OGH: Gericht kann Sterbehilfe nicht bewilligen

Gericht kann Sterbehilfe nicht
Gericht kann Sterbehilfe nicht(c) APN (Thomas Kienzle)
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Der Oberste Gerichtshof sieht keine gesetzliche Grundlage dafür, dass ein Gericht stellvertretend für Komapatienten ein Ende der künstlichen Ernährung billigt. Sachwalter und behandelnder Arzt könnten es aber tun.

Wien. Beenden oder nicht beenden? Die künstliche Ernährung einer Frau einstellen, die seit zwei Jahren im Wachkoma liegt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie wieder zu Bewusstsein kommen wird? Das Leben in einem Zustand beenden, den die Patientin nicht wollte? Den sie wirklich nicht wollte?

Wer immer meint, diese Fragen beantworten zu können – der Oberste Gerichtshof kann es nicht. Und auch kein anderes Gericht in Österreich kann es, sagt der Gerichtshof. Im Niemandsland zwischen Leben und Tod fehlen die Wegweiser des Gesetzgebers.

Gehirnschaden nach Schlaganfall

Die Frau leidet unter einem apallischen Syndrom, seit sie – mit zahlreichen Aneurysmen im Gehirn – von einem schweren Schlaganfall getroffen wurde. Sie liegt bewusstlos mit offenen Augen in ihrem Pflegebett und kann weder kommunizieren noch sich willkürlich bewegen. Über eine Sonde wird sie künstlich ernährt. Sie hat, vielleicht weil sie wusste, dass ihre Familie zu Aneurysmen neigt, eine Patientenverfügung verfasst, in der sie erklärt hatte, in einem solchen Zustand nicht weiterleben zu wollen. Eine Ärztin hat sie beraten, ein Notar hat bestätigt, dass sie über Wesen und Wirkung einer „verbindlichen Patientenverfügung“ informiert worden war. Doch die Verfügung ist, wiewohl eigenhändig geschrieben, nicht unterschrieben. Und damit gerade nicht verbindlich, sondern nur „beachtlich“, also bei der Ermittlung des hypothetischen Willens der Frau zu berücksichtigen.

Aber wer sollte diesen Willen ermitteln? Der Ehemann wäre als Sachwalter dazu berufen. Und er konnte, wie die beiden Töchter, ein Bekannter, die Ärztin und der Notar, bestätigen, dass die Frau ein Leben ohne Bewusstsein und mit künstlicher Ernährung eindeutig abgelehnt hätte. Weil er aber nach seiner Frau erbberechtigt ist, stand er in einem Interessenkonflikt, der es notwendig machte, einen Kollisionskurator zu bestellen.

Dieses Los traf eine Anwältin, die ob ihrer Aufgabe gar nicht begeistert war. Sie wehrte sich gegen ihre Bestellung durch das Bezirksgericht Innere Stadt, ihr Rekurs blieb ohne Erfolg. Immerhin ließ das Landesgericht für Zivilrechtssachen einen ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil der OGH noch nie gesagt hat, ob ein Kollisionskurator zur Entscheidung pro oder kontra Einstellung der künstlichen Ernährung bestellt werden kann. Der 9.Senat des OGH unter Vorsitz von Vizepräsident Ronald Rohrer enthob die Anwältin ihrer Aufgabe (9 Ob 68/11g). Er blickte gleichsam durch die Frage der Bestellung durch auf den zugrunde liegenden Antrag für oder wider die Sterbehilfe. Und für diesen konnte der Senat keine gesetzliche Grundlage finden. Am ehesten käme § 283/2 ABGB in Betracht, der eine gerichtliche Genehmigung für Sachwalterentscheidungen in bestimmten medizinischen Angelegenheiten vorsieht. Im Notfall kann das Gericht die Zustimmung des Sachwalters auch ersetzen. Doch stets geht es um die Einleitung gravierender Behandlungen („die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden“ sind – gemeint sind etwa Amputationen, Chemotherapien, hoch dosierte Beruhigungsmittel), nie aber um einen – wiederum schwerwiegenden – Abbruch von Maßnahmen.

Gesetzesanalogie nicht möglich

Nun gibt es zwar ein probates Mittel, Lücken im Gesetz zu schließen: die analoge Anwendung bestehender Regeln. Die verbot sich für den OGH aber aus zwei Gründen: Einerseits würde sie voraussetzen, dass der Gesetzgeber die vermisste Regelung unbeabsichtigt nicht erlassen hat. Der Senat meint aber, dass die heikle Ermächtigung absichtlich nicht normiert wurde. Andererseits müsste die zur Analogie ausersehene Bestimmung auch von der Zielsetzung her passen. Hier jedoch würde eine Regel, die auf den Lebenserhalt zielt, ins Gegenteil verkehrt. „Derartiges bedürfte“, so der OGH unter Verweis auf das mit steigender Eingriffsintensität zunehmend strikte Determinierungsgebot, „eines klaren gesetzlichen Auftrags“. Der Abbruch der Lebenserhaltung sei ja der stärkstmögliche Eingriff ins Grundrecht auf Leben.

Für eine gerichtliche Genehmigung des Abbruchs fehlt es also ebenso an einer Rechtsgrundlage wie für die Bestellung des Kurators. Der Senat weist aber einen Weg, der zur finalen Entscheidung führen kann: Wenn behandelnder Arzt und Sachwalter einvernehmlich für die Sterbehilfe sind, kann die Ernährung eingestellt werden. Bei einer Interessenkollision wie im vorliegenden Fall müsste der Sachwalter für die mit dem Arzt geteilte Kompetenz wohl einen Kurator bekommen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2012)

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