Kollektivvertrag wirkt auch ohne Einigung

Kollektivvertrag wirkt auch ohne
Kollektivvertrag wirkt auch ohne(c) APA (Georg Hochmuth)
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Der für heute geplante Start der Metaller-Herbstlohnrunde verzögert sich, weil die Arbeitnehmer vorerst nicht dabei sein wollen. Auch wenn es länger zu keiner Einigung kommt, wirkt der Kollektivvertrag weiter.

Klagenfurt. Die Metallunternehmen wollten heute, Montag, die jährliche Lohnrunde starten. Die Gewerkschaft hat jedoch angekündigt, der Einladung der Arbeitgeberseite fernzubleiben. Kommt es zwischen den Kollektivvertragsparteien dauerhaft zu keiner Einigung, hat dies weitgehende (arbeitsrechtliche) Folgen.

Das Kollektivvertragswesen ist sozial-, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch von wesentlicher Bedeutung. Kollektivverträge sind traditionell das zentrale Instrument der österreichischen Lohnpolitik. Sie werden nicht von staatlicher Seite verordnet, sondern im Sinne der Sozialautonomie von den Repräsentanten der unmittelbar Betroffenen, also Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ausgehandelt, wodurch sie eine zentrale Funktion zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens einnehmen.

Doch heuer scheint es anders: Die Arbeitgebervertreter der sechs Branchen der Eisen- und Metallerzeugenden und -verarbeitenden Industrie wollen die Löhne und Gehälter dieses Jahr nicht, wie es bisher üblich war, geschlossen verhandeln. Die Maschinen- und Metallwarenindustrie (FMMI) – mit 116.000 Beschäftigten der größte Fachverband der Metaller – scherte bereits im Frühjahr aus. Auch die anderen fünf Arbeitgeberverbände wollen aus der Metaller-Herbstlohnrunde aussteigen („Die Presse“ hat am 30.August berichtet) und gesondert Kollektivverträge abschließen. Das will die Arbeitnehmerseite nicht hinnehmen.

Doch was passiert, wenn sich die Kollektivvertragsparteien in dieser (neuen) Konstellation nicht einigen können? In zeitlicher Hinsicht ist zwischen auf unbestimmte Zeit und befristet abgeschlossenen Kollektivverträgen zu unterscheiden. Oftmals ist der lohnrechtliche Teil mit einer Laufzeit von zwölf Monaten ausgestattet, also befristet, wohingegen der restliche Teil, das sogenannte Rahmenrecht, unbefristet gilt.

Auf Dauer angelegt

Ein Kollektivvertrag ist ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis und muss, wenn man nicht länger an ihm festhalten will, entweder durch einen neuen ersetzt oder durch einen eigenen Akt beendet werden. Für die Beendigung kommen die einvernehmliche Lösung durch die Vertragsparteien, die vorzeitige Lösung aus wichtigem Grund und der Zeitablauf bei Vereinbarung einer Befristungs- oder Bedingungsklausel in Betracht.

Im Gesetz ausdrücklich geregelt ist lediglich die Kündigung des unbefristet abgeschlossenen Kollektivvertrags (§17Arbeitsverfassungsgesetz). Enthält der Kollektivvertrag keine Regelung über die Kündigung, so statuieren die gesetzlichen Vorschriften (§17 Abs1 ArbVG) Unkündbarkeit für ein Jahr. Nach Ablauf dieser Zeit kann unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zum Letzten eines Kalendermonats mittels eingeschriebenen Briefs gekündigt werden. Ist im Kollektivvertrag eine Kündigungsregelung vorgesehen, so kann dementsprechend gekündigt werden.

Befristete wie auch unbefristete Kollektivverträge entfalten nach Außerkrafttreten infolge jeder Art der Beendigung jedoch eine so genannte „Nachwirkung“. Das ist insofern eine Besonderheit, als etwa Betriebsvereinbarungen nicht in jedem Fall eine solche Wirkung entfalten. „Nachwirkung“ bedeutet, dass die Anwendbarkeit des an sich erloschenen Kollektivvertrags für seinerzeit von ihm erfasste Arbeitsverhältnisse bestehen bleibt, bis ein neuer Kollektivvertrag (oder eine Betriebsvereinbarung oder auch ein Einzelvertrag) abgeschlossen wird.

Die Nachwirkung erfüllt die wesentliche Funktion, einen kollektivvertragslosen Zeitraum zu überbrücken (OGH9ObA506/87) und den Arbeitnehmern das Entgelts- und Leistungsniveau des (aus welchem Grund auch immer) erloschenen Kollektivvertrags zu erhalten. Für die Kollektivvertragsparteien wird die Herbeiführung eines kollektivvertragslosen Zustands somit auch unattraktiv gemacht, und von der Gewerkschaft wird insofern Druck genommen, als sie nicht sofort nach Auslaufen der Laufzeit einen neuen Kollektivvertrag zur Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer schließen muss.

Beide Seiten profitieren

Die Arbeitnehmerseite kommt lediglich insofern unter Druck, als es ohne neuen Abschluss auch zu keiner Lohnanpassung (etwa Produktivitätsfortschritt plus Inflationsrate) kommt. Auf der anderen Seite hat die Arbeitgeberseite Interesse an der Aufrechterhaltung kollektivvertraglicher Bestimmungen: So sind im Bereich des Arbeitszeitrechts wesentliche Instrumente der flexiblen Zeitgestaltung jeweils von der Ermächtigung durch den Kollektivvertrag abhängig. Zwar bleibt für die „bestehende Mannschaft“ der Kollektivvertrag in Geltung, für Neueintritte würden jedoch im Worst Case weder eine Lohn- bzw. Gehaltstabelle gelten noch dürften die Arbeitgeber auf bestimmte flexible Arbeitszeitmodelle zurückgreifen. Das Lohnniveau für Neueintritte wäre in dieser Phase etwa durch §1152 ABGB, wonach ein angemessenes Entgelt gebührt, und die Sittenwidrigkeitsklausel des § 879 ABGB geschützt.

Aus dem Vorrang der freien Berufsvereinigungen vor den gesetzlichen Interessenvertretungen des § 6 ArbVG könnte sich bei dauerhafter Uneinigkeit wohl ergeben, dass mit Außerkrafttreten des Kollektivvertrags der freien Berufsvereinigung die Kollektivvertragsfähigkeit der gesetzlichen Interessenvertretung schlagend würde. Mit anderen Worten, die Arbeiterkammer käme als Abschlusspartei (wenngleich realpolitisch wohl völlig unrealistisch) in Betracht. Diese Thematik ist rechtlich allerdings wenig durchdrungen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein dauerhafter Dissens letztlich für beide Sozialpartner und damit auch für den Wirtschaftsstandort mit Nachteilen verbunden ist. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Vertragsparteien – in welcher Konstellation auch immer – eine Einigung finden.

Mag. Christoph Herzeg ist
Personalleiter bei der Treibacher Industrie AG und Fachhochschullektor in Graz, office@herzeg.net

Auf einen Blick

Die Nachwirkung abgelaufener Kollektivverträge überbrückt kollektivvertragslose Zeiten. Sie liegt vielfach sowohl im Arbeitnehmer- als auch im Arbeitgeberinteresse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2012)

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