Ungarn: Freispruch in Nazi-Prozess

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Die Beteiligung des heute 97 Jahre alten Sándor Képíró an einem Massaker an Juden, Roma und Sinti in Nordserbien im Jahr 1942 gilt als nicht erwiesen. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum will dennoch weiterkämpfen.

Budapest/Wien. Im Budapester Gerichtssaal brandete Applaus auf, als der Richter am Montag das Urteil im Fall des wegen Nazi-Kriegsverbrechen angeklagten Sándor Képíró verkündete: Der 97-Jährige, wegen Mordes und Beihilfe zum Mord bei einem Massaker an Juden, Roma und Sinti in Nordserbien im Jahr 1942 angeklagt, wurde in erster Instanz freigesprochen.

Während seine Betreuerinnen, die während des rund sechs Wochen dauernden Gerichtsverfahren an der Seite des Greises gesessen waren, Képíró um den Hals fielen, zeigte sich der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Ephraim Zuroff, enttäuscht. Als „inakzeptabel“ und „einen Schlag in das Gesicht der Opfer von damals“ bezeichnete er den Freispruch. Er werde alles unternehmen, damit Képíró „seinen Lebensabend nicht in Ruhe und Frieden, sondern im Gefängnis“ verbringen muss.

Mit einer Berufung gegen das Urteil ist zu rechnen. Die detaillierte Begründung für den Freispruch liefert Richter Bela Varga erst heute, Dienstag, weil am Montag die Zeit zu knapp war. Die jeweiligen Verhandlungen waren auf zwei Blöcke von je 45 Minuten beschränkt. Damit wollte man der gesundheitlichen Verfassung des Angeklagten Rechnung tragen. Der schwerhörige Képíró, der täglich mit einem Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben wurde, trug Kopfhörer, um der Verhandlung folgen zu können. Seine Verteidigung hat die „Nationale Rechtsstiftung“ übernommen. Leiter der Stiftung ist ein Abgeordneter der neofaschistischen Partei „Jobbik“.

„Habe nur meine Pflicht getan“

„Ich bedauere gar nichts, ich habe nur meine Pflicht getan“, erklärte Sándor Képíró erst vor wenigen Monaten in einem TV-Interview. Wenig später nannte er das Gerichtsverfahren gegen ihnen „einen Zirkus“. Man wolle einen 97 Jahre alten Mann durch juristisches Tauziehen ermorden.

Ein medizinisches Gutachten bescheinigte Képíró eine für sein hohes Alter gute körperliche Verfassung. Als sich Képíró beklagte, dass sein Gehirn nicht fassen könne, was hier passiere, wurde auch ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses bestätigte Képírós Zurechnungsfähigkeit.

Ins Rollen gebrachte wurde der Fall Kepiro vom Simon-Wiesenthal-Zentrum: 2006 fand Ephraim Zuroff heraus, dass der seit Langem gesuchte NS-Kriegsverbrecher völlig unbehelligt in der Nähe der Synagoge in Budapest wohnte. Képíró dürfte sich so sicher gefühlt haben, dass er sogar seinen Namen ins Telefonbuch eintragen ließ.

Was folgte, war ein langes juristisches Tauziehen, bei dem sich Zuroff schließlich selbst auf der Anklagebank wiederfand. Da der Nazi-Jäger Képíró immer wieder einen NS-Kriegsverbrecher nannte, verklagte ihn der Greis wegen übler Nachrede und Rufmords. Nur wenige Tage bevor Képíró auf der Anklagebank Platz nehmen musste, gab ein Budapester Gericht Zuroff recht. Er durfte den 97-Jährigen offiziell als Kriegsverbrecher bezeichnen.

Bei den Vorwürfen geht es um ein Massaker in der serbisches Stadt Novi Sad. Die ungarisches Besatzer, Alliierte der deutschen Wehrmacht, verübten ein Pogrom an Juden und Serben. Zwischen 21. und 23.Jänner 1942 wurden 1200 Zivilisten Opfer eines Blutbads. Als ungarischer Polizist in Novi Sad hatte Képíró den Befehl, an Aktionen gegen die Zivilbevölkerung teilzunehmen. Er soll gemeinsam mit weiteren Polizisten Listen mit Namen erhalten und diese Menschen dann zusammengetrieben haben. Diese wurden am Ufer der Donau erschossen. Képíró selbst soll laut Anklage 36 Menschen erschossen haben, argumentierte die Staatsanwaltschaft.

Wegen des Massakers hat ein Gericht in Novi Sad Képíró noch während des Zweiten Weltkriegs schuldig gesprochen. Als Ungarn von Hitler-Deutschland besetzt wurde, kam Képíró frei. Dem studierten Juristen gelang wenige Jahre später über Österreich die Flucht nach Argentinien, wo er unter falschem Namen lange Zeit gelebt hat. Noch ein zweites Mal wurde Képíró in Abwesenheit schuldig gesprochen.

1996 Einreise nach Ungarn

1996 dürfte ihn das Heimweh gepackt haben. Laut „Spiegel“ fragte Képíró bei den ungarischen Behörden an, ob etwas gegen ihn vorliege. Wenig später erhielt er grünes Licht und durfte in seine Heimat einreisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. Juli 2011)

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