Grundrechte gelten auch im Internet

Grundrechte gelten auch Internet
Grundrechte gelten auch Internet(c) AP (Ng Han Guan)
  • Drucken

UN-Gremium fordert von Staaten eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung der nationalen Internetpolitik. Zensurstaaten kommen weiter in die Defensive.

Graz. Vor einigen Jahren wurde ein afrikanischer Menschenrechtler bei einer internationalen Konferenz gefragt, ob nicht Essen wichtiger sei als Internet-Surfen – ob mithin nicht das Recht auf Nahrung zunächst zu sichern sei und dann erst der Internetzugang.

Eine wichtige Frage, doch auch jenseits dieser Zuspitzung ist klar, dass Menschenrechte im Internet eine zentrale Rolle spielen: vom Gleisdorfer Bürgermeister, der im März 2012 über Facebook Vandalen suchte, über den kürzlich bestätigten Schutz von IP-Adressen durch den OGH (6Ob 119/11k, siehe Rechtspanorama vom 9.Juli) bis zum Arabischen Frühling, in dem das Internet zur Koordinierung der Proteste und zur weltweiten Solidarisierung genutzt wurde.

Doch welche Menschenrechte? Seit kurzem wissen wir: alle. Während lange Zeit Stimmen nicht fehlten, nach denen das internationale Menschenrechtsregime angesichts der neuen technologischen Herausforderungen auf das Internet unanwendbar ist, hat der UN-Menschenrechtsrat in Genf für Klarheit gesorgt: Das Rad des Menschenrechtsschutzes muss nicht neu erfunden, sondern nur mit besseren Stoßdämpfern versehen werden; was offline gilt, gilt auch online.

Resolution ohne Gegenstimme

Das wichtigste menschenrechtliche Gremium der Vereinten Nationen hat Anfang Juli in einer ohne Abstimmung (also im Konsens) angenommenen Resolution (A/HRC/ 20/L.13) klargestellt, dass jene universellen Menschenrechte, die offline gelten, von Staaten auch online zu respektieren sind. Doch online Rechte zu haben reicht nicht. Auch der Zugang zum Internet ist entscheidend. Der Rat fordert alle Staaten auf, die digitalen Gräben international und binnenstaatlich zu füllen. Er weist auch namentlich darauf hin, dass sich Staaten mit Internetzensur ins eigene Fleisch schneiden: Die globale offene Internetarchitektur und ein solider Menschenrechtsschutz sind wichtige Entwicklungsfaktoren.

Damit sind – endlich und erstmals – wichtige Grenzen für staatliche Internetpolitik (namentlich der Schutz der Menschenrechte) auf einer hohen diplomatischen Ebene außer Streit gestellt. Zumal der Rat natürlich recht hat: Menschenrechte sind technologieneutral. Mit der Resolution liegt nun ein Instrument vor, mit dem Zensurstaaten eine menschenrechtssensible Ausgestaltung ins Pflichtenheft nationaler Internetpolitik geschrieben werden kann.

Schade, dass der Menschenrechtsrat die Chance hat vorbeiziehen lassen, die Pflichten von Staaten genauer zu klären. Schon jetzt lassen sich aus einer Gesamtschau von Völkerrecht und Menschenrechten nämlich staatliche Pflichten hinsichtlich der institutionellen Sicherung des Internets ableiten: als Vorbedingung zur Ausübung der informations- und kommunikationsbezogenen Rechte.

Besonders kontrovers sind auch internetbezogene Schutzpflichten von Staaten gegenüber der internationalen Gemeinschaft, wie die Rücksichtnahmepflicht. Diese verpflichtet Staaten dazu, die Stabilität, Integrität und Funktionalität des Internets als solche zu sichern und verbietet Versuche, Internetregulierung ohne Rücksicht auf die Folgen zur Durchsetzung nationaler Interessen zu betreiben.

Über die völkerrechtlichen Pflichten mit Bezug auf das Internet Konsens zu erzielen, wäre aber zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich. Die Annahme ohne Abstimmung (und also ohne Gegenstimme) vermag nur unvollkommen die Gräben zwischen den Staaten zu kaschieren. Die Ratsdebatten waren bezeichnend: Während nämlich Schweden (als Mitinitiator der Resolution) die Geltung der Menschenrechte im Netz außer Streit stellte, wollten andere Regierungen die Rolle der Staaten in der Internetregulierung stärken. Namentlich China berief sich angesichts von „Online-Glücksspielen, Pornografie, Hacking“ darauf, das Internet verstärkt regulieren zu müssen, da sonst der freie Fluss „ungesunder und negativer Information“ dessen Funktion beeinträchtigen könnte.

Rechtlich nicht bindend

Nun ließe sich über die Definition von „negativer Information“ wie auch über die „Funktion“ des Internets trefflich streiten, doch es reicht, mit dem Menschenrechtsrat festzustellen, dass die Folie, vor der sich die Debatten der Zukunft abheben werden, nun fixiert ist: Menschenrechte gelten im Internet.

Förmlich bindend ist die Resolution des Menschenrechtsrates nicht. Dennoch verfügt nun die internationale Gemeinschaft über einen wichtigen Ansatz, die „Feinde des Internets“ völkerrechtlich in die Pflicht zu nehmen. Das gemeinsame Bekenntnis der Mitglieder des Menschenrechtsrates schafft Erwartungsdruck und kann bei Verletzungen der Internetfreiheit zu Reputationskosten führen. Außerdem können Opfer von Menschenrechtsverletzungen mit Internetbezug nun mit mehr Sicherheit nationale, regionale und universelle Schutzgremien ansprechen.

Während Ägyptens und Libyens Machthaber 2011 noch ungestraft das Internet abschalten konnten, ist nun ein wichtiger Schritt getan hin zu einer verstärkten Konturierung einer Selbstverpflichtung der internationalen Gemeinschaft, die Menschenrechte im Internet – wie auch offline – zu schützen. Denn diese bekräftigen sich gegenseitig und bedingen einander.

Auf die eingangs gestellte Frage an den afrikanischen Menschenrechtler, ob das Recht auf Nahrung wichtiger sei als Zugang zum Internet hatte diese übrigens eine klare Antwort. Beides sei gleich wichtig: Denn „ohne Zugang zum Internet kann ich niemandem erzählen, wer mein Brot stiehlt“.

Mag. Dr. Kettemann, LL.M. (Harvard) arbeitet am Institut für Völkerrecht der Universität Graz zu Rechtsfragen des Internets. Zuletzt Mitherausgegeber von „Menschenrechte und Internet. Zugang, Freiheit und Kontrolle“ (Berlin 2012).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.