Der Soldat, für den der Zweite Weltkrieg erst 1972 endete

Shoichi Yokoi
Shoichi YokoiWikipedia Commons (Groverva)
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Vor 40 Jahren entdeckten Fischer auf der Insel Guam einen japanischen Soldaten. Er hatte sich seit der US-Invasion im Jahr 1944 in einer Höhle versteckt.

Die Dämmerung bricht gerade über die kleine Pazifikinsel Guam herein, als zwei Fischer am Fluss Talofofo in der Nähe ihres Dorfes einen abgemagerten, schmutzigen Mann entdecken, der ein Fischernetz auslegt. Sie pirschen sich näher und überraschen ihn. Er geht auf sie los, doch die Männer ringen ihn zu Boden und bringen ihn zur Polizeistation. Die Geschichte, die der Fremde dort erzählt, klingt nach einer wirren Phantasie: Er sei Yokoi Shoichi, Soldat der kaiserlichen japanischen Armee. Die existiert an diesem Tag –dem 24. Jänner 1972 – seit über 26 Jahren nicht mehr.

Doch Yokoi ist nicht verrückt, für ihn ist nur die Zeit stehen geblieben. Die Behörden finden heraus, dass er 1943 vom japanischen Kaiserreich nach Guam entsendet worden ist. Die Japaner hatten die strategisch wichtige Insel 1941 kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbour von den USA erobert. 22.000 Soldaten sollten sie nun verteidigen.

Flucht in den Dschungel 1944

Im Juli 1944 landen US-Truppen auf Guam. Die japanischen Soldaten sind darauf gedrillt, niemals aufzugeben, niemals zu kapitulieren. 19.000 von ihnen werden bei der Invasion getötet, viele der Überlebenden fliehen in den Dschungel. Einer von ihnen ist Yokoi.

Anfangs hat er noch zwei Kameraden in seiner Nähe, 1964 findet er sie tot auf. Die nächsten acht Jahre verbringt er in völliger Isolation. Tagsüber bleibt er in seiner selbstgegrabenen Höhle, drei Meter unter der Erde. Er ernährt sich von Kokosnüssen, Papayas, Fischen, Ratten, Fröschen. Vor dem Krieg war Yokoi Schneider, nun fertigt er sich aus der Rinde von Hibiskusbäumen Kleidung. 1953 findet er im Dschungel ein Flugblatt, das das Ende des Krieges und die Kapitulation der Japaner verkündet. Doch Yokoi hat Angst, sein Versteck zu verlassen. Auch nach seiner Entdeckung befürchtet er, man werde ihn liquidieren: "Wenn ihr mich töten wollt, tötet mich schnell", sagt er, als die Ärzte im Krankenhaus ihn röntgen wollen.

"Es ist mir peinlich, lebend zurückzukehren"

Knapp zwei Wochen, nachdem er seine Höhle verlassen hat, kehrt Yokoi nach Japan zurück. Millionen Japaner verfolgen live im Fernsehen, wie der 56-Jährige bei seiner Ankunft sagt: "Es ist mir sehr peinlich, lebend zurückzukehren". Beim Kaiser entschuldigt er sich für sein Versagen.

Yokoi erlebt im Japan zur Zeit des Wirtschaftswunders ein komplett anderes Land als jenes, das er in den 40er Jahren verlassen hat. Er wird zum Kritiker der "modernen Lebensart", predigt gegen unnötigen Konsum und verschwenderischen Lebensstil. Noch im Jahr seiner Rückkehr heiratet Yokoi, er soll zuvor zahllose Angebote von Frauen erhalten haben. 1974 kandidiert er erfolglos für einen Sitz im Parlament. Am 22. September 1997 stirbt er im Alter von 82 Jahren an einem Herzinfarkt.

Die Höhle des berühmten Soldaten existiert nicht mehr, sie wurde durch einen Taifun zerstört. Dafür hat man in der Nähe des Originalverstecks eine Nachbildung gebaut – sie ist heute eine der größten Touristenattraktionen auf Guam.

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