Es findet fast eine Hexenjagd auf Sexualstraftäter statt. Dabei kann die Fußfessel gerechtfertigt sein - und ein automatischer Amtsverlust ist abzulehnen. Ein Maßhalteappell.
Innsbruck. Ein vor Kurzem zur Begutachtung versendeter Entwurf einer Dienstrechts-Novelle sieht für öffentlich Bedienstete (Beamte, Vertragsbedienstete, Staatsanwälte, Richter) eine dramatische Sanktion vor: Wer wegen eines Sexualdelikts (nach §§201 bis 217 StGB), wegen Quälens oder Vernachlässigen eines Kindes (§92) oder eines Gefangenen (§312) oder wegen Folter rechtskräftig verurteilt wurde, soll in Hinkunft automatisch sein Amt verlieren, und zwar unabhängig von der verhängten Strafe.
Nach Ansicht der Verfasser des Gesetzesentwurfs beschädigen Verurteilungen wegen solcher Straftaten das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Erfüllung der Aufgaben der öffentlich Bediensteten derart massiv, dass eine sofortige und unerbittliche Reaktion des Dienstgebers erforderlich ist, um das Vertrauen wiederherzustellen. Zudem sieht der Entwurf vor, dass die Bediensteten zwingend vorläufig vom Dienst zu suspendieren sind, sobald eine rechtswirksame Anklage wegen eines der genannten Delikte vorliegt oder wenn die Untersuchungshaft verhängt wird.
Nun gibt es zweifellos Fälle, in denen der Weiterverbleib verurteilter Personen im öffentlichen Dienst untragbar ist: Wenn beispielsweise Polizisten verhaftete Personen foltern oder Lehrer Schulkinder geschlechtlich missbrauchen. Disziplinarkommissionen waren in Fällen von Polizeifolter manchmal wohl zu milde. Aber die jetzt vorgeschlagenen Änderungen gehen weit darüber hinaus und sind deshalb in dieser Form klar abzulehnen.
Mit dem Entwurf setzt sich eine seit Jahren zu beobachtende Entwicklung fort, wenn es um das Thema Sexualdelikte geht: noch höhere Strafrahmen, Erweiterung der Tatbestände, noch längere Verjährungsfristen, möglichst keine bedingte Entlassung usw. Man muss schon beinahe von einer Art Hexenjagd gegen Sexualstraftäter sprechen, die Strafen können nicht streng genug sein. Bei der Sanktionierung von Sexualstraftaten brechen offensichtlich die Emotionen durch, rationale Überlegungen scheinen auf der Strecke zu bleiben.
Amtsverlust schon lange möglich
Das geltende Strafrecht sieht seit Langem unter bestimmten Voraussetzungen einen Amtsverlust vor: Diese Rechtsfolge tritt automatisch ein, wenn ein Beamter wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wird. Dasselbe gilt, wenn das Urteil eine bedingte Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr vorsieht oder wenn er – unabhängig von der Höhe der verhängten Strafe – wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses verurteilt wird. Weil der Amtsverlust, der auch mit der Verlust der Beamtenpension verbunden ist, im Einzelfall unverhältnismäßig sein kann, sieht das Strafgesetzbuch (StGB) vor, dass diese Rechtsfolge unabhängig von der Hauptstrafe bedingt nachgesehen werden kann. Dadurch wird eine dem konkreten Fall entsprechende schuldangemessene Sanktionierung ermöglicht.
Das Disziplinarrecht hat sich ebenfalls primär an der Schwere der Dienstpflichtverletzung und der Schuld zu orientieren. Zwar geht es überdies um die Wahrung des Vertrauens der Bevölkerung in die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben, doch ist auch in dieser Hinsicht eine individuelle Beurteilung jedes Falles geboten. Dieser Grundsatz wird verletzt, wenn pauschal an die Verurteilung wegen praktisch aller Sexualdelikte die gravierende Folge des Amtsverlusts geknüpft wird. Bei jedem Delikt, auch bei (nach der Strafdrohung) schweren Sexualdelikten, kann die einzelne Tat so beschaffen sein, dass eine milde Sanktionierung geboten ist und auch aus disziplinarrechtlicher Sicht der Amtsverlust unverhältnismäßig erscheint: Man denke etwa an Sexualdelikte, die Jahrzehnte zurückliegen, wenn sich der Täter seither wohlverhalten hat. Womöglich war die betreffende Person damals noch gar nicht im öffentlichen Dienst tätig. Der Tatbestand der pornografischen Darstellung Minderjähriger, der von der Öffentlichkeit pauschal als besonders verwerflich eingestuft wird, erfasst auch Handlungen, die nichts mit Schwerkriminalität zu tun haben und durch die keine Kinder zu Opfern wurden (z.B. die Betrachtung sog. „virtueller“ kinderpornografischer Bilder, die rein künstlich am Computer hergestellt wurden).
Noch etwas ist zu beachten: Bei Sexualdelikten kommt es leider relativ häufig zu falschen Beschuldigungen. Nach dem Auseinanderbrechen von Beziehungen wird nicht selten der Ex-Partner zu Unrecht eines Sexualdelikts bezichtigt. An Beweismitteln sind oft nur die widersprechenden Aussagen des Beschuldigten und des Opfers vorhanden. Auch in solchen Fällen kann es zu Anklagen kommen, weil die Staatsanwaltschaft die Beweiswürdigung dem Gericht überlassen will. Schon die rechtswirksame Anklage soll nach dem Entwurf aber zwingend zur vorläufigen Suspendierung führen, die die Person trotz Hinweis auf die Unschuldsvermutung in der Öffentlichkeit schon halb zum Schuldigen stempelt.
Ausschluss von Fußfessel falsch
Unerbittliche, gnadenlose Härte ohne Rücksicht auf den individuellen Fall erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten und ist nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Disziplinarrecht entschieden abzulehnen. Deshalb ist auch der geplante pauschale Ausschluss von Sexualstraftätern von der Fußfessel nicht sachgerecht. Die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Salzburger Fußfesselfall zeigt, dass diese Art des Strafvollzugs auch bei Sexualstraftaten in besonderen Fällen durchaus vertretbar sein kann.
Klaus Schwaighofer ist
Professor für Strafrecht an der
Universität Innsbruck.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2012)