In meiner Küche wird nicht gekocht

(c) Peter Kufner
  • Drucken

„Zeit“-Kolumnist Harald Martenstein fragt sich, ob man verrückt sein muss, um Autor zu werden oder ob man durch den Beruf verrückt wird. Tatsache ist: Die meisten Schreiber sind schwierig.

Jeder Zeitungsartikel muss leider erst einmal von jemandem geschrieben werden. An diesem Problem hat sich im Lauf der Jahrhunderte wenig geändert. Versuche, das Schreiben den klugen Computern zu überlassen, haben zu wenig ermutigenden Ergebnissen geführt. Der Computer ist zwar klüger und schneller als unsereins, aber sein Gefühlsleben ist zu schlicht, er kennt nur zwei Stimmungslagen, on und off. Ganz ohne Gefühle geht es halt nicht. Und fast alle Kollegen, die ich kenne, brauchen gewisse Schreibrituale. Das bringt sie in Stimmung.

Eine preisgekrönte Kollegin breitet, wenn sie eine Reportage zu schreiben hat, immer die Ergebnisse ihrer Recherchen vor sich aus. Es sind Dutzende von Zetteln und Blöcken voller Notizen, sie bedecken ihren Schreibtisch und den Boden ihres Arbeitszimmers. Sie denkt: „Ich werde das niemals schaffen. Ich werde den Text nicht liefern können. Die werden mich feuern.“ Sie trinkt nun mehrere Liter Tee und Kaffee, geht murmelnd im Zimmer umher und gerät nach und nach in einen Zustand schwärzester Verzweiflung. Das kann zwei Tage dauern. Wenige Stunden vor dem letztmöglichen Abgabetermin stopft sie alle Notate ungelesen in einen Karton und verfasst innerhalb kurzer Zeit eine ellenlange Reportage, die alle wichtigen Fakten enthält und in der Regel brillant ist. Danach fällt sie in eine Art Wachkoma.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.