Wachkoma: Scheidung ist möglich

(C) FABRY
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Der Oberste Gerichtshof musste einen tragischen Fall lösen: Ein Mann, dessen Frau am apallischen Syndrom leidet, klagte auf Scheidung wegen Geisteskrankheit.

Wien. Das Ehegesetz schreibt vor, wann man sich scheiden lassen kann. Dies geht etwa dann, wenn man betrogen wurde oder wenn man vom Ehepartner schlecht behandelt wird. Es gibt aber auch Gründe, derentwegen man seinen Ehepartner verlassen darf, ohne dass dieser etwas dafür kann.

So findet sich ein Paragraf, der die Scheidung wegen Geisteskrankheit erlaubt. Urteile dazu findet man nur selten, doch in einem aktuellen Fall mussten die Gerichte klären, ob die Voraussetzungen für eine solche Scheidung vorlagen. Dahinter stand ein tragischer Fall: Das Glück eines Paares zerbrach nämlich nach 18 Ehejahren daran, dass die Frau eine Gehirnblutung erlitt. Sie ist seit dem Vorfall im Jahr 2003 vollständig pflegebedürftig und befindet sich im Wachkoma (apallisches Syndrom). Sie ist zwar wach, aber sich dessen nicht bewusst, und ihr fehlen jegliche emotionale Reaktionen. Nach der Gehirnblutung wurde der Vater der Frau zu ihrem Sachwalter bestellt.

Er nahm sie schließlich auch zur häuslichen Pflege bei sich auf. Allerdings gab es immer schon Differenzen zwischen dem Vater und seinem Schwiegersohn. Da die Frau nun beim Vater war, brach der Kontakt des Mannes zu seiner Frau ganz ab. Auch mit den gemeinsamen Kindern kam er nicht mehr zusammen. Der Mann wollte zunächst nur für die Kinder Unterhalt leisten, weil er zusätzlich auch noch einen gemeinsam mit seiner Frau aufgenommenen Kredit abzustottern hatte. Er wurde aber nach einer Klage dazu verpflichtet, auch für die Frau monatliche Beträge zu überweisen.

Trifft Scheidung die Frau hart?

2007 verliebte sich der Ehemann in eine andere Frau und ging mit ihr eine Partnerschaft ein. Weitere Jahre vergingen. Der Mann beschloss, sich scheiden zu lassen. Der Schwiegervater als Vertreter der kranken Frau war dagegen. Es blieb nichts anders übrig, als eine Scheidungsklage zu erheben. Der Mann begehrte Scheidung wegen Geisteskrankheit. Die Frau bzw. ihr Rechtsvertreter berief sich aber auf die sogenannte Härteklausel. Nach ihr ist eine Scheidung wegen Geisteskrankheit nicht möglich, wenn die Scheidung die Betroffene außergewöhnlich hart treffen würde.

Das Bezirksgericht St.Pölten gewährte die Scheidung wegen Geisteskrankheit, das Landesgericht St. Pölten bestätigte die Entscheidung. Es betonte, dass der Begriff der Geisteskrankheit nicht ausschließlich im medizinischen Sinn zu verstehen sei. Es komme darauf an, ob durch eine Krankheit eine schwere Regelwidrigkeit des geistigen Zustands verursacht wurde. Und das sei hier der Fall.

Auch der Oberste Gerichtshof (OGH) musste sich zum ersten Mal mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Wachkoma als Geisteskrankheit zu werten ist. Der OGH (1 Ob 132/12m) betonte, dass es der Frau nicht mehr möglich ist, am Lebens- und Gedankenkreis des Ehemanns teilzunehmen. Eine Besserung des Krankheitsbilds sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Daher sei das Wachkoma der Frau einer Geisteskrankheit gleichzuhalten, und die Scheidung ist möglich. Auch die Härteklausel komme nicht zur Anwendung, meinte der OGH. So könne man für die Frau nicht behaupten, dass es sie hart treffe, verlassen zu werden. Denn es bestehe ohnedies schon seit Jahren kein Kontakt mehr zum Mann. Und rein wirtschaftliche Argumente (nach einer Scheidung wegen Geisteskrankheit gelten schlechtere Unterhaltsregeln) würden für die Härteklausel nicht ausreichen.

Die Vertreter der Frau forderten die Gerichte auf, ein Verschulden des Mannes an der Scheidung auszusprechen (was mehr nachehelichen Unterhalt bedeutet hätte). Dies lehnte der OGH aber ab: Der Mann habe die Frau auch nach dem Unglück im Spital besucht. Dass der Mann erst nach einer Klage für sie Unterhalt zahlte, sei auch kein Verschulden, weil die Rechtsansicht des Mannes argumentierbar war: Die Frau verfügt nämlich selbst über eine Rente.

Nur mehr „Notunterhalt“ fällig

Die Frau habe nach der Scheidung nur ein Recht auf „Notunterhalt“, sagte der Anwalt des Mannes, Hans-Jörg Haftner, zur „Presse“. Die Frau erhält bloß dann Geld, wenn sie es dringend benötigt. Der Anwalt der Frau, Norbert Marschall, will die weitere Vorgangsweise noch mit dem Sachwalter bereden. Marschall fordert aber, dass die Scheidung wegen Geisteskrankheit und auch die Scheidung wegen ansteckender oder ekelerregender Krankheit abgeschafft werden: Wer krank verlassen werde, solle den vollen Unterhaltsanspruch erhalten. Wegen schwerer ansteckender oder ekelerregender Krankheit kann man sich scheiden lassen, wenn der Partner z.B. an Aids, Hautkrebs oder Schuppenflechte leidet. Schielen, verkrümmte Gliedmaßen oder Narben sind hingegen kein Scheidungsgrund, da diese weder ansteckend sind noch als ekelerregend gelten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2012)

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