Strafrecht neu: "Wenn man beim Gesäß anfängt ..."

Streitgespraech Wenn beim Gesaess
Streitgespraech Wenn beim Gesaess(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Christian Pilnacek, Sektionschef im Justizministerium, und Strafrechtsprofessor Klaus Schwaighofer diskutieren über Reformbedarf im Strafgesetzbuch und warnen vor einem Zuviel an Strafrecht.

Die Presse: OGH-Präsident Eckart Ratz hat vorige Woche in Ottenstein gesagt, man soll die Zwecke der Strafgesetze im Auge behalten und vermeiden, dass durch eine zu weite Auslegung ein Volk von Kriminellen geschaffen wird. Teilen Sie diese Sorge?

Christian Pilnacek: Ich finde es gut, dass man sich mit Strafzwecken und Rechtsgütern auseinandersetzt und auch berücksichtigt, dass Strafrecht seine Präventionswirkung nur dann verwirklichen kann, wenn es nicht in allen Lebensbereichen eine Strafrechtsnorm gibt.

Klaus Schwaighofer: Es gibt sicher einzelne Normen, die man zwanglos beseitigen könnte. Die Qualifikation „Kirchendiebstahl“ zum Beispiel: Es ist sicher überholt, dass es ein besonders schwerwiegendes Verbrechen ist, wenn man den Regenschirm eines anderen Kirchenbesuchers stiehlt. Beim Korruptionsstrafrecht sehe ich das Problem, dass es noch nicht durchdiskutiert und ausgereift ist. Wenn in den Materialien zum Gesetz steht, dass Geld immer ein ungebührlicher Vorteil ist, und man sich gleichzeitig überlegt, wer aller unter den Begriff des Amtsträgers fällt – die Kassierin in der Uni-Mensa ist, glaube ich, Amtsträgerin: Wenn es Korruption ist, wenn die ein Trinkgeld annimmt, dann passt das Gesetz offenbar nicht ganz.

Pilnacek: Man wird sicher Bereiche finden, die einer Kritik und einer Nachschärfung zu unterziehen sind. Im Moment bin ich aber ganz zufrieden mit der öffentlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Korruptionsstrafrecht.

Sie leiten eine Expertengruppe, die eine Reform des Strafgesetzbuchs 40 Jahre nach seiner Einführung 1975 vorbereiten soll. Besonders kritisiert wird das Verhältnis der Strafdrohungen bei Gewaltdelikten und bei Vermögensdelikten. Bei einer vorsätzlichen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang drohen genauso maximal zehn Jahre Haft wie bei Diebstahl, Betrug oder Untreue ab 50.000 Euro. Passt diese Gleichsetzung, oder ist da eine Strafdrohung zu hoch/zu niedrig?

Pilnacek: Man kann nicht punktgenau sagen: zu hoch/zu niedrig. Ich möchte auch nicht die Arbeit der Kommission durch eine Festlegung meinerseits beeinflussen. Was wir prüfen müssen, ist, ob es im Bereich der Vermögensdelinquenz noch zeitgemäß ist, dass man sich derart starr an Wertgrenzen orientiert.

Schwaighofer: Bei Ihrem Beispiel hätte ich nicht so ein besonderes Problem. Man muss bedenken, dass der Handlungsunwert recht gering sein kann, der Tod zwar vom Erfolgsunrecht her das Maximum ist, aber ein dummer Zufall sein kann. Problematischer sehe ich den Strafrahmen bei der absichtlichen schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang: Der ist auch mit zehn Jahren limitiert. Da ist der Handlungsunwert erheblich größer. Generell würde ich aber meinen, dass man ins Auge fassen sollte, nicht immer nur nach oben zu gehen mit den Strafdrohungen, sondern auch in die andere Richtung, zum Beispiel durch eine Absenkung von Untergrenzen von Strafrahmen.

Speziell bei Sexualdelikten gab es eine Reihe von Verschärfungen.

Schwaighofer: Ja. Da habe ich die Sorge, dass es nur noch Nachzieheffekte nach oben gibt und keine grundlegende Neubewertung.

Sehen Sie eine Chance, irgendwo Strafdrohungen zu reduzieren?

Pilnacek: Wir sind immer froh, wenn wir auch korrigierende Stellungnahmen bekommen, die sagen: Gebt Obacht, das ist zu streng! Aber man muss sehen, dass man ständig an Grenzen stößt, wenn man versucht zu erklären, warum die Strafe wegen eines Sexualdelikts in einem so geringen Ausmaß bemessen worden ist. Selbst wenn ich mit sehr vernünftigen Menschen auch im privaten Umfeld spreche, kann ich nur schwer erklären, warum für einen sexuellen Missbrauch, eine Vergewaltigung eine Strafe unterhalb eines Jahres ausgemessen wird. Da wird der Kopf geschüttelt. Hier zeigen sich Werthaltungen, die der Gesetzgeber schon aufnehmen sollte.

Ist in der Öffentlichkeit ein vernünftiger Diskurs über die Austarierung der Strafdrohungen möglich?

Pilnacek: Wir sehen in allen Lebensbereichen eine höhere Demokratisierung. Gerade im Strafrecht sollte man sich nicht in den Elfenbeinturm begeben. Das allgemeine Verständnis ist schon eine Säule von Strafrechtsnormen. Es ist schon klar: Ich soll mich nicht nach der Vox populi richten. Aber man bekommt auch in allen Fraktionen des Nationalrats einen deutlichen Widerstand. Es gibt in dem Salzburger Fall ...

Der Salzburger, der 2005 und 2006 eine junge Frau mehrmals vergewaltigt hat und der jetzt statt einer Haftstrafe eine Fußfessel bekommen hat?

Pilnacek: Ja. Da gibt es ganz starke Aufforderungen auch aus der SPÖ: Wie kann das sein, eine derart geringe Strafe und dann noch Vergünstigungen? Es ist anzuerkennen, wenn sich der demokratisch legitimierte Gesetzgeber in bestimmtem Sinne äußert. Das kann man versuchen zu beeinflussen, aber man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Öffentlichkeit eine stärkere Ächtung bestimmter Deliktsformen gibt.

Schwaighofer: Ein plakatives Beispiel bei den Sexualdelikten: Eine Frau festzuhalten und ihr an die Brust zu greifen, ist eine geschlechtliche Nötigung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Wenn ich sie festhalte und sie schwer verletze, indem ich ihr ins Gesicht schlage, ist das mit bis zu drei Jahren bedroht. Das soll aber nicht heißen, dass die Körperverletzung unbedingt angepasst werden muss. Aber, wenn ich eine Frage stellen darf: In den Begründungen zum Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 steht dezidiert drin, man erwartet sich durch die Erhöhung der Strafrahmen einen Rückgang der Kriminalität in diesem Bereich. Glaubt man das ernsthaft?

Pilnacek: Die öffentliche Diskussion, die im Zusammenhang mit Verschärfungen oder neuen Tatbeständen geführt wird, wirkt schon. Das sieht man auch im Korruptionsstrafrecht. Es bewegt sich etwas, die Leute diskutieren: Ist das Verhalten richtig, ist das Verhalten schlecht? Und im Sexualstrafrecht sieht man: Schrittweise akzeptiert der Gesetzgeber Übergriffe im sexuellen Bereich immer weniger. Wir würden unser Strafrechtsdenken ganz verlassen, wenn wir sagen würden, Strafdrohungen haben keinen Einfluss.

Vermissen Sie auch Strafbarkeit?

Pilnacek: Man muss überlegen, ob das Strafgesetzbuch auf verschiedene Fragen des modernen Lebens noch die richtigen Antworten gibt. Findet sich zum Beispiel etwas für alle neuen Medien? Ist es noch richtig, dass der Missbrauch von Tonaufnahmen ein besonders sanktionierter Bereich ist, während der Missbrauch von Bildaufnahmen und sonstige Eingriffe in die Privatsphäre eher stiefmütterlich behandelt werden? Was hier alles angerichtet werden kann bis hin zu psychischen Notlagen, zwingt zur Frage: Passt das noch?

Gibt es Grenzbereiche, in denen Präzisierungen wichtig wären?

Pilnacek: Wir sind beim Tatbestand des Amtsmissbrauchs und der Untreue in der Gefahr, dass wir die Konturen verlieren: Wo ist wirklich ein vom Strafgesetzbuch zu verfolgender Missbrauch? Und welche unternehmerische Fehlentscheidung soll auch mit Mitteln des Strafrechts bekämpft werden?

Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, in welchen Fällen das Strafrecht die richtige Form der Reaktion bietet.

Pilnacek: Wir erleben in der öffentlichen Diskussion immer wieder: Aufgrund eines Anlassfalles wird gesagt, dies oder jenes ist nicht strafbar. Dann gibt es die Forderung, man muss genau auf diesen Lebenssachverhalt eine Strafrechtsnorm schaffen. Hier meine ich, dass das Strafrecht überspannt wird in seiner Lösungskapazität. Es muss nicht jedes Problem des täglichen Lebens mit einer Strafrechtsnorm erfasst werden.

Schwaighofer: Sie sprechen von der sexuellen Belästigung.

Pilnacek: Auch. Aber es ist bei jeder Diskussion so. Wir haben das jetzt beim Fleischskandal. Die erste Frage in der Öffentlichkeit ist: Wie wird eine Falschkennzeichnung bestraft? Kann man dafür eine Haftstrafe bekommen? Und wirklich schwerwiegend ist es dann, wenn es in die Gesundheitsgefährdung oder in die großflächige Täuschung von Konsumenten geht. Trotzdem ist die erste Frage immer: Ist das strafbar? Und das führt schon auf die falsche Schiene.

Soll der Griff ans Gesäß strafbar sein?

Schwaighofer: Also ich wäre absolut dagegen, eine Strafbestimmung gegen sexuelle Belästigung zu schaffen. Ein wichtige Funktion des Strafgesetzes ist die Vorhersehbarkeit: Man muss klar vorhersehen können, ob man sich mit einem Verhalten strafbar macht. Bei so einem Tatbestand bereitet das größte Probleme: Was kann alles als sexuell belästigend empfunden werden? Wenn man beim Gesäß anfängt, ist man bald beim Oberschenkel und beim Hals oder wo auch immer. Andererseits sehe ich es im Sexualstrafrecht auch so, dass man in Einzelfällen Erklärungsbedarf hat, wieso eine Strafe so gering ausfällt. Aber die Strafrahmen sind schon sehr hoch, und man kann bei lang zurückliegenden Taten die Gegenfrage stellen: Was halten denn Sie für eine angemessene Sanktion, wenn jemand vor 25 Jahren einen Missbrauch eines Kindes begangen hat, sich seither aber wohlverhalten hat? Was ist da in Hinblick auf den Strafzweck der Resozialisierung die angemessene Sanktion? Da kann man gewisses Verständnis des Zuhörers bekommen.

Pilnacek: Unsere beiden Erlebniswelten unterscheiden sich. Der Herr Professor hat sehr interessierte und begabte Studenten und Studentinnen, ich bin auch von der politischen Diskussion geprägt. Es kommt auch der immer stärker werdende Opferschutz hervor. Es spielt in der öffentlichen Debatte eine Rolle, wenn das konkrete Opfer sich sehr beteiligt, sein völliges Unverständnis in mehrfacher Art äußert, mit Schreiben an die Frau Bundesministerin und dergleichen.

Schwaighofer: Opferschutz ist begrüßenswert. Aber ein Einfluss des Opfers auf die Strafzumessung scheint mir gefährlich zu sein.

Dass bei Vermögensdelikten die Gewerbsmäßigkeit schon bei einer einzigen Tat einsetzen kann, wenn der Täter die Absicht hat, sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wirkt übertrieben. Hier ließe sich doch eine Einschränkung gut erklären, oder?

Pilnacek: Das sehe ich auch so. Vor allem der Sprung in der Strafdrohung – vom einfachen Diebstahl mit sechs Monaten auf bis zu fünf Jahre, wenn diese innere Absicht angenommen wird – ist absolut außergewöhnlich und nahezu ohne Beispiel. Das ist sicher einer der Bereiche, in denen die Kommission Diskussionsstoff haben wird.

Zu den Personen

Christian Pilnacek, Wiener des Jahrgangs 1963, wurde 1992 zum Richter ernannt und der Straflegislativsektion des Justizministeriums zugeteilt. 1998/99 war er Richter am Landesgericht Korneuburg. Seit Oktober 1999 arbeitet er wieder im Justizministerium. Im September 2010 übernahm Pilnacek die Leitung der neu geschaffenen Strafrechtssektion (Legislative und Einzelstrafsachen).

Klaus Schwaighofer wurde 1956 in Innsbruck geboren. 1980 wurde er Universitätsassistent am Institut für Strafrecht und sonstige Kriminalwissenschaften der Universität Innsbruck. 1987 habilitierte er sich für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. 1996 wurde er zum ordentlichen Universitätsprofessor für diese Fächer in Innsbruck ernannt. Seit 1985 ist er eingetragener Strafverteidiger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2013)

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