Spuren des Weltkriegs in der Musik.
Dass der Erste Weltkrieg den Siegeszug der Stahlsaiten in der Instrumentalmusik förderte, ist wenig bekannt. Mangels (aus Italien kommenden) Darmsaiten stiegen in den Kriegsjahren viele Orchester um. Aber auch sonst hinterließ der Erste Weltkrieg musikalische Spuren.
Da sind etwa die Klavierkonzerte für die linke Hand, die so berühmte Komponisten wie Prokofjew, Hindemith, Ravel oder Britten für Ludwig Wittgensteins Bruder Paul schrieben. Paul Wittgenstein hatte eine vielversprechende Pianistenkarriere begonnen, verlor im Krieg den rechten Arm, ließ sich aber nicht entmutigen. Auch der in Wien geborene Tscheche Otakar Hollmann verlor seine rechte Hand, für ihn komponierte Janácek ein „Capricciofür einhändiges Klavier, Flöte, zwei Trompeten, drei Posaunen und Tenortuba“.
Schönberg als Habsburg-Fan. „Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war ich stolz, zu den Waffen gerufen zu werden, und als Soldat tat ich alle meine Pflichten als begeisterter Anhänger des Hauses Habsburg, seiner 800-jährigen Weisheit in der Kunst des Regierens“, schrieb Arnold Schönberg über seine Teilnahme am Krieg, und fügte hinzu: „Ich bin kein Pazifist. Gegen den Krieg sein ist so aussichtslos wie gegen den Tod sein. Beides ist unvermeidlich (...) und gehört zu den Methoden der Erneuerung des Menschengeschlechts.“
Nicht alle teilten nach dem Krieg diesen Fatalismus, aber fast alle die anfängliche Begeisterung. Unzählige Schlager und Wienerlieder entstanden in Wien, aber auch Singspiele. So hatte im Oktober 1914 Emmerich Kálmáns Operette „Gold gab ich für Eisen“ am Theater an der Wien Premiere – eigentlich die Neuversion seiner Operette „az obsitos“, mit nationalistischem deutschen Text.
Die Operette blühte in Wien generell munter weiter. Keine zwei Wochen nach dem Tod des Kaisers wurde „Die Rose von Stambul“ uraufgeführt, und sogar noch 1918, in Not und Untergangsstimmung, gab es in Wien fast zwei Dutzend Operetten- und Singspiel-Uraufführungen.
Kein Wunder, war dieses Genre doch so wichtig, um die Bevölkerung bei Laune zu halten. Man nutzte es aber auch zu Werbezwecken im Ausland, mithilfe von Gastspielen bei den Verbündeten wie etwa in der Türkei. Auch die neutralen Staaten wurden musikalisch umworben, etwa mit einer Konzerttournee der Philharmoniker in der Schweiz.
Wie deutsch ist Beethoven? Zum „Musik-Krieg“ gehörten eigens komponierte Werke wie Debussys „Berçeuse Heroique“, aber auch Diskussionen, wie deutsch Beethoven sei, Versuche (Debussys), die französische Musik von deutschen Einflüssen zu „reinigen“, oder die Verbannung französischer Ausdrücke aus dem Musikvokabular.
Gerade bei Debussy zeigt sich allerdings, wie sehr der patriotische Furor meist im Lauf des Kriegs nachließ. Er weigerte sich auch, Schönberg abzulehnen, nur weil er Österreicher sei. Mit „Noël des enfants qui n'ont plus de maison“ („Weihnachten der Kinder, die kein Zuhause mehr haben“) zollte er den unschuldigen Opfern des Kriegs Tribut, Ravel widmete sein „Tombeau de Couperin“ gefallenen Freunden.
Und ist sein 1919 in Auftrag gegebenes Stück „la valse“ eine Vertonung des Zusammenbruchs der alten (österreichisch-ungarischen) Ordnung, der wilde Schluss inspiriert vom Lärm der Artillerie, die den Walzer „erschießt“? Ravel selbst verneinte das, aber viele Zeitgenossen hörten das Werk so – es passte gar zu gut zum großen Zusammenbruch.
Und die verbindenden Schlager der Kriegszeit? Die gab es mangels Radio weniger als im Zweiten Weltkrieg. Unvergessen ist aber immer noch das irische Lied „It's a long way to tipperary“: Es wurde zur offiziellen Hymne der britischen Soldaten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)