"Sozialpartner greifen wichtige Themen nicht auf"

Sozialpartner greifen wichtige Themen
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In vielen Betrieben würden flexible Arbeitszeiten gelebt - aber in einer rechtlichen Grauzone. Die Arbeitszeitflexibilisierung muss endlich gesetzlich geregelt werden, fordern Experten.

Wien. Die Krise hat den österreichischen Arbeitsmarkt längst erwischt. Die Beschäftigung steigt noch, leider aber auch die Arbeitslosigkeit. Heuer wächst die österreichische Wirtschaft kaum, die Industriellenvereinigung hält 2013 eine Rezession für möglich. Trotz Krise konnte die Gewerkschaft für die rund 120.000 Beschäftigten in der Maschinen- und Metallwarenindustrie bis zu 3,4Prozent mehr Geld herausschlagen. Ein Thema wurde aber wieder einmal vertagt: die Arbeitszeitflexibilisierung. Experten sehen das kritisch, wie eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe „Rechtspanorama an der WU“ vorige Woche in Wien zeigte.

Einer der Experten ist Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS). Er findet zwar, dass die Institutionen des österreichischen Arbeitsmarktes relativ gut funktionieren. Aber dass wesentliche Elemente wie die Arbeitszeitflexibilisierung „nicht gelöst und in Arbeitskreise abgeschoben“ wurden, hält er für bedenklich. Die Arbeitgeber der Metaller fordern diese schon seit vielen Jahren, sie wollen vor allem längere Durchrechnungszeiträume für Überstunden. Damit Beschäftigte mehr arbeiten, wenn viel zu tun ist und weniger, wenn Flaute herrscht.

Österreich: im EU-Vergleich gut

Darum haben sich die Maschinenbauer, der größte Fachverband der Metaller, aus dem seit Jahrzehnten bestehenden Verhandlungsverband verabschiedet und getrennt von den anderen fünf Metaller-Fachverbänden verhandelt. Trotzdem konnte die Gewerkschaft die Arbeitszeitflexibilisierung wieder abschmettern. Hofer resümiert: „Wir haben ein modernes System, aber es ändert sich auch nichts. Irgendwann wird man mehr Flexibilität brauchen.“ In den Betrieben würden flexible Arbeitszeitmodelle ohnehin gelebt – aber in einer rechtlichen Grauzone. „Es wäre gut, wenn man manche Dinge legalisieren würde.“

Auch für Franz Marhold, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der WU Wien, sind „Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ein enormes Asset“. Er sieht die Sozialpartner in der Pflicht, die jedes Jahr aufs Neue um die Löhne feilschen, aber wichtige Punkte wie Weiterbildung, Beschäftigung im Alter oder Frauenbeschäftigung außer acht ließen: „Es gäbe abseits des jährlichen Rituals viele Themen, die von den Sozialpartnern nicht aufgegriffen werden.“

Auch Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice, spricht sich klar für ein flexibles Arbeitsrecht aus. Der österreichische Arbeitsmarkt sei für österreichische Verhältnisse zwar in keiner guten Situation. „Im Europa-Vergleich stehen wir aber sehr gut da“, so Kopf. Und das liege auch am flexiblen Kündigungsschutz, gekoppelt mit einer umfangreichen aktiven Arbeitsmarktpolitik: Versicherungsschutz, Arbeitslosengeld, Hilfe bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.

Anders in Griechenland. Der starre Kündigungsschutz sei in vielen Ländern zwar ein Problem, er führe dazu, dass Unternehmen keine Mitarbeiter mehr einstellen. „Aber was dort passiert, geht mir zu weit“, sagt Kopf. Die Sicherheiten für Arbeitnehmer wurden in Griechenland mit der Krise stark zurückgefahren. Kopf zitiert eine Studie des Europäischen Gewerkschaftsbundes: Menschen unter 25 Jahren dürften um 20Prozent unter dem kollektivvertraglichen Mindestlohn eingestellt werden und hätten eine Probezeit von zwei Jahren, während der sie ohne Grund entlassen werden könnten. Kopf pocht auf die Bedeutung des Arbeitsrechts: „Das ist zu viel Abbau. Das Arbeitsrecht ist eine soziale Errungenschaft. Eine gewisse Sicherheit ist sinnvoll.“

Telefonist mit Gewerbeschein

Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs, sieht aber auch in Österreich mancherorts eine „Flucht aus dem Arbeitsrecht“: „Die Unternehmen versuchen immer mehr, freie Dienstverträge abzuschließen und damit aus dem Arbeitsrecht auszuscheren. Freie Dienstnehmer haben keine Absicherung, keinen Kündigungsschutz, keine Entgeltfortzahlung im Krankenstand.“ WU-Professor Marhold erzählt vom (wahren) Fall eines Callcenters. „Dort arbeiten die Mitarbeiter von neun bis 17 Uhr, und jeder von ihnen hat einen Gewerbeschein für die Telekommunikationsbranche.“ Die meisten freien Dienstverhältnisse würden rechtlich nicht halten.

Nicht ab-, sondern ausgebaut wurden die Rechte für Leiharbeiter. Diese müssen, nach einer Vorgabe der EU, der Stammbelegschaft künftig gleichgestellt werden. Bei den Gehältern sind die rund 75.000 Zeitarbeiter laut Kollektivvertrag schon länger gleichgestellt. Nun müssen sie aber auch Zugang zu Zusatzleistungen wie Betriebskindergärten und Kantinen erhalten. Außerdem wurde eine „Auflösungsabgabe“ von 110 Euro pro beendetem Arbeitsverhältnis eingeführt, die an den Staat zu zahlen ist. Mit einem Sozial- und Weiterbildungsfonds sollen Leiharbeiter in „Stehzeiten“ fortgebildet werden. „Das Leiharbeitergesetz ist ein Verlust an Flexibilisierung. Ich sehe nicht ein, wieso Leiharbeiter zum Beispiel gegenüber Saisonarbeitern besonders berücksichtigt werden sollten“, sagt Marhold.

Auch beim heimischen Stromkonzern Verbund könnte sich das Leiharbeitergesetz auswirken. Laut Verbund-Vorstand Ulrike Baumgartner-Gabitzer beschäftigt das Unternehmen Leiharbeiter dort, „wo wir Bauprojekte haben. Dann haben wir sie eine kurze Zeit, und dann ist es wieder vorbei.“ Was Baumgartner-Gabitzer in puncto Arbeitsrecht aber besonders stört, ist die zunehmende Bürokratisierung. „Wir haben in unserem Konzern 1700 Beauftragte. Das nimmt überbordend zu. Wir haben alleine 400 Ersthelfer, dazu Behindertenvertrauenspersonen, Sicherheitsfachkräfte. Man darf nicht vergessen, dass das Arbeitszeit ist“, so Baumgartner-Gabitzer.

„Presse“-Diskussionen

Das „Rechtspanorama an der WU“ ist eine von der Wirtschaftsuniversität Wien zusammen mit der „Presse“ veranstaltete Diskussionsreihe zu aktuellen Themen mit wirtschaftsrechtlichen Bezügen. Vorige Woche war es dem Thema „Arbeitsrecht in der Krise“ gewidmet. Die nächste Veranstaltung findet im Sommersemester statt.

Das nächste „Rechtspanorama am Juridicum“ ist für 12. November (ab 18 Uhr im Dachgeschoß des Juridicums) geplant. Über „Neues Familienrecht zum Wohl der Kinder?“ diskutieren Ass.-Prof. Barbara Beclin, Anwältin Brigitte Birnbaum, Psychologe Salvatore Giacomuzzi, Legist Michael Stormann (angefragt), Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2012)

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