Auf einer Konferenz in Belgrad diskutierten internationale Experten über die Auswirkungen des historischen Umbruchjahres 1989 in Südosteuropa.
BELGRAD. In Berlin stand noch die Mauer, da wurden in Serbien bereits kommunistische Machthaber von den Massen wegdemonstriert. So etwa bei der „Joghurtrevolution“ in Novi Sad, im Herbst 1988. Die Führung der Vojvodina trat zurück, nachdem 15.000Menschen aufmarschiert und Joghurtbecher als Wurfgeschosse verwendet hatten.
Die Proteste gegen KP-Funktionäre waren zwar auch ein Ventil für den Unmut vieler Serben über die schlechte Wirtschaftslage und die kommunistische Herrschaft. Doch organisiert wurden sie von ganz oben: von Serbiens neuem starken Mann Slobodan Milo?evi?. Er, selbst aus dem Herzen der KP, nutzte die Massenaufmärsche und seine „antibürokratische Revolution“, um unliebsame Parteikader auszuschalten und so seine Macht in ganz Serbien und in Montenegro auszubauen. Dafür verbündete er sich auch mit antikommunistischen Nationalisten.
„Im Gegensatz zum Rest Europas wird 1989 in diesem Teil des Kontinents nicht besonders gefeiert. Denn das Ende des Kommunismus leitete hier auch den Beginn des Nationalismus ein“, meint der französische Politikwissenschaftler Jacques Rupnik. Das Mitglied der einstigen „Independent International Commission for Kosovo“ war nur einer von vielen Teilnehmern der internationalen Konferenz „Beyond the Wall“, die von den Thinktanks „Notre Europe“ und „Kulturni Front“ diese Woche in Belgrad abgehalten wurde. Schauplatz der Veranstaltung war der „Palata Srbije“, ein gewaltiger Bau aus der kommunistischen Zeit. Hier hatte einst das Staatspräsidium des kommunistischen Jugoslawiens, gleichsam die Regierung des Gesamtstaates, getagt – bis das Land an den Spannungen zwischen Milo?evi? und den neuen Führungen in Slowenien und Kroatien zerfiel.
„Wenn man 1989 gefragt hätte, welches exkommunistische Land die Transformation am besten bestreiten könne, hätten viele gesagt Jugoslawien“, meint Politikwissenschaftler Rupnik. Doch es kam anders. Es kam der Krieg, der zehntausende Opfer forderte und fast alle neuen Staaten aus der Konkursmasse Jugoslawiens in der wirtschaftlichen Entwicklung weit nach hinten warf.
Kristof Bender vom Thinktank „European Stability Initiative“ (ESI) warnt vor einer Verklärung der Zeit vor 1989. Sogar heute noch, Jahre nach Ende der jüngsten Balkankriege, würden viele Menschen denken, dass ihr Leben im kommunistischen Jugoslawien besser war: „Diese Wahrnehmung beruht aber meist auf eine Mystifizierung dieser Zeit.“ Der Wohlstand im kommunistischen Jugoslawien sei schließlich auf einem gewaltigen Berg von Auslandsschulden aufgebaut worden.
Als die Schuldenblase platzte und die soziale Lage schlechter wurde, brach die Zeit der Milo?evi?s, die Zeit des Krieges, an. Pierre Mirel von der Generaldirektion für Erweiterung in der EU-Kommission sieht Südosteuropa mittlerweile aber auf einem guten Weg, auf dem Weg in die EU: Kroatien etwa tritt in das Endstadium der EU-Beitrittsgespräche ein; und mit Mazedonien dürften die Verhandlungen bald starten. „Das ehemalige Jugoslawien tritt nun in eine neue Phase ein.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2009)