Heinz Grill: Der Desperado im Staatsarchiv

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Der Fall des Heinz Grill, der kiloweise Gold und Silber aus dem Staatsarchiv schmuggelte, bewegte 1952 die Öffentlichkeit: Ein Sittenbild über den Umgang mit Volksvermögen.

Am 19. September 1951 wurde der Staatsarchivar I. Klasse und stellvertretende Leiter, Dr. Heinz Grill, verhaftet, wie der Wiener Kurier als erstes Blatt berichtete. Gleich am nächsten Tag schob die Zeitung eine Meldung nach, in der es hieß: „Die Affäre Dr. Grill hat deshalb größte Beunruhigung hervorgerufen, weil sie nicht die erste ist, durch die nach Ende des Krieges schwerer Schaden an wertvollem und unersetzlichem österreichischem Volksvermögen angerichtet wurde.“

Heinz Grill, promovierter Historiker und Schriftsteller, war siebenunddreißig Jahre alt, als er im Dezember 1946 vom Allgemeinen Verwaltungsarchiv in das Haus-, Hof- und Staatsarchiv kam. Als Archivar sei er nicht besonders fleißig gewesen, sollte der Generaldirektor des Staatsarchivs, Dr. Leo Santifaller, vor Gericht bemerken, und auch sein wissenschaftlicher Eifer wurde als eher bescheiden beschrieben; Grills Interesse galt vielmehr der Schriftstellerei. Er verfasste Aufsätze, schrieb Abenteuerromane und Reiseerzählungen. Sein Herz gehörte aber auch der Erweiterung einer familiengeschichtlich-genealogischen Sammlung, für die er, wie sich herausstellte, aus wertvollen Bibliothekswerken Abbildungen herausschnitt. Doch das war nicht alles: Im April 1951 wurde entdeckt, dass an Urkunden Siegelkapseln (Schalen und Deckel) aus Edelmetall fehlten; allerdings hegte man zunächst keinen konkreten Verdacht. Kurz danach wurde Dr. Gebhard Rath, Grills Vorgesetztem, zugetragen, dass Grill, unter seinem Rock versteckt, Urkunden aus dem Haus geschmuggelt habe. Rath sollte später als Zeuge vor Gericht aussagen, er habe Grill damals mehr freundschaftlich gefragt, ob es möglich sei, dass er etwas Unredliches mache, und Grill habe mit erstaunter Miene geantwortet: „Kannst du das von mir annehmen?“ Kurz darauf fiel einem Bediensteten im Ausstellungsraum des Archivs eine unversperrte Vitrine auf. An einem Dokument aus dem Jahre 1707 fehlten das Wachssiegel und die goldene Siegelkapsel, an einem anderen, einer britischen Urkunde, passten Schale und Deckel des Siegels nicht zusammen. Aufgeschreckt begann man nun die Bestände zu durchforsten und siehe da, bei fast allen britischen Staatsurkunden waren die silbernen Siegelschalen entfernt worden.


Die Falle schnappt zu. Am 17. September 1951 schnappte schließlich die Falle zu. Grill wurde auf frischer Tat ertappt und noch am selben Tag festgenommen. Bei der Einvernahme gestand er, seit 1948 Goldbullen und Silberkapseln gestohlen und verhökert zu haben. Sachverständige rekonstruierten, dass Grill im Laufe der Jahre bis zu 185 Kilogramm Silber und möglicherweise über ein Kilogramm Gold im Wert von etwa 395.000 Schilling ergaunert hatte, was ihm, seiner Frau und deren Mutter ein sattes Auskommen gesichert haben musste.

Wien stöhnte unter der Hitze, als am 22. Juni 1952 die Verhandlung vor einem Schöffensenat begann. Brigitte Grill, die Frau des Angeklagten, erzählte als Zeugin, dass sie infolge ihrer schweren Erkrankung wiederholt ihrem Gatten Szenen gemacht habe. Grill bestätigte diese Aussage und klagte, ihre Unzufriedenheit und Sticheleien wegen seines geringen Einkommens hätten ihn zum Verbrecher werden lassen. Das Geld aus den Diebstählen, erklärte er, sei für die Renovierung der bombenbeschädigten Wohnung, für Kleidung, Theaterbesuche, Privatärzte und teure Sommerurlaube verwendet worden.

Staatsanwalt Dr. Hörmann bezeichnete Grill als Desperado, der Schande über das Staatsarchiv gebracht habe. Wenn Grill behaupte, er sei mit Leib und Seele Wissenschaftler gewesen, sei das ein Hohn, wenn man bedenke, welch unabschätzbaren Schaden er angerichtet hätte. Grill sei zum Dieb an der gesamten menschlichen Zivilisation geworden.

Primarius Dr. Huber beurteilte Grill in seinem psychiatrischen Gutachten als übersensiblen, mit einer pathologischen Sammelwut belasteten Psychopathen. Grill gab zu, wie aus dem Verhandlungsprotokoll hervorgeht, ein unkorrekter, untauglicher Beamter gewesen zu sein. „Ich bereue meine Tat, die ich leider nicht mehr gut machen kann und die mich zum Schädiger eines Kulturinstitutes gemacht hat, das ich seit meiner Kindheit geliebt habe und dem zu dienen ich mich glücklich gefühlt habe. Ich wurde zu dieser Tat durch die Zwangsvorstellung getrieben, das Liebste, was ich besitze, meine Familie, zu verlieren.“
Barbarisches Werk. Der Schöffensenat unter Vorsitz von OLGR Dr. Freiinger erkannte Grill des Missbrauchs der Amtsgewalt und des Diebstahls schuldig und verurteilte ihn zu sieben Jahren schweren Kerkers. Das Neue Österreich kommentierte am 29. Juni 1952: „Das barbarische Zerstörungswerk, das der Staatsarchivar erster Klasse im österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Dr. Heinz Grill, angerichtet hat, ist nicht wieder gutzumachen. Es erscheint deshalb vollauf gerechtfertigt, dass dieser Mann, der dank seiner hohen Intelligenz die Folgen seines Tuns kennen musste, härter bestraft wurde als mancher Kassenschränker oder Gelegenheitsdieb.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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