Rücktrittsrecht: Mieter darf nicht überrumpelt werden

Mieter darf nicht ueberrumpelt
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Wenn der Vermieter vor der Haustüre auftaucht und der Mieter daraufhin zustimmt, aus seiner Wohnung auszuziehen, kann die Erklärung noch widerrufen werden.

Wenn ein Vertrag einmal abgeschlossen wurde, dann gilt er. Eine Ausnahme gibt es aber bei sogenannten Haustürgeschäften. Wer zu Hause Besuch von einem Keiler erhält und dort einen Vertrag unterzeichnet, kann von seiner Erklärung innerhalb bestimmter Fristen wieder zurücktreten. So will es das Konsumentenschutzgesetz, das Bürger davor schützen möchte, zu Hause von geschickten Verkäufern „überrumpelt“ zu werden. Aber was gilt, wenn statt einem Verkäufer plötzlich der eigene Vermieter vor der Tür steht und eine Unterschrift einfordert? Und was, wenn es gar nicht um den Abschluss eines neuen Vertrags geht, sondern um die Auflösung eines bestehenden Kontrakts? Die Frage, ob auch in diesen Fällen ein Mieter seine Erklärung zurückziehen kann, beschäftigte die Gerichte.

Die betroffene Frau lebte bereits seit ihrer Kindheit in der Wohnung, um die Jahrtausendwende war sie in den Mietvertrag ihrer Mutter eingetreten. Im Februar 2009 führte die GmbH, der die Wohnung gehört, eine Hausbegehung durch, um die Mieterdaten zu überprüfen. Bei dieser Gelegenheit suchten der Geschäftsführer der GmbH und der Hausverwalter die Mieterin in ihrer Wohnung auf. Dabei wurde die Frau gefragt, ob sie denn die Wohnung überhaupt benötige. Nach intensivem Drängen und der Drohung, dass man die Frau ansonsten wegen Vernachlässigung des Mietgegenstands „hinausklagen“ werde, unterschrieb die Frau schließlich eine Vereinbarung, die die Vermieter mitgebracht hatten. Mit dieser wurde festgelegt, dass die Frau 5000 Euro Ablöse erhält und die nächsten 13 Monate umsonst in der Wohnung leben darf. Dann aber müsse die Frau ausziehen.

Die Frau bereute es schon bald, in der Situation diesen Vertrag unterschrieben zu haben, der ihr die Wohnung kosten würde. Knapp einen Monat nach dem Vorfall schrieb die Frau der Vermietungsgesellschaft, dass sie von der geschlossenen Vereinbarung zurücktrete. Sie zahlte die Miete weiterhin ein. Das änderte nichts daran, dass die Vermieter darauf bestanden, dass die Frau die Wohnung verlassen müsse. Sie brachten Räumungsklage ein und betonten, dass man von der Auflösung des Vertrages gar nicht mehr zurücktreten könne.

Das Bezirksgericht Wien-Josefstadt gestand ein, dass das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) nicht direkt den Fall einer Vertragsauflösung anführe, wenn es um das Rücktrittsrecht geht. Aber im Zivilrecht seien Analogien zulässig. Und §3KSchG verfolge ganz allgemein das Ziel, Konsumenten vor einer „Überrumpelung“ bei Vertragsabschlüssen zu schützen. Dieses Schutzbedürfnis bestehe nicht nur bei einem Vertragsabschluss – sondern auch dann, wenn man übereilt einen Vertrag auflösen soll. Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen bestätigte das Urteil. Es betonte, dass ein Mieter in einem aufrechten Mietverhältnis in eine Situation gerate könne, die mit der eines Haustürgeschäftes durchwegs vergleichbar sei. Der Wortlaut von §3KschG sei vom Gesetzgeber „bewusst weit“ gefasst worden. Jede Vertragserklärung des Verbrauchers sei umfasst; das Landesgericht erklärte sogar, dass die Gesetzeslage so eindeutig sei, dass die Revision an den Obersten Gerichtshof (OGH) nicht mehr zulässig ist.

Tragweite der Erklärung relevant

Die Vermietungsgesellschaft zog trotzdem vor den OGH. Und dieser erklärte, dass die Revision doch zulässig sei, weil noch keine Rechtsprechung des Höchstgerichts zur Streitfrage existiert. Auch inhaltlich ging der OGH bei der Auslegung des KschG etwas andere Wege. Der Gesetzgeber, so analysierte der OGH, habe wohl zumindest in erster Linie nur den Vertragsabschluss bei Haustürgeschäften, nicht aber eine Änderung oder gar eine Aufhebung eines Vertrages vor Augen gehabt. Das Schutzbedürfnis des Verbrauchers sei bei einem bereits bestehenden Vertrag auch geringer als bei einem Vertragsabschluss. Nur in Ausnahmefällen könne es daher ein Rücktrittsrecht geben, meinte der OGH. Nämlich dann, wenn diese Erklärung für den Verbraucher eine derart große wirtschaftliche Tragweite hat wie ein Vertragsabschluss.

Dies werde aber, wenn es um die Auflösung eines Mietvertrages bei einer Wohnung geht, regelmäßig zutreffen, meinten die Höchstrichter. Der Mieter müsse sich nämlich dann eine neue Wohnung suchen. Im Ergebnis entschied daher auch der OGH (2Ob1/12d), dass die Frau vom Vertrag zurücktreten könne und weiterhin in der Wohnung bleiben darf.

Auf einen Blick

Der Oberste Gerichtshof entschied, dass das Rücktrittsrecht bei Haustürgeschäften nicht nur dann gilt, wenn ein Vertrag geschlossen wird. Auch wenn man einen Vertrag auflöst, gibt es ein Rücktrittsrecht, sofern die Erklärung eine wirtschaftlich große Tragweite hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2012)

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