Fotourteil: „Ein Bruch mit der Rechtsprechung“

Fotourteil
Fotourteil (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Während Anwälte das OGH-Erkenntnis kritisch sehen, herrscht bei den Fotografen trotz interner Diskussionen keine Panik: Man habe nämlich schon bisher meist gefragt, ob jemand aufs Bild will.

Wien. Zum ersten Mal verfügte der Oberste Gerichtshof (OGH) kürzlich ein Fotografierverbot: Ein Mann wurde per Unterlassungsklage gezwungen, keine Fotos mehr von einem Kontrahenten zu machen. Ein Urteil, das für Erstaunen und Kritik sorgte. Schließlich galt in Österreich bisher die Regel, dass man von jedem Fotos machen darf, solange es sich nicht um eine besonders private Situation (etwa in Wohnung oder Garten) handelt.

„Ich halte das Urteil des OGH für grundsätzlich bemerkenswert und nicht so katastrophal“, betonte beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum aber Hannes Tretter, Professor für Grund- und Menschenrechte an der Uni Wien. Denn das Urteil „gibt uns allen ein bisschen Schutz“ vor unerwünschten Fotos. Es gehe um eine Abwägung von Grundrechten auf beiden Seiten, beim Fotografen und beim Fotografierten, meinte Tretter. Auch der OGH hat in seinem Urteil von einer Interessenabwägung gesprochen. Im Anlassfall hatte ein Hausbesitzer bei einem Lokalaugenschein im Zuge einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung den gegnerischen Rechtsanwalt fotografiert. Und zwar „zur Belustigung“, wie der Hausbesitzer später sagen sollte. Das war für den OGH kein Grund für Fotos.

Anwalt Peter Zöchbauer sieht das Urteil hingegen kritisch. Das Urteil könnte vor allem Anwälten dienen, um Geschäfte zu machen, meint Zöchbauer. Denn nun sei die rechtliche Lage nicht mehr so klar, wie sie es bisher war. Zudem habe der OGH sich auf deutsche Rechtsprechung bezogen. Dort aber gelte ein ganz anderes Gesetz, sagte Zöchbauer. „In Österreich ist der Gesetzgeber ganz bewusst nicht der deutschen Regel gefolgt“, berichtete Zöchbauer unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien. Hierzulande sei die Anfertigung von Fotos grundsätzlich erlaubt und nur die Veröffentlichung verboten, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt würden. Das aktuelle Urteil zu einem harmlosen Foto ergebe nun eine skurrile Situation: „Hier gibt es ein Verbot der Aufnahme von Bildern, die ich aber eigentlich veröffentlichen dürfte“, sagte Zöchbauer.

Weiter Unterlassungsanspruch

Der OGH hatte das Fotografierverbot unter anderem damit begründet, dass einmal geschossene Bilder heutzutage leicht manipuliert werden können. „Aber hier liegt ein Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung vor“, meinte auch der zweite Anwalt auf dem Podium, Michael Rami. Er verwies auf den weiten Unterlassungsanspruch, den der OGH gewährte. Denn bisher galt: Selbst wenn wenn man von jemandem zum Beispiel als „Trottel“ bezeichnet wurde, war es nicht möglich, auf Unterlassung aller beleidigenden Ausdrücke zu klagen. Man konnte nur die Unterlassung der konkreten Beleidigung sowie sinngleicher Äußerungen klagen. Im jetzigen Fotofall aber verpflichtete der OGH den Beklagten gleich dazu, „es zu unterlassen, vom Kläger Lichtbilder oder sonstige Bildnisse vergleichbarer Art anzufertigen.“ Und das, ohne zu differenzieren, in welcher Situation die Fotos gemacht werden. Das sei bemerkenswert und neu, sagte Rami.

Nichtjuristen sehen das Urteil etwas entspannter: So verwies Gerhard Hinterleitner, Fotograf und Mitglied des Präsidiums im Syndikat Foto Film (Syndikat der Pressefotografen, Pressebildagenturen und Filmreporter Österreichs), darauf, dass man in seiner Branche ohnedies vorsichtig handle. Zwar habe das Urteil unter Fotografen für „wilde Diskussionen gesorgt“. Aber Fotografen „mit halbwegs emotionaler Intelligenz“ hätten schon bisher gefragt, ob jemand auf einem Foto abgebildet sein möchte, wenn das Werk später kommerziell (etwa für Postkarten) verwertet wird. Und für Pressefotografen sollte es auch keine Probleme geben, wenn sie Bilder schießen, meinte Hinterleitner. Er verwies noch auf ein Kuriosum: Da die Fachzeitschriften für Fotografen meist aus Deutschland kommen, hätten schon jetzt viele österreichische Fotografen geglaubt, das strengere deutsche Recht gelte für sie.

Beide Seiten der Medaille kennt Desirée Treichl-Stürgkh. Sie ist einerseits Herausgeberin des Wohnmagazins „H.O.M.E.“, das viele Fotos veröffentlicht. Andererseits organisiert sie den Wiener Opernball, bei dem die Gäste und auch Treichl-Stürgkh selbst eifrig fotografiert werden. „Man kriegt eine dicke Haut“, erklärte Treichl-Stürgkh. „Aber es gibt Positionen, in denen sieht man sich nicht so gern“, sagte sie. Etwa als ihr der Ohrring herunterfiel und sie gemeinsam mit dem Bundespräsidenten auf dem Teppich kniete. Die Fotografen zögerten nicht, dieses Bild zu verewigen. „Wahnsinnig stören“ tue es sie aber nur, wenn Boulevardblätter einmal gemachte Bilder in einem ganz anderen Zusammenhang bringen. Ansonsten hat Treichl-Stürgkh kein Problem mit Fotografen: „Ich gehe auch nur zu Veranstaltungen, wenn ich weiß, dass ich fotografiert werden will“, sagte die Herausgeberin. Genauso müsse aber jeder Opernballbesucher wissen, dass er auf der Veranstaltung abgelichtet werden könne.

Die Zahl der Leute, die sich über Fotos beschweren, dürfte aber ohnedies nicht allzu hoch liegen. So berichtete Treichl-Stürgkh von einer öffentlichen Ausstellung am Karlsplatz. Für diese hatte ein Künstler alle drei Minuten Fotos vom Opernball aus einer bestimmten Position gemacht. Obwohl 4000 Personen auf den ausgestellten Fotos zu sehen waren, haben sich aber nur zwei darüber beschwert. Rechtlich freilich wäre eine Klage ohnedies aussichtslos, betonte die Opernball-Organisatorin.

Urteil bald schon vergessen?

Bleibt die Frage, wie viele Klagen es nun nach der aktuellen OGH-Entscheidung (6 Ob 256/12h) zum Thema Foto geben wird. Anwalt Rami will die Folgen aber auch nicht überbewerten: „Ich glaube, dass diese Entscheidung ein Einzelfall ist und sie bald vergessen sein wird.“

Auf einen Blick

Das Rechtspanorama am Juridicum ist eine von der Universität Wien und der „Presse“ organisierte Reihe von Diskussionen über aktuelle Themen mit rechtlichem Einschlag. Vorige Woche war es der Frage gewidmet: „Wen darf man noch fotografieren?“ Die nächste Diskussion am Juridicum findet am 10. Juni statt; schon nächste Woche gibt es ein Rechtspanorama an der WU über: „Mehr Grundrechtsschutz in der Justiz?“ [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2013)

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