Ein dritter Weg für das Bundesheer - abschaffen möglich?

dritter fuer Bundesheer abschaffen
dritter fuer Bundesheer abschaffen(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine bisher weithin übersehene alternative Lösung wäre eine Abschaffung des österreichischen Bundesheeres; sie wäre mit der österreichischen Neutralität und der EU-Mitgliedschaft vereinbar.

Graz. Debatten über das österreichische Bundesheer waren seit jeher geprägt von politischem Opportunismus. Nun wird das Volk zur Abschaffung der Wehrpflicht befragt. Eine bisher weithin übersehene alternative Lösung wäre eine Abschaffung des österreichischen Bundesheeres; sie wäre mit der österreichischen Neutralität und der EU-Mitgliedschaft vereinbar.

Die Wehrpflicht sei in Stein gemeißelt, verkündete noch im Sommer 2010 der sozialdemokratische Verteidigungsminister Norbert Darabos. Nicht einmal drei Jahre später, am 20. Jänner 2013, wird auf seine Initiative eine Volksbefragung über die Abschaffung der Wehrpflicht durchgeführt. Die Sozialdemokratie stand zumindest bisher ideologisch für die Wehrpflicht ein, auch um das Bundesheer im Volk zu verankern. Die ÖVP hingegen setzte sich traditionell für ein professionelles Berufsheer ein. In Zeiten einer europäischen Friedensordnung sei eine Wehrpflicht nicht mehr notwendig, meinte bereits 1998 der damalige ÖVP Nationalratspräsident Andreas Khol. Nun tritt die ÖVP vehement für die Beibehaltung der Wehrpflicht ein und sieht im Berufsheer eine Abschaffung der Neutralität – die Positionen haben sich um 180 Grad gewandelt.

Anstelle von Ideologie oder Sachlichkeit sind die Positionen der Parteien durch prinzipielle Gegensätzlichkeit bestimmt. Sachliche Argumente sind selten, ernst zu nehmende Konzepte inexistent. Darabos würde gern ein Berufsheer nach dem Modell Schwedens haben – oder so ähnlich. Dass Schweden für ein Berufsheer etwa das Dreifache des österreichischen Verteidigungsbudgets ausgibt, scheint für Darabos in Zeiten von Budgetkürzungen irrelevant zu sein. Wofür sollen die Österreicher am 20. Jänner nun stimmen? Für eine Beibehaltung der Wehrpflicht von sechs Monaten, die nur eine unzureichende Ausbildung ermöglicht? Für ein Berufsheer, für dessen Umsetzung jegliches realistische Konzept bisher fehlt und die, wie bisherige Erfahrungswerte befürchten lassen (Stichwort Eurofighter), womöglich stümperhaft erfolgen wird? Die Volksbefragung ist keine Wahl für oder gegen die Wehrpflicht, sondern ein politischer Grabenkampf SPÖ–ÖVP.

Weshalb also nicht das österreichische Bundesheer abschaffen? Ein komplett utopischer Vorschlag, der in die Kategorie „Trommeln für den Weltfrieden“ fällt? Mitnichten. Weltweit haben etwa 22 Staaten keine stehende Armee. Obwohl dies meist Mikrostaaten wie Andorra, Palau und Vatikanstadt sind, so finden sich auch kleinere Staaten wie Costa Rica, Panama und Island darunter.

Doch ist eine Abschaffung des Bundesheeres in einem neutralen Österreich überhaupt möglich? Völkerrechtlich verpflichtet die Neutralität zur Unparteilichkeit. Ein Staat darf weder selbst an Konflikten teilnehmen noch eine von mehreren Kriegsparteien bevorzugt behandeln. Diese Grundsätze führen dazu, dass im Extremfall ein neutraler Staat auch fähig sein muss, sein Territorium zu verteidigen, sodass keine Kriegspartei dieses zu ihrem Vorteil nutzen kann. Mit dem Staatsvertrag von 1955 verankerte Österreich nicht nur die immerwährende Neutralität in der Verfassung, sondern verpflichtete sich auch zu einer umfassenden Landesverteidigung. Eine Abschaffung des Bundesheeres würde dem klar entgegenstehen. Doch erfordert Neutralität völkerrechtlich unbedingt eine Landesverteidigung durch ein stehendes Heer?

Unbewaffnete Neutralität

Historische Gegenargumente bieten Krakau und Luxemburg, die beide im 19. Jahrhundert neutralisiert und gleichzeitig demilitarisiert wurden. Costa Rica löste 1949 seine Armee auf und schrieb die Demilitarisierung des Landes in der Verfassung fest. 1983 verpflichtete sich Costa Rica zur ständigen unbewaffneten Neutralität. Der damalige Präsident Luis Alberto Monge verkündete während den Feierlichkeiten zur Ausrufung der Neutralität, dass die äußere Sicherheit Costa Ricas weiterhin durch die Regeln des Völkerrechts, die das Prinzip der kollektiven Sicherheit verwirklichen, garantiert bleibt. Festgeschrieben in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet das System der kollektiven Sicherheit im Falle eines Angriffs gegen einen Staat die Mitgliedstaaten der UNO zum Beistand. Österreich wäre im Falle der Abschaffung des Bundesheeres nicht komplett schutzlos. Zudem: Die Neutralität verpflichtet Österreich, alles zu unterlassen, was in zukünftigen Kriegen die Einhaltung der dauernden Neutralität beeinträchtigen könnte. Die EU-Verträge und insbesondere Artikel 23j der Bundesverfassung verpflichten Österreich zu einer vorbehaltlosen Teilnahme an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die im äußersten Fall auch eine gemeinsame militärische Verteidigung vorsieht. Sollte ein Mitgliedstaat angegriffen werden, wäre Österreich verpflichtet, diesen zu unterstützen. Genau diese Parteinahme im Kriegsfall verbietet die Neutralität. Was also bleibt von der Neutralität? Ist diese näher an einem historischen Relikt als an einer rechtlichen und politischen Tatsache?

Eine Antwort darauf lieferte 2001 der Nationalrat. Mit den Stimmen der Regierungsparteien wurde eine Entschließung verabschiedet, wonach der Status der völkerrechtlichen Neutralität Österreichs nicht mehr „dem eines neutralen, sondern eines allianzfreien Staates“ entspricht.

Unabhängig von der Neutralität bleibt die Frage, ob Österreich seine Verpflichtungen gegenüber der EU verletzen würde, wenn es über keine eigene Armee verfügte. Die EU-Verträge verpflichten Österreich zur Teilnahme an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In deren Zentrum stehen die Petersberger Aufgaben, die humanitäre und friedenserhaltende Einsätze, aber auch weltweite Kampfeinsätze von EU-Truppen mit einschließen. In den EU-Verträgen ist jedoch nicht explizit festgelegt, in welchem Ausmaß die Mitgliedstaaten an den Petersberger Aufgaben teilnehmen müssen. Denkbar wäre, dass Österreich lediglich finanzielle Unterstützung an die EU leistet, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Mit dem hinfälligen Verteidigungsetat ließe sich diese Unterstützung leicht finanzieren. Die restlichen finanziellen Mittel könnten zudem in die maroden österreichischen Universitäten und in Sozialprogramme investiert werden.

Mediator in vielen Konflikten

Nach Auflösung der Armee investierte Costa Rica die frei gewordenen finanziellen Mittel in Bildungs- und Sozialprogramme. Durch den regional gesehen hohen Lebensstandard erlangte Costa Rica den Beinamen „die Schweiz Lateinamerikas“. Wie Österreich ist das Land Sitzstaat internationaler Organisationen und bewährte sich als glaubhafter und erfolgreicher Mediator in zahlreichen regionalen Konflikten. 1987 erhielt der Präsident Costa Ricas, Óscar Arias Sánchez, den Friedensnobelpreis. Wie die EU – nur eben ohne Armee.

MMag. Stefan Salomon ist Univ.-Ass. am Institut für Völkerrecht der Universität Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2013)

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