Reaktion I. Sachverständige bei Gericht: Kein Platz für das Glücksspiel

Sachverstaendiger bei Schadensbesichtigung
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Die Anforderungen an Sachverständige sind hoch, und es mag einzelne missliebige Entwicklungen geben. Aber das System funktioniert.

Wien. Hermann Wenusch zeichnet in seinem Beitrag „Wenn Gutachter statt Richtern urteilen: Ein einziges Glücksspiel“ („Rechtspanorama“ vom 3. Dezember) ein düsteres Bild des Gerichtssachverständigenwesens wie auch überhaupt der Gerichtsbarkeit in Österreich. Überforderte bzw. ungeeignete Sachverständige sollen weitgehend verfehlte Gutachten fabrizieren, denen willfährige Richterinnen und Richter unreflektiert folgen. Da das Gericht oft auch gleich die rechtliche Beurteilung aus der Hand gebe, befinde sich die Justiz als Ganzes in einer Schieflage. Verantwortlich sei ein „im Argen“ liegendes Sachverständigenwesen. Maßnahmen wie die „seit einiger Zeit“ notwendige Rezertifizierung (wobei die Befristung der Eintragung bereits seit der Stammfassung des Sachverständigen- und Dolmetschergesetzes aus 1975 vorgesehen ist) würden nicht greifen; auch sei es fraglich, ob nicht Einrichtungen wie die „Sachverständigenlisten“ grundsätzlich überdacht werden sollten.

Bei allem Verständnis für den Unmut, der sich bei Wenusch aufgrund einiger Erfahrungen möglicherweise aufgestaut hat: Ganz so, wie von ihm beschrieben, sind die Dinge dann doch wieder nicht.

Das Sachverständigengutachten ist ein Beweismittel, das der freien Beweiswürdigung des Richters unterliegt. Die Parteien können schon die Auswahl des Sachverständigen unmittelbar beeinflussen. Auch inhaltlich ist es im Zivilverfahren – auf das sich Wenusch bezieht – neben dem Gericht Sache der Parteien, durch Fragen an den Sachverständigen und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten ein „richtiges“ Ergebnis zu erreichen. Dass die Interessen der Parteien diametral auseinanderlaufen und – etwa auch in den im Beitrag geschilderten Beispielen – die vom Autor gescholtenen Gutachtensergebnisse wohl (zumindest zum Teil) durchaus den Positionen des jeweiligen Prozessgegners entsprochen haben könnten, liegt in der Natur der Sache.

Persönliche und direkte Haftung

Auf einem anderen Blatt steht es, wenn sich der Sachverständige klar von anerkannten Regeln der Wissenschaft bzw. vom Stand der Technik entfernt und ein unrichtiges Gutachten erstellt. Hier haftet der Sachverständige den Parteien gegenüber persönlich und unmittelbar für alle durch dieses Gutachten verursachten Schäden. Dies gilt sogar dann, wenn das Gutachten, das sich im Laufe des Verfahrens als unrichtig und mangelhaft herausstellt, der Entscheidung des Gerichts gar nicht zugrunde gelegt wird (2 Ob 180/08x). Diese persönliche Verantwortlichkeit ist – wie auch die generelle (wirtschaftliche) Unabhängigkeit der Sachverständigen – ein wesentliches Element der österreichischen Konzeption des Gerichtssachverständigenwesens. Sie hebt das System rechtsstaatlich gesehen insgesamt doch deutlich über Alternativansätze (wie den des Amtssachverständigen).

Dass es Konstellationen gibt, in denen eine genauere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gutachtensergebnissen oder ein präziseres Hinterfragen der vom Sachverständigen gezogenen Schlüsse wünschenswert wäre, soll nicht wegdiskutiert werden. Das Bewusstsein, dass es hier Verbesserungspotenzial gibt, ist in der Justiz aber sehr wohl gegeben (mag es auch angesichts der hohen Arbeitsbelastung der Richterinnen und Richter etwas verschüttet sein). Den Gerichten vorzuwerfen, sie würden sich flächendeckend hinter „ihren“ Sachverständigen „verschanzen“, tut Überlegungen rund um mögliche Verbesserungen keinesfalls gut.

Bei aller Kritik darf nicht vergessen werden, dass das System einer gesonderten gerichtlichen Zertifizierung der Sachverständigen samt einer (nunmehr) in fünf Jahren erforderlichen Rezertifizierung ein Meilenstein in der Qualitätssicherung ist, den es in dieser Form anderswo nicht oder nur sehr eingeschränkt gibt. Auch die Kritik an der „Einrichtung von Sachverständigenlisten“ – tatsächlich gibt es seit bald einem Jahrzehnt nur mehr eine einzige, von den Präsidentinnen und Präsidenten der Landesgerichte geführte elektronische Gerichtssachverständigenliste, in der alle allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen eingetragen sind – ist schwer nachvollziehbar; dass selbst die alphabetische Gliederung (innerhalb der Fachgebiete) als Problem angesehen wird, macht eine ernsthafte Diskussion nicht gerade einfacher. In jedem Fall stellt sich hier die Frage einer auch nur ansatzweise tauglichen Alternative.

Elektronische Liste stark gefragt

Übersehen werden dürfen auch nicht die aktuellen Entwicklungen auf EU-Ebene, die gerade in Richtung eines Ausbaus der elektronischen Abrufbarkeit geeigneter Sachverständiger über Listen gehen. Die Zahl der Zugriffe auf die elektronische Gerichtssachverständigenliste (so gab es im Jahr 2010 im Bereich der gemeinsam geführten Gerichtssachverständigen- und Gerichtsdolmetscherliste 4,993.750 Suchvorgänge im Internet und 358.994 im Justiz-Intranet) belegt jedenfalls den Erfolg der Einrichtung. Das wohlgemerkt auch außerhalb der Gerichtsbarkeit, auf dem freien Markt.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Anforderungen an Gerichtssachverständige werden nicht geringer werden. Der Justiz und den Sachverständigen selbst muss es schon im eigenen Interesse ein Anliegen sein, das Sachverständigenwesen auf dem Stand der Zeit zu halten. Daneben muss es gelingen, auf missliebige Entwicklungen – auch bezogen auf einzelne Sachverständige – rascher und effektiver (auch mit der Streichung aus der Liste) zu reagieren. Das gesetzliche Instrumentarium ist bereits breit genug, um auf Fehlentwicklungen auch punktuell zu reagieren. Hier sind freilich auch die beruflichen Parteienvertreter gefordert. Selbstverständlich ist der Ruf nach dem Gesetzgeber legitim. Das Interesse am Funktionieren der Justiz als Ganzes sollte dabei aber nicht aus den Augen verloren werden. Für Glücksspiel ist im Gerichtsverfahren jedenfalls kein Platz.

Mag. Aufner ist Leiter der u. a. für Angelegenheiten der Sachverständigen zuständigen Legislativabteilung des Justizministeriums.

Auf einen Blick

Kontroverse. Anwalt und Gerichtssachverständiger Wenusch hat im Rechtspanorama das Sachverständigenwesen massiv kritisiert. Justizministerium und Sachverständigenverband weisen die Kritik zurück, räumen aber mögliche Probleme in Einzelfällen ein.

Korrektur. In Wenuschs Beitrag fand sich ein Tippfehler: Es war von einer Estrichüberdeckung bei Fußbodenheizungen von 45cm die Rede; gemeint waren 45mm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2012)

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