Theodor Körner: Der Top-Spion Redl und die "Nr. 25"

Theodor Koerner
Theodor Koerner(c) Brandstätter Verlag
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Der Bundespräsident wahrte berufliche wie private Geheimnisse.

Mein Alles, alles! Denk doch, daß es möglich wäre, daß wir uns bald sehen können. – Um lieben! – T. T. Ich liebe Dich mit meinem ganzen Sein! geistig! seelisch! psychisch – und mit jeder Faser physisch – Einzig Geliebtes! Ganz Dein T. T. Jetzt, Herzlich, wo ich Dich ruhiger weiß – schreibe ich Dir nicht mehr täglich – aber bin immer bei Dir!

Gott sei mit Dir, mit uns – er schütze Dich

Dein T. T.


Glutvolle Liebesergüsse eines jungen Menschen? Keineswegs. Der Verfasser ist im Greisenalter, 76 Jahre alt, ist (noch) SPÖ-Bürgermeister von Wien, wir schreiben das Jahr 1949. Theodor Körner, der spätere Bundespräsident, dem einige Parteigenossen eine homosexuelle Biografie anmessen wollten, hatte bis zu seinem Tod eine „Ersatzfamilie“ in Kitzbühel. Erst jetzt ist dies durch Cherica Schreyer-Hartmann offenbar geworden. Die Liebesbriefe Körners an ihre Mutter „Trix“ hat sie jüngst bei Brandstätter herausgebracht. Unsere Zeitgeschichteserie berichtete darüber erstmals am 29. August.

Ein geheimnisvoller Mensch – trotz seiner Popularität bei den Wienern. Und ein politischer Kopf. Der Knebelbart, den Körner zeitlebens pflegte, war übrigens das unverfängliche Erkennungszeichen der (wenigen) liberalen Offiziere in der kaiserlichen Armee. Der k.u.k.-Generalstäbler geriet durch einen Zufall in die größte Spionageaffäre der Monarchie, die 1913 für gewaltiges Aufsehen in der Armee gesorgt hatte. Der österreichische Geheimdienstchef Oberst Alfred Redl war homosexuell, wurde deswegen vom russischen Dienst „Ochrana“ erpresst, lieferte brisantes Material und verdiente Unsummen. Als man ihm auf die Spur kam, gestand er seinen Verrat, bevor er mit der Pistole Selbstmord beging.

Mit Körner gut befreundet

Und Körner? Was hatte er damit zu tun? Er war mit dem ranghöchsten österreichischen Geheimdienstoffizier gut bekannt, ja befreundet. Und er war „Single“. Also untersuchte man nach Redls Schuldeingeständnis und dessen Tod diskret das Umfeld des Doppelspions. Man fand Briefe in Redls Prager Wohnung an Körner, der Prüfer für Telegraphenwesen an der Kriegsschule war: Der Freund möge ihm die Prüfungsfragen verraten, er benötige sie für seinen „Neffen“ (Redls Geliebten Horinka). Körner tat dies tatsächlich, allerdings schickte er Fragen aus dem Vorjahr.

Verdächtig war er somit. Aber auch die Nachforschungen des Redl-Nachfolgers im österreichischen Geheimdienst, Max Ronge, brachten nichts Handfestes zutage. Zwischen den beiden Offizieren dürfte auch die Politik gestanden sein: Der Meisterspion Ronge war dem Hause Habsburg selbst in der Zwischenkriegszeit noch treu ergeben, während Körner bereits Sympathien für die Sozialdemokratie erkennen ließ.

Körner hat sich also vermutlich getreu seiner strengen Dienstauffassung von Offiziersehre nichts zuschulden kommen lassen. Dennoch hört man heute noch im Heeresnachrichtenamt leise Zweifel und halblaute Fragen, ob Körner nicht doch . . .

Es wurden seitdem nämlich fast alle russischen „Maulwürfe“ durch die Geschichtswissenschaft enttarnt. Nur die berühmte „Nummer 25“ fehlt. Theodor Körner sprach einwandfrei Russisch und er kannte Ruth von Mayenburg, die allerdings damals noch Sozialistin war und sich erst in der Zwischenkriegszeit der illegalen KPÖ anschloss. Sie hat ihn später in Wien besucht, als er noch Bürgermeister war. Da parlierte man zeitweise auf Russisch, wie sie berichtet. Aber Beweise . . .?

Es ist nichts beweisbar. Tatsache hingegen ist ein anderes Geheimnis. Schon die Journalistin Thea Leitner hat berichtet, dass nach dem Tod Körners Seltsames vor sich ging: Sie erinnerte sich, dass auf dem Schreibtisch ein Manuskript des Bundespräsidenten lag: „Von der Macht“. Es wurde nie gedruckt. Als Körners Nachlass gesichtet wurde, war dieses Konvolut (etwa 300 Blatt Papier) spurlos verschwunden. „Von der Macht“, soll Körner der Publizistin gesagt haben, „da werden sich einige Leute wundern, die an die Macht gekommen sind!“

Parteihistoriker Norbert Leser mutmaßt, dass sich der alte Offizier mit der inferioren Führung des Republikanischen Schutzbundes in den Jahren 1927 und 1934 beschäftigt haben könnte. Leser: „Deren Schuld und Irreführung bestand darin, nicht einzugestehen, dass es in Wirklichkeit keinen ernstlichen Willen gab, vom militärischen Potenzial Gebrauch zu machen.“ Körner hielt vom Säbelgerassel der Sozialisten in der Zwischenkriegszeit gar nichts: „Mit einer Armee von Pazifisten kann man keinen Krieg führen!“

So könnte Körner in dem ominösen Text auch der Sozialdemokratie Mitschuld am Untergang der Demokratie in Österreich gegeben haben. „Freilich keine gleich große wie die des bürgerlichen Lagers, aber eine Schuld, die primär gegenüber den eigenen Anhängern und erst mittelbar gegenüber dem politischen Gegner und vor der Geschichte besteht.“ (Leser)

Noch in der Nacht nach Körners Tod wurden große Kartons und Taschen, möglicherweise voller Akten, aus Körners Arbeitszimmer geschleppt. Der Auftraggeber ist bis heute unbekannt geblieben. Thea Leitners Ehemann, der „Kurier“-Journalist Sebastian Leitner, hat diesen unglaublichen Vorfall in den Siebzigerjahren geschildert. Wer also könnte das Dossier beiseitegeschafft haben? Norbert Leser: „Ein Machthaber, der Zugang besaß. Nomina sunt odiosa . . .“

Cherica Schreyer-Hartmann, Theodor Körner, Der rote Kaiser und die Nachtigallen, Chr. Brandstätter Verlag, 287 Seiten, 25 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2009)

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