Das hat mich eine Stunde Wut gekostet

mich eine Stunde gekostet
mich eine Stunde gekostet(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Dreiste Autofahrer, Politiker oder Requisiten, die mitten in der Vorstellung zerbrechen: Cornelius Obonya über Situationen, in denen Humor hilft. Und andere, in denen man sich nur provoziert fühlt.

Humor und Provokation – auf den ersten Blick schließt das einander eigentlich aus. Wenn mich ein anderer provoziert, so attestiere ich ihm sehr wenig Humor, denn hätte er welchen, müsste er mich nicht reizen. Humor, möglichst auch noch die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, bewirken doch per se ein eingehenderes Nachdenken über die Dinge. Ich habe selten erlebt, dass Menschen mit Eigenhumor sich zu unbedachten Äußerungen oder Handlungen hinreißen lassen. Der Humor gibt ihnen die Möglichkeit, reflektierter zu sein, auch selbstreflektierter, sie versuchen zu erspüren, ob das Gegenüber vielleicht recht hat und können, mithilfe des Humors, etwas zur Entspannung einer Situation beitragen oder sogar ganz einfach, aber das ist dann schon die hohe Schule, einen gemachten Fehler zugeben, statt sofort mit einer Gegenoffensive zu antworten, um eben von diesem Fehler abzulenken.

Provokation ist also ihre Sache nicht. Kann sie nicht sein, denn dazu braucht es etwas, was den Motor für Provokationen darstellt: die Eitelkeit, das grundsätzliche Sich-selbst-ernst-Nehmen, völlig humorbefreit.


Die Illusion ist zerstört. Nun, Humor und Provokation also. In veränderter Anordnung der Worte sieht es dagegen etwas anders aus: Provokation und Humor – das geht doch. Statte ich eine provokante Aussage oder Handlung mit Humor aus, so wird sie abgefedert. Die oder der Betroffene wird nicht brutal attackiert, sondern erhält gleichzeitig mit der Nachricht die Möglichkeit, durch sein Schmunzeln oder Lachen den Vorwurf leichter zu nehmen.

Nur wenn ich Humor habe, kann ich ruhig bleiben. Wenn auf der Bühne etwas Unvorhergesehenes passiert, z. B. ein Scheinwerfer geht, mitten in der schönsten Liebesszene, krachend und splitternd zu Boden, oder das Mordwerkzeug (in meinem Fall eine Viper aus Holz) unter Gelächter des Publikums in zwei Teile zerbricht, so gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich meuchle mich selbst vor Scham gleich auf der Bühne und noch einmal in der Garderobe – und gleich nochmal zu Hause (nicht vor den Kindern, bitte!) – oder ich kann vor Lachen fast nicht weiterspielen. Das Publikum weiß um die Schwere dieses Berufes ganz gut Bescheid: Allein die Vorstellung, so viel Text abrufbereit im Hirn zu haben, lässt die meisten erschaudern. Deshalb sind sie für solche Zufälle und Missgeschicke dankbar, selbst wenn die Theaterillusion kurz zerstört wird: Da oben stehen eben auch nur Menschen.

Aber auch das reale, harte Leben hält Dinge bereit, die trotz massiver Provokation mit Humor beantwortet werden können. Im Zweiten Weltkrieg, 1944, in Frankreich, stieß der amerikanische General Patton mit seiner Panzerarmee so schnell gegen die Deutschen vor, dass das alliierte Hauptquartier Order gab, die Männer vor der nächsten Stadt zum Halten zu bringen: Man könne nicht so schnell für Nachschub sorgen. Das wirkte auf den General, angesichts des enormen Blutzolls seiner Leute, frech. Er funkte zurück: „Habe Stadt bereits eingenommen – soll ich sie zurückgeben?“


Nie fällt einem die rechte Replik ein. Ich denke mir manchmal: Wenn der das kann, dann ich auch. Nur, es ist doch so, dass einem nie, niemals, die richtige Replik, das passende Bonmot einfällt. Etwa, wenn es um „gegnerische“ Autofahrer geht: etwa den Kerl, der mir den Vorrang nimmt, ohne mir mit dem Blinker zumindest die Richtung seiner Wünsche anzuzeigen, dann in der Kreuzung abbremst, um die Karte zurate zu ziehen – und auf mein kurzes Hupen hin in wütendes Gestikulieren verfällt. Oder die Dame, die mir neulich einen Parkplatz wegnahm und meinte, ich sei doch an der Lücke „vorbeigefahren“. Das hat mich eine halbe Stunde Wut gekostet!

Also die Autofahrer – und die Politiker. Fühlen Sie sich nicht provoziert von einer ehemaligen Partei der Arbeiter, die es nicht schafft, die innerlichen Golfschläger wegzupacken und sich wieder dem zuzuwenden, was sie einst starkgemacht hat? Oder von einer Partei der bürgerlichen, so christlichen Einstellung, die ebendiese christliche Einstellung mit rechts auf dem Altar des Boulevards opfert? Ist es für Sie nicht provozierend, wenn eine den ökologischen Grundsätzen verpflichtete Partei vor lauter Vorsicht nicht bereit ist, auf Menschen zuzugehen – und zwar über den 7. Wiener Gemeindebezirk hinaus? Und vom rechten Rand des Spektrums, der xenophob und zu allen republikzerstörenden Schandtaten bereit, seinen Dreck unter die Stammtische schaufelt, wollen wohl weder Sie noch ich reden. Na dann: nur nicht den Humor verlieren, nur nicht verlieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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