Künstliche Befruchtung: "Im Zweifel für Freiheit"

Kuenstliche Befruchtung Zweifel fuer
Kuenstliche Befruchtung Zweifel fuer(c) EPA (National Geographic Channel)
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Wie soll der säkulare Rechtsstaat Wertedebatten entscheiden? Der Sommerdiskurs der Uni Wien suchte einen Ausweg aus dem Patt bei der Fortpflanzungsmedizin.

Strobl. Wie findet die Politik das richtige Maß? Unter diesem Motto, das zum Wahlkampf passt, diskutierten heuer wieder Juristen, Philosophen und Ökonomen beim „Sommerdiskurs“ in Strobl – einer Veranstaltung der Uni Wien in Kooperation mit der „Presse“.

Gleich zum Auftakt wagte man sich auf ein „Minenfeld“: die Fortpflanzungsmedizin. Wie geht der säkulare Rechtsstaat mit Wertekontroversen um – generell und konkret?, fragte ein prominent besetztes Expertenpanel, bestehend aus Magdalena Pöschl (Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Wien und Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts), Peter Barth (Abteilungsleiter für Familienrecht im Justizministerium), Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner (Uni Wien) und Medizinsoziologin Michaela T. Mayrhofer (Med-Uni Graz).

Eine Antwort lässt sich gleich vorwegnehmen. Sie charakterisiert zugleich Wertedebatten an sich: Man erkennt sie nämlich daran, dass sie keiner entscheiden will, sagt Pöschl – weder der Gesetzgeber noch die Gerichte. Was Pöschl auch gleich durch Beispiele belegte. 2011 etwa entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der großen Kammer (in der kleinen hatte er das zunächst anders gesehen): Österreich verletzte durch das Verbot der Eizellenspende und das Verbot der In-vitro-Befruchtung (IVF) mit einer Samenspende kein Menschenrecht.

EGMR wollte nicht entscheiden

Interessant ist dabei vor allem die Begründung, die Pöschl analysierte. Der EGMR bezog sich für seine Bewertung, für die der Konsens zwischen den Vertragsstaaten in diesen Fragen wesentlich ist, nämlich nur auf die Vergangenheit, konkret das Jahr 1999, als der Fall zu ihm kam. Warum er sich auf den Rückblick beschränkte, erklärte der EGMR dabei nicht. Sollte er aber. Denn in anderen Fällen berücksichtigte er nachträgliche rechtliche Entwicklungen sehr wohl.

Auffallend ist auch, dass dem EGMR überhaupt der europäische Konsens im Jahr 1999 in diesen Fragen fehlte. Denn bereits damals erlaubten 87Prozent der Staaten die Samenspende und 79Prozent die Eizellenspenden. Offenbar nicht genug. Oder doch? Kurioserweise stellte der EGMR nämlich im selben Urteil fest, dass sich aktuell, also 2011, ein Konsens abzeichne: Dafür genügten ihm bei der Eizellenspende 83Prozent der Staaten. Aus all den Ungereimtheiten folgert Pöschl: Der EGMR wollte die Frage einfach nicht entscheiden. Was er aber immerhin tat: Er empfahl Österreich, das Fortpflanzungsmedizingesetz aus dem 1992 zu evaluieren. Geschehen ist bisher nichts.

Das gilt auch für Beispiel zwei, bei dem der EGMR entschlossener war: Er verurteilte Italien heuer, weil es – so wie Österreich – die Präimplantationsdiagnostik (PID), also die Untersuchung von Embryos auf schwere Defekte vor der Einsetzung in die Gebärmutter, verbietet. Den Vorabtest verbieten, aber Abtreibung erlauben – für das Gericht ein Widerspruch. Der EGMR-Tradition folgend müsste nun auch Österreich sein PID-Verbot überdenken. Geschehen ist bisher nichts. Stattdessen wurde eine Enquete der Bioethikkommission im Parlament zu diesen und anderen Fragen erst angesetzt, dann abgesagt.

Man könnte die Reihe der Beispiele noch weiter fortführen. Doch sie ähneln einander. Außer Untätigkeit und seltsamen Kompromissen (so ist in Österreich die IVF-Befruchtung mit Samenspenden verboten, die Befruchtung damit in der Gebärmutter aber erlaubt) gehört auch das Hantieren mit der Metaphysik zu den Merkmalen von Wertedebatten. Da gibt es etwa einerseits jene, die mit „Natürlichkeit versucht Künstlichkeit“ argumentieren (aber ohne Definitionen zu bieten). Andererseits treten Religionsgemeinschaften – die bei der Fortpflanzungsmedizin durchaus verschiedene Ansichten haben – besorgt an den Staat heran und fordern: Er möge ihren Maßstab zum allgemeinen machen.

Für Verbote braucht es Beweise

Und der Staat? Was soll er tun? Eine „Seite“ wählen? Neutral bleiben (aber wie)? Kann überhaupt das Recht fehlenden gesellschaftspolitischen Konsens ersetzen? Pöschls Vorschlag lautet: „Im Zweifel für die Freiheit“ – und für das Gewissen des Einzelnen. Ein säkularer Rechtsstaat dürfe Verbote nicht auf bloße Befürchtungen oder religiöse Gefühle stützen. Jene, die ein Verbot fordern, treffe auch die Beweislast.

Ähnlich formuliert es Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner: Sie plädiert dafür, im Dissens, im Zweifel den Ausgangspunkt für Toleranz zu sehen. Zweifel zeige, dass man Dinge aus gutem Grund verschieden sehe. Menschenwürde bedeute die wechselseitige Anerkennung der Menschen als gleichermaßen frei. Wobei sie aber einräumt, dass den individuell-ethischen Überlegungen sozial-ethische gegenüberstehen. Sprich: Was macht die Entscheidungsfreiheit einzelner mit dem sozialen Gefüge?

Rücksicht aufs Gesamte fordert denn auch Peter Barth vom Justizministerium: „Das Recht darf die Gesellschaft nicht überholen.“ Er vertritt „eine Politik der kleinen Schritte“. Auch weil etwas anderes gar nicht möglich sei: Gesetzesentwürfe aus den Ministerien würden erst zwischen den Koalitionspartner abgestimmt, Debatten über Varianten gebe es im Parlament nicht. Die Fortentwicklung des Fortpflanzungsmedizinrechts passiere derzeit nur durch höchstgerichtliche Urteile, sagt er. Nichtsdestotrotz bereitet man sich in seiner Abteilung auf Reformen vor: mit ersten Überlegungen zur Zulassung der PID und der IVF mit Samenspende.

Kein Thema ist dabei das „Social Egg Freezing“, das Medizinsoziologin Mayrhofer in die Debatte einbringt. So nennt man das Einfrieren eigener Eizellen, weil man aus Gründen der Lebensplanung erst später Kinder haben will. In Österreich ist das eine rechtliche Grauzone – und wird es auch bleiben. Denn beim derzeitigen Tempo, sagt Pöschl, „werden wir hier in zehn Jahren darüber diskutieren“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2013)

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