riet ab, und Schmidt blieb der Rolle als Welterklärer treu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2013)

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