Wiener Politik will Zugriff auf neue Gerichte

Wiener Politik will Zugriff
Wiener Politik will Zugriff(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ M. Hoermandinger)
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Die Bundesländer tun sich schwer, unabhängige Verwaltungsgerichte zu akzeptieren. Insbesondere Wien nützt die Reform zum Versuch, Einfluss zu nehmen: Ein politisch bestellter Präsident soll zentrale Aufgaben erhalten.

Wien. Staatssekretär Josef Ostermayer ist in einem Punkt zweifellos zuzustimmen: Die Verwaltungsgerichtsnovelle 2012 ist tatsächlich die „größte Verwaltungs- und Strukturreform der Zweiten Republik“. Tatsächlich hätte die Durchsetzung der Reform dieser Bundesregierung zu Beginn der Legislaturperiode kaum jemand zugetraut. Zu lange hatte die Diskussion um Verwaltungsreform und Verwaltungsgerichte schon gedauert. Jedes Regierungsprogramm der letzten 20 Jahre hat sie enthalten, doch immer fanden sich gute Gründe, warum sie nicht beschlossen werden konnte. Nun ist die Reform zwar auf Schiene, doch die nötige Umsetzung durch die Bundesländer fällt problematisch aus.

Hinter dem sperrigen Namen „Verwaltungsgerichtsnovelle“ verbirgt sich nichts anderes als die längst überfällige Modernisierung und Europäisierung Österreichs, der Umbau Österreichs vom „Verwaltungsstaat zum Justizstaat“, so der Doyen der österreichischen Verfassungsrechtler, Theo Öhlinger (in der „Zeitschrift der Unabhängigen Verwaltungssenate“, ZUV 2/2012). Kernstück der Reform ist die durchgehende Kontrolle aller Behörden durch Gerichte. Ohne Ausnahme. Entscheidungen der Bundesbehörden können zukünftig beim Bundesverwaltungsgericht oder dem Bundesfinanzgericht bekämpft werden, Entscheidungen einer Landesbehörde bei einem der neun Landesverwaltungsgerichte.

Jedes Verfahren zur Erteilung einer Baubewilligung, zur Vergabe eines öffentlichen Auftrages, zur Erteilung einer Konzession oder zur Vergabe von Fördermitteln muss in Zukunft so transparent geführt werden, dass es einer gerichtlichen Überprüfung durch unabhängige Richter standhält. Jede Entscheidung muss so nachvollziehbar begründet werden, dass sie vor den neuen Richtern besteht. Die gerade bei Verfahren vor Landesbehörden oft spürbare Packelei, die Freunderl- und Parteibuchwirtschaft, allesamt Nährboden der Korruption, werden durch eine gerichtliche Kontrolle ganz wesentlich erschwert werden. Österreich verfügt damit künftig über einen Rechtsschutz, wie ihn die Europäische Grundrechtscharta vorsieht.

Während die Einrichtung der beiden Verwaltungsgerichte des Bundes ohne größere Probleme über die Bühne gehen dürfte, müssen von Verfassungs wegen die Bundesländer die neun Landesverwaltungsgerichte organisieren. Die Erfahrungen der Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, die – je nach Bundesland – oft jahrelang um ihre Unabhängigkeit gegenüber den mächtigen Landesverwaltungen kämpfen mussten, dürften den Abgeordneten im Nationalrat noch gut in Erinnerung gewesen sein. Denn in einer Entschließung forderten alle fünf Parlamentsparteien einstimmig Maßnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz. Die Bundesregierung wird aufgefordert, mit den Bundesländern dafür gemeinsame Standards zu erarbeiten. Mit anderen Worten, der Nationalrat will, dass dort, wo „Gericht“ draufsteht, auch „Gericht“ drin ist. Man wollte vermeiden, dass die Länder zur Achillesferse der Verfassungsreform werden.

Sieht man die bisher vorliegenden Entwürfe der Länder zur Organisation der neuen Verwaltungsgerichte durch, stellt man fest: Die Bedenken des Nationalrates waren berechtigt. Die Bundesländer – einzige positive Ausnahme ist Oberösterreich – tun sich offenkundig nach wie vor mit dem Gedanken schwer, ihre gesamte Verwaltung von unabhängigen Gerichten kontrollieren zu lassen.

Einfluss über „Justizverwaltung“

Allen bisherigen Entwürfen gemeinsam ist, dass sich die Landesverwaltungen über den Weg der sogenannten „Justizverwaltung“ Einflussmöglichkeiten auf die neuen Gerichte sichern wollen. Ebenso verweigern die Länder „ihren“ Richtern ein Dienstrecht, welches ihre Unabhängigkeit ausreichend absichert. Mit dieser Vorgangsweise nehmen die Länder aber in Kauf, dass die Unabhängigkeit der Landesverwaltungsgerichte nicht ausreichend garantiert ist und Entscheidungen dieser Gerichte vom Verfassungsgerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof aus diesem Grund aufgehoben werden könnten.

Das Bundesland Wien hat sich schon in der Vergangenheit besonders schwer getan, eine unabhängige Kontrolle der Stadtverwaltung zu akzeptieren. Die Konflikte zwischen der Stadtverwaltung und dem Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien dauerten Jahre, bis schließlich Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes zur rechtlichen Gleichstellung der UVS-Richter mit den Justizrichtern führten. Mit dem vom Magistrat vorgelegten Entwurf für das neue Landesverwaltungsgericht versucht Wien nun, die Gelegenheit zu nützen, das Rad der Zeit zurückzudrehen.

Es wird die Konstruktion eines Gerichtes vorgeschlagen, bei der ein ausschließlich nach politischen Überlegungen bestellter Präsident (der nicht einmal Richter bzw. Richterin sein muss) alle wichtigen organisatorischen Entscheidungen praktisch im Alleingang treffen kann.

Dies gilt auch für den besonders sensiblen Bereich der Zuteilung der einzelnen Verfahren auf die Richter. Es soll dem Präsidenten die Möglichkeit eingeräumt werden, bestimmte Verfahren von bestimmten Richtern fernzuhalten oder bestimmten Richtern zuzuteilen. Gleichzeitig wird ein sogenanntes „Rechtspflegermodell“ vorgeschlagen, mit dem nicht richterlichen Beamten die Zuständigkeit für nahezu alle Verwaltungsverfahren übertragen wird. Nach der Intention des Entwurfes sollen also Beamte, die bisher beim Wiener Marktamt, bei der Baubehörde oder als Referenten bei den Magistratischen Bezirksämtern gearbeitet haben, als „weisungsfreie“ Gerichtsbedienstete über Beschwerden gegen den Wiener Magistrat entscheiden. Wird die Beschwerde vom „Rechtspfleger“ abgewiesen, bleibt dem Rechtsschutz suchenden Bürger nur mehr die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung eine Beschwerde bei einem Richter einzubringen, der vom Präsidenten dafür ausgesucht wurde. Es gibt innerhalb der Grenzen der Europäischen Union kein so organisiertes unabhängiges Gericht. Außerhalb dieser Grenzen vielleicht.

Wien handelt verfassungswidrig

Es liegt auf der Hand, dass dieses Vorhaben des Landes Wien nicht mit der österreichischen Verfassung und den Vorgaben der EU-Grundrechtscharta in Einklang zu bringen ist; die Stellungnahme des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes müsste dies klar zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig gibt dieser Gesetzesentwurf aber einen tiefen Einblick in das rechtsstaatliche Verständnis der Wiener Sozialdemokratie. Es bleibt abzuwarten, ob für ein solches Gesetz im Wiener Landtag eine Mehrheit zu finden ist. Das wird nicht zuletzt von den Wiener Grünen abhängen.

Dr. Ingo Riß ist Rechtsanwalt in Wien. Er hat im Jahr 1997 jene richtungsweisende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (B2434/95) erwirkt, die zur Gleichstellung der UVS-Richter mit Justizrichtern führte. – www.anwalt-riss.at

Auf einen Blick

Durch die Reform sollen ab dem Jahr 2014 rund 120 Senate und Sonderbehörden abgeschafft werden. Stattdessen werden zwei Verwaltungsgerichte des Bundes und neun der Länder (für jedes Bundesland eines) geschaffen. Für die Bürger bedeutet dies mehr Rechtsschutz, weil sie, wenn sie gegen Bescheide berufen, sofort zu echten Richtern kommen.Das Problem liegt aber darin, dass die Länder sich schwertun, die Unabhängigkeit der neuen Gerichte zu akzeptieren. Den Ländern obliegt es aber, die Landesverwaltungsgerichte einzurichten. Insbesondere der Wiener Entwurf zeigt, wie sich die Politik Einfluss auf die Justiz sichern will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2012)

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