Simon Wiesenthal: Nazijäger und Philatelist

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Zum 100. Geburtstag wird ein Holocaust-Institut gegründet.

Sein kleines Büro am Wiener Rabensteig war von einer derartigen Einfachheit, dass es uns junge Journalisten in den Siebzigerjahren schockierte. „Schäbig“, flüsterte mir „Presse“-Fotograf Rudi B. zu, als wir Simon Wiesenthal zum ersten Mal aufsuchten. Hunderte Aktenordner, eine vorsintflutliche Büromöblierung. Der legendäre „Nazi-Jäger“ stand damals – 1975 – im Zentrum einer miesen antisemitischen Kampagne der SPÖ, ausgelöst von ihrem Vorsitzenden Bruno Kreisky. An den ungerechtfertigten Vorwürfen dieses Bundeskanzlers, der selbst aus jüdischem Hause stammte, sich aber zum Agnostiker entwickelt hatte, litt Wiesenthal schwerer als unter all den Misshandlungen, denen er im KZ ausgesetzt war.

Am 31. Dezember 2008 gedenkt Österreich des 100. Geburtstages des Ing. Simon Wiesenthal. Er hatte zwar ein Architektur-Diplom in der Tasche, aber sein Lebenswerk war ganz anderer Natur.

Sein Vater, ein galizischer Großhändler, fällt 1915 noch für „Gott, Kaiser und Vaterland“ – für Altösterreich; der Sohn, der 1932 in Prag das Architekturstudium abgeschlossen hat und in Lemberg sein Atelier betreibt, gerät 1941 in die Fänge der NS-Vernichtungsmaschinerie. Seine Ehefrau Cyla und er überleben. Die gesamte Familie hingegen ist ausgerottet – 89 Menschen.

Wenig Freude über die Recherchen

Zwölf Konzentrationslager, ein Selbstmordversuch und zuletzt die glückliche Befreiung durch die Amerikaner im KZ Mauthausen kennzeichnen den ersten Abschnitt im Lebensweg des Simon Wiesenthal. 45 Kilo wiegt er noch. Die US-Streitkräfte beauftragen den 37-Jährigen in Linz mit der Aufdeckung von Kriegsverbrechen, doch die österreichische Innenpolitik zeigt sich nicht sonderlich interessiert an der Recherche. So geht er 1954 für kurze Zeit mit seinen Dossiers nach Israel, wo man übrigens auch wenig dafür übrig hat. Doch er ermittelt weiter.

Wieder in Wien, setzt er sich auf die Spur der braunen Mörder. Und dazu nützt der leidenschaftliche Philatelist auch seine Kontakte zu Briefmarkensammlern in aller Welt. Er wird der „Nazi-Jäger“, als 1960 der SS-Scherge Adolf Eichmann in einem herabgekommenen Vorort von Buenos Aires geschnappt werden kann. Der „Mossad“ verschleppt den „Fahrdienstleiter des Todes“ nach Israel; und nach einem spektakulären Prozess wird Eichmann 1962 gehenkt.

In Österreich hat man wenig Freude mit dem unnachgiebigen Rechercheur. Im „Presse“-Interview meint er 1996 über die Aufarbeitung der NS-Zeit: „In der ersten Epoche hat man sich hinter der Moskauer Deklaration 1943 versteckt. Unzählige Male habe ich erklärt, dass zwar Österreich als Land das erste Opfer war, aber nicht die Bevölkerung.“

„Es war eine unmögliche Gratwanderung, auf die er sich einließ“, meinte Gerhard Roth in einem Nachruf. „Die schaffte er ohne abzustürzen, trotz Fußfallen der Justiz, Stürmen der Entrüstung und Wolken giftigen Hasses der Öffentlichkeit, trotz Steinschlägen von Seiten der Politik und des Gestanks brauner Abwässer.“

Kreiskys schwerster Fehler

Dies ist freilich nur die halbe Wahrheit. Denn die ärgste Infamie braut der mit absoluter Parlamentsmehrheit ausgestattete Bruno Kreisky zusammen. Seit 1970 ist er aus parteitaktischen Gründen dem einstigen SS-Obersturmführer (Oberleutnant) Friedrich Peter verbunden. Dessen FPÖ hilft über die wackelige Minderheitsregierung drüber, die SPÖ hingegen macht die bis dahin von ihr diffamierte FPÖ salonfähig. 1975 könnte Kreisky – man weiß ja nie – Peters Hilfe nach den Wahlen wieder benötigen. Da fährt wie ein Blitz Wiesenthal dazwischen: In einer internationalen Pressekonferenz präsentiert er Dokumente, wonach Peter als 18-Jähriger einer SS-Brigade angehört hatte, die im besetzten Polen zur Erschießung von Juden, Zigeunern und Partisanen eingesetzt war. Peter schwört, nie dabei gewesen zu sein, Kreisky dreht den Spieß um und verdächtigt Wiesenthal, mit den Nazis kollaboriert zu haben. Wiesenthal klagt, die SPÖ (Klubchef: Heinz Fischer) droht mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Bevor die juristische Unsinnigkeit offenbar wird, schaltet Fischer schon den Retourgang ein: Man verzichte auf diese Holzhammer-Drohung, wenn auch der alte gebrochene Wiesenthal auf den Klagsweg verzichtet. Es ist eine schwere moralische Schuld, die Kreisky und Fischer auf sich geladen haben, weil sie wider besseres Wissen gehandelt haben. Fischer kann das auch nicht so gut verdrängen. Man merkt es ihm in den nächsten Jahren an.

Der Eklat hat eine lange Vorgeschichte. Seit der Ingenieur in Österreich lebt, ist er für die Wiener Kultusgemeinde eine Provokation. Er findet sich mit der parteipolitischen Instrumentalisierung der jüdischen Gemeinde durch die Wiener SPÖ nicht ab, kandidiert seit 1959 mit einer eigenen Fraktion für die Wahlen in die Kultusgemeinde – und wird von den Glaubensgenossen als „Ostjude“ in die ÖVP-Nähe gerückt.

Erst Helmut Zilk brach den Bann

Als die österreichische Justiz 1972 alle Prozesse gegen NS-Verbrecher einstellt, geschieht dies auf Anweisung des SP-Justizministers Christian Broda, zweifelsfrei mit Billigung des Bundeskanzlers. Wiesenthal ist entsetzt – und steht wieder einmal gegen das „gesunde Volksempfinden“ der österreichischen Mehrheit.

Dass er im „Fall Waldheim“ eine andere Meinung als der Jüdische Weltkongress vertritt, macht ihn für die SPÖ zum politischen Gegner. Und so dauert es lange, sehr lange, bis ihm Genugtuung widerfährt. Mit einem Trick setzt Bürgermeister Helmut Zilk die Ernennung Wiesenthals zum Ehrenbürger von Wien durch. Die Überreichung eines hohen Ordens durch Heinz Fischer konnte durchaus als späte Bitte um Absolution verstanden werden.

8000 AKTEN FÜRS NEUE INSTITUT IN DER WIENER JOSEFSTADT

Späte Ehrung. Im Juni 2005 suchte der Bundespräsident Simon Wiesenthal auf, um dem Schwerkranken das Große Goldene Ehrenzeichen zu überreichen. Drei Monate später war Wiesenthal tot. Er wurde, seinem letzten Willen entsprechend, am 23. Sep-tember 2005 in Herzlija-Pituach im Beisein
von österreichischen und israelischen Regierungsvertretern beigesetzt.

Das Institut. Ins Palais Strozzi, das derzeit noch ein Finanzamt beherbergt, soll nun das „Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust- Studien“ einziehen. 1,3 Mio. Euro stellt die Stadt Wien zur Verfügung. Die Bundesimmobilie in der Josefstädter Straße soll bis spätestens 2012 adaptiert werden. Dafür muss nun der Bund Finanzmittel zur Verfügung stellen, auch für den weiteren Betrieb.

Das Archiv des verstorbenen „Nazijägers“ ist nur ein Teil des geplanten Instituts. Es umfasst immerhin rund 8000 Akten, das sind etwa 35 Laufmeter. Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny spricht von einem internationales Forschungszentrum. Hier sollen all jene Fragen, die Antisemitismus, Rassismus und den Holocaust betreffen, erforscht, dokumentiert und didaktisch vermittelt werden. Betreiber des Projekts ist der Politologe Anton Pelinka. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2008)

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