Tschechien: Die Schreckensnacht von Dobrenz

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Die Polizei stieß auf ein Massengrab: Vermutlich handelt es sich um 15 Deutsche, die 1945 massakriert wurden. Heute lebt keiner der einstigen Mörder mehr.

PRAG. Tschechien wird von einem Nachkriegsverbrechen an Sudetendeutschen eingeholt. Anfang dieser Woche stieß die Polizei bei schon länger andauernden Ermittlungen nahe dem Ort Dobronín (Dobrenz) in der einstigen Iglauer Sprachinsel auf menschliche Überreste. Wahrscheinlich handelt es sich um die Gebeine von 15Deutschen, die dort am 19.Mai 1945 massakriert wurden. Bis Ende dieser Woche sollen sie geborgen werden. Die Polizei will die Identität der Opfer feststellen, notfalls über DNA-Analysen.

Der Fall ist auch in Tschechien seit Langem bekannt, weil sich auch ehemalige deutsche Bewohner aus der Gegend, die nach dem Krieg vertrieben worden waren, dafür interessierten. Die „Wende“ 1989 machte es möglich, dass die Deutschen jedes Jahr einen Gedenkgottesdienst in Jihlava (Iglau) für die fast 2000 umgebrachten Landsleute abhalten. Es bedurfte aber erst der Recherchen eines tschechischen Journalisten, um die Polizei zur Aufnahme von Ermittlungen zu bewegen.

Betrunkene Mörderhorde

Was war geschehen an jenem 19. Mai 1945? Eine alkoholisierte Horde tschechischer „Revolutionäre“ unter ihrem selbst ernannten Führer, dem Böhmisch-Österreicher Robert Kautzinger, einem vierschrötigen kommunistischen Glasschleifer, trieb 15Deutsche aus mehreren Dörfern bei Dobrenz zusammen. Die hatten zunächst unter Schlägen ihre Gräber selbst zu schaufeln und wurden dann erschossen oder mit Schaufeln, Spaten oder Hacken erschlagen. Die Mörder feierten anschließend in einem Gasthaus und brüsteten sich offen ihrer Missetat.

Die an dem Mord beteiligten Söhne Kautzingers, das wurde bekannt, arbeiteten später unter dem KP-Regime bei der Polizei beziehungsweise der Staatssicherheit. Angeklagt wurden sie nie. Wie auch die mindestens acht tatbeteiligten Tschechen keine Folgen zu gewärtigen hatten: Das verhinderte das bis heute gültige Straffreistellungsgesetz von 1946, das alle Übergriffe und Gewalttaten gegen Deutsche in der Nachkriegs-Tschechoslowakei guthieß. Heute lebt keiner der einstigen Mörder mehr.

In der Kirche, die für den heutigen Ort Dobronin zuständig ist, kündet eine schlichte zweisprachige Gedenktafel an die Schreckensnacht, die der mutige Pfarrer gegen den Protest des Nachwende-Bürgermeisters anbringen ließ.

In den 90er-Jahren hatten Angehörige der Mordopfer mit ihrem Heimatpriester zudem am Tatort ein Birkenkreuz errichtet und einen Kranz niedergelegt. Am Tag darauf, als sie das Land verlassen hatten, landeten Kreuz und Kranz in einem Gewässer. Derart „entsorgt“ hatte sie ein mutmaßlicher tschechischer Tatbeteiligter, ein ortsansässiger Bauer, der bis an sein Lebensende von den Behörden unbehelligt blieb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2010)

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