Historiker: "Wiesenthal wie Staatsfeind bespitzelt"

Historiker Wiesenthal Staatsfeind bespitzelt
Historiker Wiesenthal Staatsfeind bespitzelt(c) EPA (Schlager)
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Der Historiker Segev enthüllt neue Details der Feindschaft zwischen Exkanzler Kreisky und Nazi-Jäger Wiesenthal. Präsident Fischer und Ex-Innenminister Blecha bestreiten, dass Kreisky Wiesenthal abhören ließ.

Sie waren zu ihrer Zeit die wahrscheinlich bekanntesten Österreicher der Welt. Doch der Streit zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Nazi-Jäger Simon Wiesenthal war größer als dieses Land. In seiner druckfrischen Wiesenthal-Biografie wirft der israelische Historiker Tom Segev ein neues Licht auf den Konflikt der beiden jüdischen Männer. Dabei deckt er auf, dass Kreisky seinen Widersacher nicht nur bespitzeln ließ, sondern praktisch den gesamten Staatsapparat einspannte, um belastendes Material gegen Wiesenthal zu sammeln. Die „New York Times“ und die israelische Tageszeitung „Haaretz“ präsentierten bereits Auszüge aus Segevs Buch.

Das Drama begann im Jahr 1970. Kreisky bildete mit Duldung der FPÖ eine SPÖ-Minderheitsregierung. Ins Kabinett nahm er vier ehemalige Nationalsozialisten. Das deckte Wiesenthal, übrigens ein Sympathisant der ÖVP, auf. Zunächst schickte der Bundeskanzler seinen Unterrichtsminister vor. Auf einem Parteitag warf Leopold Gratz dem Leiter des sogenannten Dokumentationsarchivs vor, eine private Spitzel- und Verleumderpolizei zu führen. Dann legte Kreisky selbst nach: „Ich warte nur darauf, dass Herr Wiesenthal nachweist, dass auch ich bei der SS war.“

Seit 1948 unter Beobachtung

Der Schlagabtausch wurde zur Staatsaffäre. Historiker Segev schreibt, dass Wiesenthal die Schließung seines Dokumentationsarchivs befürchtete. Deshalb ließ er seine Kontakte spielen. Bald langten Schreiben von US-Senatoren im Kanzleramt ein. Kreisky musste einen Besuch in den Vereinigten Staaten absagen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe Kreisky in Wiesenthal einen gefährlichen Gegner erkannt, so Segev. Wiesenthal sei observiert und abgehört worden, als ob er ein Staatsfeind gewesen wäre. Von Justizminister Christian Broda etwa bekam der Bundeskanzler einen Bericht darüber, was Wiesenthal während eines Fluges zu einem Passagier sagte, der neben ihm saß. Doch Kreisky konnte auch auf älteres Material zurückgreifen. „Wiesenthal ist von 1948 an ständig bespitzelt worden“, sagt Segev zur „Presse“. „Man wundert sich, wie tüchtig da die österreichischen Behörden waren.“

Hannes Androsch, damals Finanzminister, überrascht es wenig, dass Wiesenthal überwacht wurde. „Wir alle, die eigenen Minister, sind unter Observierung der Staatspolizei gestanden. Das ist eine lächerliche Enthüllung.“ Karl Blecha, Ex-Innenminister und SPÖ-Zentralsekretär, schließt hingegen aus, dass Kreisky Spitzelaufträge erteilt habe. „Davon hätte ich gewusst.“ Aus dem Büro von Bundespräsident Fischer verlautet Ähnliches: „Der Präsident weiß nichts von einer Bespitzelung Wiesenthals durch Kreisky.“

Ihren Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung 1975, als Wiesenthal ein Dossier vorlegte, mit dem er beweisen wollte, dass FPÖ-Chef Friedrich Peter einer mordenden Brigade der Waffen-SS angehört hatte. Das war der Moment, als alle Dämme brachen. Kreisky warf dem Leiter des Dokumentationsarchivs nicht nur Mafiamethoden vor, er bezichtigte den KZ-Überlebenden auch, mit der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, kooperiert zu haben. Wiesenthal reichte eine Verleumdungsklage ein, die er nur zurückzog, weil ein gewisser Heinz Fischer, damals Klubobmann der SPÖ, mit der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegen ihn drohte.

Blecha dazu 35 Jahre später distanziert: „Ich persönlich habe die Vermutung, dass Wiesenthal ein Nazi-Kollaborateur gewesen wäre, immer für absurd gehalten.“

Ähnlich sieht das Androsch: „Wiesenthal wollte sich 1975 in die Innenpolitik einmischen. Kreiskys Empörung darüber war vielleicht berechtigt, aber er hat übers Ziel hinausgeschossen.“ Eines sei aber sicher: „Wiesenthal hat nie die Rolle gespielt, die er sich selber zugedacht hat – das war der Mossad.“ Tatsächlich arbeitete Wiesenthal für Israels Geheimdienst, wie Segev belegt.

Der Autor spricht davon, dass Kreisky seinen Widersacher geradezu „obsessiv“ verfolgt hat. Eine besondere Rolle in dieser Psychodynamik spielte dabei offenbar Kreiskys zwei Jahre älterer Bruder Paul, der sich nach 1938 in Israel niedergelassen hatte. Der Bundeskanzler dürfte sich seines Bruders geschämt haben. Paul Kreisky fristete ein eher armseliges Dasein in seiner neuen Heimat. Und der SPÖ-Chef fürchtete offenbar, dass man ihn mit der Geschichte seines Bruders kompromittieren könnte.

Entführung von Kreiskys Bruder?

Eines Tages verschwand Paul Kreisky spurlos. Der Bundeskanzler glaubte bis zu seinem Lebensende, dass der Mossad und Wiesenthal dahintersteckten. Dabei war Paul Kreisky nach ein paar Tagen wieder in Israel aufgetaucht. Wiesenthal schrieb später an Peter Kreisky, den Sohn Brunos, dass dessen Onkel damals bloß mit einem jüdischen Geschäftsmann nach Frankfurt gereist sei. Ganz geklärt ist das Verschwinden Paul Kreiskys bis heute nicht. Doch Bruno Kreisky war bis zu seinem Lebensende von der Entführung überzeugt.

Er war auch bis zu seinem Lebensende seinem Gegner im Streit verbunden. 1990, wenige Monat vor seinem Tod, sprach ihn ein Gericht schuldig, Wiesenthal verleumdet zu haben. Die Vorwürfe, dass der Nazi-Jäger mit der Gestapo kollaboriert habe, konnten nie erhärtet werden. Der Anwalt Kreiskys war in der Angelegenheit übrigens Günter Blecha, der Bruder des früheren Innenministers. Segev: Auch als Ex-Bundeskanzler habe sich Kreisky noch des Staatsapparats bedient, um Wiesenthal zur Strecke zu bringen.

Günter Blecha, heute 67 und noch immer Anwalt, streitet das ab: „Das ist absolut unrichtig und frei erfunden. Kreisky hat mir Material zur Verfügung gestellt. Aber ich bin nur von ihm und sonst niemandem informiert worden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2010)

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