Was von Habsburg bleibt

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Habsburg-Begräbnis: Was Europa fehlt, ist kulturelle Kohäsion, die nur durch eine große Erzählung entsteht. Dass Otto Habsburg in der Lage war, diese Erzählung vorzutragen, ist seine Lebensleistung.

Die Zeit zwischen dem Tod von Otto Habsburg und seinem Begräbnis heute, Samstag, hat interessante Facetten der politischen Wirklichkeit im republikanischen Österreich des 21.Jahrhunderts offengelegt. Man hätte etwa nicht geglaubt, wie tapfer sich jene Sozialdemokraten, die sich aus weltgeschichtlichen Gründen zur Wahrung der sozialistischen Orthodoxie der 1970er-Jahre verpflichtet fühlen, heute noch gegen die Wiedererrichtung der Habsburger-Monarchie zur Wehr setzen. In der heroischen Abwehr akuter Bedrohungen sind diese Gläubigen der letzten Tage geübt. Ohne ihren Widerstand, in dem sie bereit waren, alles zu geben, und sei es eine Wortspende, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 2000 das Dritte Reich auf österreichischem Boden wieder errichtet worden.

Auch jetzt ist ihnen kein Opfer zu groß: Die Nationalratspräsidentin hat sich entschieden, die Republik durch Nichtteilnahme am Begräbnis vor der Wiedererrichtung der Donaumonarchie zu schützen. Es wäre wirklich an der Zeit, den selbstlosen Einsatz dieser Kämpfer – und natürlich der Kämpferinnen! – einmal öffentlich zu würdigen. Während also die republikanische Wirklichkeit in Österreich die Form der Realsatire angenommen hat, haben die Erinnerungen an die von Robert Musil „Kakanien“ (k.u.k.) genannte Doppelmonarchie in den seinerzeitigen „Kronländern“ realpolitische Bedeutung. Was in Wien von Habsburg blieb, ist Kitsch pur: Sisi, Schönbrunn und der reziproke Politkitsch der republikanischen Begräbnisverweigerer. Was in Zentraleuropa von Habsburg geblieben ist, ist – Europa. Für die Bewohner der ehemaligen Peripherie des Habsburger-Reiches bedeutet das Erweiterungswerk der Europäischen Union kulturell die Wiederherstellung einer Identität, die nach dem Ersten Weltkrieg verloren ging, und politisch das Ende des Zweiten Weltkrieges, der für die hinter dem Eisernen Vorhang eingekerkerten Zentraleuropäer nicht mit 1945 geendet hat.

Otto Habsburg hat sich mit den Fakten, die 1918 und 1945 geschaffen wurden, nie abgefunden. Aber anders als die Politpygmäen, die jetzt nachzurechnen beginnen, was denn die Republik sein Begräbnis koste, verfügte er über die Gabe, seine eigene Vision, in der die Wiedereinsetzung des dynastischen Erbes durchaus eine Rolle gespielt haben mag, an die politische Realität anzupassen. Aus Realitätssinn begrub er die von seiner Mutter am Leben gehaltenen Hoffnungen, einen europäischen Thron zu besteigen; an seiner Vision, die Völker Mitteleuropas befreit und geeint zu sehen, hielt er fest.

An den Rändern Kakaniens, dort, wo heute die Grenzen der Europäischen Union liegen, lebt der habsburgische Mythos fort, weil er auch nach einem Jahrhundert noch etwas zur Verfügung stellt, was die Europäische Union noch immer nicht bieten kann: eine kulturelle Erzählung über Zugehörigkeit. In der Union haben die „Kohäsionsfonds“ eine lange Tradition. Sie beruhen auf der Idee, dass Solidarität in Form von Geld Zusammenhalt und Zugehörigkeit in Form von politischer Zustimmung generieren würde. An den massiven Stimmungsschwankungen rund um die Finanzhilfen der EU für die schwächelnden Staaten des europäischen Südens zeigt sich, wie fragil dieses Kohäsionsmodell ist.

Was Europa heute fehlt, ist kulturelle Kohäsion. Das Erbe der Habsburger stellt eine der großen Erzählungen dar, die es dafür braucht. Dass Otto Habsburg in der Lage und bereit war, diese Erzählung authentisch vorzutragen, ist seine Lebensleistung. Dass sie in Polen und in der Ukraine mehr gewürdigt wird als in Österreich, sagt mehr über Österreich als über Habsburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16. Juli 2011)

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